Nach der Komödie Isi & Ossi folgt mit dem nächsten deutschen Netflix-Film Freaks – Du bist eine von uns ein Beitrag zum Superhelden-Genre.
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Freaks – Du bist eine von uns
Actionfilm/Drama Deutschland 2020. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 92 Minuten. Start: 2. September 2020 (Netflix).
Mit: Cornelia Gröschel, Tim Oliver Schultz, Wotan Wilke Möhring, Nina Kunzendorf, Frederic Linkemann, Finnlay Berger u.v.a. Drehbuch: Marc O. Seng. Regie: Felix Binder.
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Wendy Begins
Obwohl Wendy (Cornelia Gröschel) tagtäglich in einem Schnellrestaurant an einer Tankstelle schuftet und auch ihr Mann Lars (Frederic Linkemann) einen Job als Security-Mann hat, droht der von Sohn Karl (Finnlay Berger) komplettierten Familie die Zwangsräumung ihres Hauses, weil sie finanziell nicht über die Runden kommen. Auf der Arbeit begegnet Wendy eines Tages der Obdachlose Marek (Wotan Wilke Möhring), der ihr sagt, dass sie „eine von uns“ sei und ihr rät die von Psychologin Dr. Stern (Nina Kunzendorf), bei welcher Wendy seit ihrer Kindheit in Therapie ist, verschriebenen Tabletten abzusetzen. Nach einigen kuriosen Vorfällen bemerkt Wendy, dass sie übermenschliche Kräfte hat. Während die junge Mutter ihre neu entdeckten Fähigkeiten nutzt, um sich gegen ihre fiese Chefin (Gisa Flake) durchzusetzen und den Mobbern ihres Sohnes eine Lektion zu erteilen, entwickelt auch Wendys Kollege Elmar (Tim Oliver Schultz) ungeahnte Kräfte. Der ebenfalls besonders begabte Marek erzählt den beiden von einer Psychiatrie, in welcher Menschen mit Fähigkeiten ruhiggestellt und festgehalten werden…
Superhelden-Filme kommen mittlerweile nicht mehr nur aus Hollywood, siehe Valentine – The Dark Avenger (2017) und Gundala (2019) aus Indonesien oder Guardians (2017) aus Russland. In Zusammenarbeit des Streaminganbieters Netflix und des ZDF entstand mit Freaks – Du bist eine von uns auch ein deutscher „Vigilanten“-Streifen. Regisseur Felix Binder und Drehbuchautor Marc O. Seng waren beide an der dritten und letzten Staffel von Club der Roten Bänder (2015-2017), einer Serie über Jugendliche im Krankenhaus, beteiligt. Ich persönlich schätze die beiden allerdings für ihre Arbeit an der leider sehr kurzlebigen, aber herrlich selbstironischen ZDF-Satire Lerchenberg (2013-2015), die vor allem in der zweiten Staffel ihr Potenzial voll entfaltete. Cornelia Gröschel spielte damals die intrigante Praktikantin/Kollegin Judith. Im vorliegenden Film agiert Gröschel, seit 2019 Kommissarin im Dresdner Tatort, als Wendy, die als Ehefrau, Mutter und Schnellrestaurant-Kellnerin ein recht normales Leben führt, bis sie von dem überrascht wird, was seit Jahren in ihr schlummert.
Waren ins Ziska Riemanns Psychodrama Electric Girl die übersinnlichen Kräfte noch Einbildung der überspannt agierenden Titelfigur, welche sich für die fleischgewordene Heldin einer Animeserie hält, so macht Freaks relativ früh klar, dass seine Heldin nicht verrückt ist oder oder in den Wahnsinn abzugleiten droht. Dabei kommt der Film ziemlich schnell auf den Punkt, hält sich nicht mit großem Worldbuilding oder ähnlichem auf. Als Schauplatz der Handlung dient eine nicht näher benannte Vorstadt. Der Kniff, dass alltägliche Menschen wie du und ich zu Superhelden werden, mag nicht besonders neu sein. Binder und sein Team gestalten diese „Selbstbefindung“ recht bodenständig wodurch es auch nicht wirklich negativ auffällt, dass dem Produktionsteam nicht wirklich viel Geld zur Verfügung stand. Nicht die Rettung der Welt vor einem Superschurken steht hier im Mittelpunkt, sondern die Lösung der alltäglichen, unmittelbaren Probleme wie Geldsorgen oder inakzeptables Verhalten der Mitmenschen.
Insgesamt gestaltet sich Freaks weitgehend generisch. Vor allem aber fällt auf, dass viele Puzzleteile der Geschichte nur angedeutet, oder nicht weiter verfolgt werden. Was für eine Rolle spielt die undurchsichtige Dr. Stern genau? Woher kommen die Kräfte der Figuren? So wird immer wieder angeteasert, dass die deutsche Netflix-Produktion nur als Auftakt für eine mögliche Filmreihe (nennen wir sie doch einfach „Freak Cinematic Universe“, kurz FCU) oder eventuell auch eine Serie dient. Das erklärt auch den Schluss und eine im besten „Marvel Cinematic Universe“-Stil platzierte Post-Credit-Szene. Falls es zu einer Fortsetzung kommt – die Chancen stehen nach sehr guten Abrufzahlen nicht schlecht – müsste man sich den bisher kaum entwickelten Figuren und der Story dann etwas tiefgehender widmen. Cornelia Gröschel erhält in der von ihr authentisch verkörperten Hauptrolle der Wendy noch das meiste an Screentime und Material während die Parts von Tim Oliver Schultz (Club der Roten Bänder) als Elmar/Electroman, Wotan Wilke Möhring (unter anderem bekannt als in Norddeutschland ermittelnder Tatort-Kommissar) als Marek sowie Nina Kunzendorf (Phoenix) als manipulative Therapeutin leider wenig hergeben.
Freaks – Du bist eine von uns ist seit dem 2. September 2020 bei Netflix abrufbar.
Fazit: Kurzweiliger, geerdeter deutscher „Superheldenfilm“, der dem Genre wenig Neues abgewinnt. 6 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 10. September 2020. Bilder: Netflix/ZDF.
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