Wer mal wieder vor lauter „DSDS“-Frust und Soap-Allergie schon gar keine Lust mehr hat, den Fernseher anzuschalten, dem sei dringend ein Kinobesuch empfohlen. Nicht nur, weil es dort keine nervige Werbung mitten im Film gibt, sondern weil unser quotenorientiertes Trash-TV gehörig in die Mangel genommen wird im neuen Film Free Rainer von Hans Weingartner.
Free Rainer
Mediensatire, Deutschland 2007. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 135 Minuten.
Mit: Moritz Bleibtreu, Milan Peschel, Elsa Sophie Gambard, Gregor Bloéb, Simone Hanselmann u.a. Regie: Hans Weingartner.
Startet die Kulturrevolution!
Fernsehproduzent Rainer (Moritz Bleibtreu) ist ein Medienarschloch par excellence: zwischen koksen, saufen und Tabletten schlucken (selbstverständlich auch am Steuer seines Porsche, mit dem er jenseits aller Geschwindigkeitsbegrenzungen durch die Innenstadt rast) entwirft er diverse Unterschichtenformate, die sich vor allem durch viel Sex and Crime und wenig Niveau auszeichnen. Als er von Pegah (Elsa Sophie Gambard) angefahren wird, deren Großvater sich erhängt hat, nachdem er in Rainers Show „Report 24“ verleumdet wurde, erkennt er in einer Nahtoderfahrung, wie schlecht seine TV-Formate für die Entwicklung der Gesellschaft sind und will mit seiner neuen Show „Das sollten Sie wissen“ seriöse Wissensvermittlung betreiben. Doch das Format fällt bei den Zuschauern durch, die Quoten sind unterirdisch. Rainer beschäftigt sich daraufhin mit der IMA und vermutet eine Manipulation der Quoten zugunsten des Trash-TVs. Als er jedoch herausfindet, dass sich die Menschen diese Shows tatsächlich anschauen, dreht er den Spieß um: er manipuliert die Quoten zugunsten von anspruchsvollen Sendungen. Eine Medienrevolution beginnt …
Wer macht die Quoten? Rainer (Moritz Bleibtreu) recherchiert.
Regisseur Hans Weingartner, der schon mit seinem Erstling Die fetten Jahre sind vorbei die beginnende Dekadenz unserer Gesellschaft anprangert und auf eine Revolution der intellektuellen Linke hofft, betrachtet auch in Free Rainer satirisch die Entwicklung der Medien und ihre Wirkung auf die Gesellschaft.
Lobend hervorzuheben ist dabei vor allem das Thema: unsere Fernsehlandschaft erstickt unter Reality-Formaten, die billig zu produzieren sind und anscheinend einen voyeuristischen Nerv bei den Zuschauern treffen. Niemand braucht mehr fähige Drehbuchschreiber oder visionäre Regisseure, die wenigen fiktiven deutschen TV-Produktionen sind bis auf ganz wenige Ausnahmen bestenfalls Mittelmaß. Es ist keineswegs utopisch, dass ein Format wie „Hol dir das Superbaby“ aus Free Rainer in der Realität bald über die Bildschirme flimmert, angesichts einer Medienwelt, in der „Bauer sucht Frau“ mehr Zuschauer hat als „Wer wird Millionär?“ und mit großer Sicherheit mehr als alle Formate auf arte oder 3sat.
Was den Film außerdem unbedingt sehenswert macht, sind die hervorragenden Schauspieler, allen voran Moritz Bleibtreu (Lola rennt, Das Experiment), dem man sowohl die Widerling-Szenen des Anfangs als auch den sympathischen Revoluzzer ohne weiteres abnimmt und der den Film auch allein tragen könnte. Doch dazu kommen noch Milan Peschel (Hände weg von Mississippi, Das wilde Leben) als soziophober Komplize Rainers und Gregor Bloéb (Lapislazuli – Im Auge des Bären) als Antagonist, sowie die Nebenfiguren wie zum Beispiel Rainers Arbeitslosenarmee, die einen lebensnahen, warmen Witz in den satirischen Grundton des Films bringen.
Doch leider gibt es auch einige negative Komponenten wie die extreme Schwarz-Weiß-Malerei Weingartners (als ob nur Dokumentationen und Fassbinder-Filme anspruchsvolles Fernsehen wären …) und logische Fehler: einerseits schauen alle das manipulierte Fernsehprogramm, andererseits sind ebenfalls alle draußen in der Natur und brauchen kein Fernsehen mehr. Etwas aufdringlich wirken mit der Zeit auch die Parallelen zu Die fetten Jahre sind vorbei, die darin kulminieren, dass Weingartners Erstling Teil des neuen, niveauvollen Programms ist. Free Rainer ist zu übertrieben für eine Komödie und zu lieb für eine Satire; am ehesten könnte man den Film als Parabel sehen, was bestimmt auch Weingartners kulturellem Anspruch entgegen kommen würde.
Egal in welches Genre man ihn einordnen will, eines ist der Film auf jeden Fall: unterhaltend, spritzig und inhaltlich durchaus den ein oder anderen Gedanken auch nach dem Verlassen des Kinosaals wert.
Fazit: Sehenswerte Parabel auf unsere Medienwelt. 7 von 10 Punkten.
Rainer streitet sich mit Programmchef Maiwald (Gregor Bloéb).
Der Plan ist gefasst: Rainer, Phillip (Milan Peschel) und Pegah (Elsa Sophie Gambard).
Das Team befreit die Haushalte.
Lena Stadelmann, 03. Dezember 2007. Bilder: Kinowelt.
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