Seit langem war eine Verfilmung des Romans High-Rise von Science-Fiction-Autor J.G Ballard (1930-2009) geplant. Doch erst 40 Jahre nachdem die Vorlage veröffentlicht wurde, sollte es dazu kommen. Mittlerweile läuft die Adaption auch in den deutschen Kinos.
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High-Rise
Gesellschaftsdrama/Satire UK/Belgien 2015. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 119 Minuten. Kinostart: 30. Juni 2016.
Mit: Tom Hiddleston, Sienna Miller, Jeremy Irons, Luke Evans, Elisabeth Moss, James Purefoy, Sienna Guillory, Enzo Cilenti, Keeley Hawes, Louis Suc u.a. Regie: Ben Wheatley. Drehbuch: Amy Jump. Nach dem Roman von J.G. Ballard.
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Wilde Zeiten im Wolkenkratzer
1975. Der junge Psychologe und Hochschuldozent Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) wagt einen Neuanfang und bezieht eine Wohnung in der 25. Etage eines nagelneuen, hochmodernen Wolkenkratzers außerhalb von London, auch weil er Anonymität schätzt. Doch Robert lernt sogleich einige seiner Nachbarn kennen, wie die alleinerziehende Lebedame Charlotte (Sienna Miller), den desillusionierten und erfolglosen Dokumentarfilmer und Familienvater Richard Wilder (Luke Evans) sowie dessen hochschwangere Ehefrau Helen (Elisabeth Moss). Auch Mr. Royal (Jeremy Irons), Architekt und Schöpfer des „High-Rise“, lädt Robert zu sich in die oberste Etage ein. Das 40stöckige Hochhaus hat alles was die Bewohner benötigen: Supermarkt, Schwimmbad, Fitnessstudio, Wellnessbereich und sogar eine Schule. In den oberen Etagen leben die Reichen, weiter unten die Normalverdiener und weniger Betuchten. Mit der Zeit häufen sich im Gebäude Strom- und Wasserausfälle, die von der Leitung zu anfangs noch als „Kinderkrankheiten“ abgetan werden. Doch bald werden die Blackouts zum Dauerzustand. Während die unteren Etagen ohne Strom und fließendes Wasser auskommen müssen, leben an der Spitze des Wolkenkratzers die Reichen um Royal und seine Frau Ann (Keeley Hawes) immer noch in Saus und Braus. Der Konflikt zwischen „denen oben“ und „denen unten“ eskaliert mit der Zeit. Schließlich brechen Chaos und Anarchie unter den Bewohnern des Hochhauses aus…
Dr. Robert Laing wirkt oft deplatziert
Bereits kurz nach Erscheinen des Romans High-Rise von James Graham Ballard 1975 (in Deutschland auch unter den Titeln Der Block und Hochhaus veröffentlicht) bemühte sich Produzent Jeremy Thomas (Der letzte Kaiser, Die Träumer, Only Lovers Left Alive, Das Märchen der Märchen) um eine Adaption des Stoffes fürs Kino. Doch erst 40 Jahre später sollte die Verfilmung ihren Weg ins Kino schaffen. Nach einem Drehbuch seiner Ehefrau Amy Jump übernahm der Brite Ben Wheatley (Kill List, Sightseers) die Regie.
Abseits des dystopischen Settings ist eines an High-Rise als Film besonders auffällig, nämlich die Inszenierung. Auch wenn Tom Hiddlestons Robert Laing sich als Hauptfigur anbieten würde, so folgt die Kamera dem Geschehen im gigantomanen Gebäude Szene für Szene und positioniert sich und den Zuschauer als neutralen Beobachter. Aber High-Rise wäre ein unglaublich langweiliger Film geworden, würde hier nicht mehr geboten. Wheatley, der zusammen mit einer Frau auch den Filmschnitt übernahm, und Kamerafrau Laurie Rose lassen einen bisweilen entfesselten Bilderrausch auf ihr Publikum los. Der Sturz eines Selbstmörders aus dem 39. Stock des Hochhauses auf die Motorhaube eines schicken Autos wird dermaßen in Zeitlupe zelebriert als gäbe es die Droge „Slo-Mo“ aus der Comicverfilmung Dredd, die übrigens auch ausschließlich in einem Wolkenkratzer spielt, hier auch. Wenn sich die Bewohner, vor allem im oberen Gebäudeteil, immer ausschweifenderen Parties hingeben dann vermag auch der Zuschauer in eine Art Trance-Zustand zu verfallen. Eine besonders brutale Szene wird dadurch zumindest visuell entschärft, dass man sie durch ein Kaleidoskop sieht. Generell geht es hier zwar in mehrfacher Hinsicht ordentlich zur Sache, eine voyeuristische Zurschaustellung von sexuellen Eskapaden oder Gewaltexzessen wird vermieden.
Einen entscheidenden Beitrag leistet auch Filmkomponist Clint Mansell (Requiem For A Dream, The Fountain, Black Swan). Neben neuen Aufnahmen verblüfft er mit kuriosen Neuarrangements von Hits wie Morning Has Broken von Cat Stevens oder SOS von ABBA (letzterer Song außerdem in einer düsteren Coverversion von Portishead zu hören) im klassischen Gewand.
Inhaltlich muss man hier aber schon ziemliche Abstriche machen. Wheatleys Film suhlt sich zu sehr in seinem absurden, bisweilen surrealen Trip als dass er eine Dramaturgie im klassischen Sinne verfolgen würde. Die düster-distanzierte und zynische Sichtweise der Verhältnisse verhindert auch eine Identifikation mit den unterschiedlichen Figuren. Lediglich der gescheiterte Dokumentarfilmer Richard Wilder – Luke Evans (Der Hobbit, Dracula Untold) in einer seiner wenigen wirklich guten Rollen – vermag zwischenzeitlich die Sympathien der Zuschauer für sich zu gewinnen. Sein vernachlässigte, hochschwangere Ehefrau verkörpert Elisabeth Moss, die wir als selbstbewusste Karrierefrau aus der Kultserie Mad Men (2007-2015) kennen.
Der von Tom Hiddleston (Thor, Only Lovers Left Alive) gespielte Protagonist Robert Laing ist zu sehr neutraler Beobachter. Im Konflikt der unteren gegen die obersten Etagen steckt er auch aufgrund der Lage seines Apartments (im 25. Stock) genau zwischen den Stühlen. Nicht selten wirkt Robert deplatziert, etwa wenn er sowohl im Schwimmbad auch als bei einer dekadenten Rokoko-Kostümparty im Smoking aufkreuzt.
Fazit: High-Rise konzentriert sich auf seine bildstarke Inszenierung und funktioniert dank der zynischen Botschaft als Abgesang auf die heutige Gesellschaft und ihre Wohnbauprojekte, auch wenn inhaltlich mehr Potenzial vorhanden gewesen wäre. 7 von 10 Punkten.
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Wilder macht seinem Namen alle Ehre
Dekadente Kostümparty
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Marius Joa, 10. Juli 2016. Bilder: DCM Filmdistribution.
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