I’m Thinking of Ending Things

Zum Abschluss meines Filmjahres 2020 gibt es noch einen sicherlich alles andere als leicht verdaulichen Mindfuck, nämlich den auf Netflix veröffentlichten Film I’m Thinking of Ending Things von Charlie Kaufman.


I’m Thinking of Ending Things
Mysterydrama USA 2020. 134 Minuten.
Mit: Jessie Buckley, Jesse Plemons, Guy Boyd, Toni Collette, David Thewlis u.a. Drehbuch und Regie: Charlie Kaufman. Nach dem Roman The Ending – Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum von Iain Reid.

 


Rätselhafter Roadtrip

Eine junge Frau (Jessie Buckley) ist seit etwa sieben Wochen mit ihrem neuen Freund Jake (Jesse Plemons) zusammen. Jake möchte seine neue Freundin seinen Eltern (Toni Collette, David Thewlis) vorstellen und so unternimmt das Paar eine lange Autofahrt ins tief verschneite, ländliche Oklahoma. Der Abend gestaltet sich angenehm, wenngleich Jakes Eltern recht verschroben wirken. Doch allmählich bemerkt die junge Frau überaus merkwürdige Veränderungen. Außerdem erhält sie einen kryptischen Anruf…

Der amerikanische Drehbuchautor und Regisseur Charlie Kaufman (geboren 1958) ist vor allem für seine teils verschrobenen, verschachtelten Filme bekannt, die oft auch das Verschwimmen von Traum und Realität zum Thema haben. Die von ihm geschriebene und von Spike Jonze inszenierte Identitäts-Satire Being John Malkovich (1999) finde ich absolut grandios. Fast genauso gut gelungen sind Vergiss mein nicht (2004, OT:Eternal Sunshine of the Spotless Mind; Regie: Michel Gondry), über einen Mann, der sich die Erinnerungen an seine Ex-Freundin löschen lässt, umso den Trennungsschmerz zu mindern, oder Kaufmans gemeinsam mit Duke Johnson inszenierter Stop-Motion-Animationsfilm Anomalisa (2015). Adaption – Der Orchideendieb (2002, Regie: Spike Jonze) und Kaufmans Regiedebüt Synecdoche, New York (2008) stehen mir noch bevor. Die vorliegende dritte Regie-Arbeit des New Yorkers wurde nach kurzem US-Kinostart Ende August am 4. September 2020 auf Netflix veröffentlicht.

Mit I’m Thinking of Ending Things (ein von der jungen Frau, die ihre Beziehung mit Jake eigentlich beenden will, häufig wiederholter Gedanke) adaptiert Charlie Kaufman den Roman The Ending – Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum (OT: I’m Thinking of Ending Things) des kanadischen Autors Iain Reid. Dabei handelt es sich um einen Psychothriller. Die Filmversion liebäugelt zwar durch Kameraeinstellungen und Motive immer wieder ein wenig mit dem Horrorgenre, doch Kaufman Interesse am Stoff geht über einen Thrillerplot hinaus. Stattdessen präsentiert er hier ein überaus Dialog- und (innerer-)Monolog-lastiges Filmmysterium im antiquierten 4:3-Bildformat, welches sich vor allem durch die gemächliche Inszenierung und die immer deutlicheren Inkonsistenzen in der Geschichte auszeichnet, dem Zuschauer die Sichtung aber auch alles andere als leicht macht.

Knapp ein Drittel der Laufzeit verfolgen wir die junge Frau und Jake bei der Autofahrt durch verschneite Landschaften. Die Zeit vertreibt sich das Paar mit langen Gesprächen über Poesie, Literatur, Film, Musik, Philosophie, Naturwissenschaften und das Leben an sich. Im Verlauf der Handlung wird die Protagonistin mit diversen Namen angesprochen, ähnlich oft ändert sich ihr Beruf oder ihre Interessen. Parallel zur Handlung mit dem jungen Paar und den Eltern zeigt der Film immer wieder Bilder von einem Hausmeister (Guy Boyd), der die Gänge und Räume einer High School saubermacht. Ob und wie diese beiden Geschichten zusammenhängen oder was genau davon Reaiität ist und was nicht, das bleibt offen. Viele dürften hier einen alles erklärenden Plottwist erwarten, doch dieser kommt nicht. Stattdessen überrascht I’m Thinking of Ending Things mit kurzen, träumerischen Ausflügen ins Musical oder den Zeichentrickfilm.

Kaufman überlässt es jedem Einzelnen, sich selbst einen Reim aus dem Ganzen zu machen, die Story eigenständig im Kopf weiterzudenken. Dafür werden diverse Hinweise gegeben und Andeutungen gemacht. Für mich wirkte das Werk als hätte David Lynch eine Mischung aus Richard Linklaters Before-Trilogie (mit Ethan Hawke und Julie Delpy) und Christopher Nolans Memento gedreht, im verschneiten Setting der schwarzen Coen-Brüder-Krimikomödie Fargo, wozu auch die von Toni Collette (Knives Out) und David Thewlis (Originalsprecher der Hauptfigur in Anomalisa) herrlich gespielten, hinterwäldlerischen Eltern passen. Aber das ist alles meine eigene Interpretation.

I’m Thinking of Ending Things ist seit dem 4. September 2020 Teil des Angebots von Netflix.

Fazit: Rätselhaftes, interpretationsoffenes Mystery-Puzzle von Charlie Kaufman. 8 von 10 Punkten.

 

 

 

Marius Joa, 31. Dezember 2020. Bilder: Netflix.

 

 


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