Last Night in Soho

Eine Modedesign-Studentin im Londoner Stadtteil Soho träumt sich in die schillernden 1960er zurück, nur um allmählich in einen Alptraum abzudriften, in Edgar Wrights neuestem Film Last Night in Soho.


Last Night in Soho
Psychothriller UK 2021. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 117 Minuten. Kinostart: 11. November 2021.
Mit: Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith, Michael Ajao, Diana Rigg, Terence Stamp, Synnove Karlsen, Rita Tushingham u.v.a. Drehbuch: Edgar Wright und Krysty Wilson-Cairns. Regie: Edgar Wright.

 

 

Alptraum aus der Vergangenheit

Als sie sieben Jahre alt war nahm sich Ellies (Thomasin McKenzie) Mutter das Leben. Ellie wuchs bei ihrer Großmutter (Rita Tushingham) auf. Nach der Schule beginnt sie nun ihr Studium in Modedesign am London College of Fashion und zieht daher in den berühmt-berüchtigten Stadtteil Soho. Doch die geschäftigte Atmosphäre im Studentenwohnheim lassen Ellie nicht zur Ruhe kommen und so mietet sie stattdessen ein möbliertes Zimmer im Haus von Miss Collins (Diana Rigg), einer älteren Dame. Nachts träumt die Studentin von der jungen talentierten Sandie (Anya Taylor-Joy), die eine Karriere als Sängerin in den angesagtesten Clubs von London in den 1960ern starten will und daher an den Manager Jack (Matt Smith) gerät. Dient die Traumwelt anfangs noch als ergiebige Inspiration für tolle Designentwürfe so verwandeln sich die nächtlichen Abenteuer schon bald in einen waschechten Alptraum, welcher Ellie auch tagsüber verfolgt. Großmutter und Ellies Studienkollege John (Michael Ajao) machen sich zunehmend Sorgen…

Edgar Wright (geboren 1974) gehört zu den Filmemachern mit einer klaren visuellen Handschrift. Leider habe ich bisher von ihm nur seine Regiearbeiten Hot Fuzz (2007; mittlerer Teil der Three Flavors Cornetto-Trilogie) und den Videospiel-Musikfilm Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt (2010) sowie die Marvel-Comicadaption Ant Man (2015), bei welcher Wright das Drehbuch mitverfasste und den Regiestuhl wegen kreativer Differenzen abgab, gesehen. Mit Last Night in Soho wagt sich der Engländer in die schillernde Welt von Soho und erforscht dort die abgründige Reise einer jungen Mode-Studentin in die Vergangenheit. Wrights aktuelle Regie-Arbeit (dieses Jahr veröffentlichte er mit The Sparks Brothers außerdem eine Doku über das einflussreiche Musiker-Duo) sollte, wie so viele Kinofilme, ursprünglich schon im letzten Jahr in die Lichtspielhäuser kommen, aber die Covid-19-Pandemie mit ihren weitreichenden Konsequenzen für die Filmbranche verhinderten dies. Ein bisschen schade, dass der Deutschlandstart erst im November erfolgte, denn Last Night in Soho entpuppt sich als sehr geeigneter Beitrag für den Horroctober.

Wright schrieb das Drehbuch gemeinsam mit Krysty Wilson-Cairns (Penny Dreadful: Staffel 3, 1917), die selbst in Soho gelebt und während ihre Studiums an der National Film and Television School im Pub The Toucan (welcher im Film vorkommt) gejobbt hatte. Für die Hauptrolle konnte die junge Neuseeländerin Thomasin McKenzie (Jojo Rabbit, Old ) verpflichtet werden. Ihr „Spiegelbild“ in den Swinging Sixties verkörpert Anya Taylor-Joy (Split, Emma., The New Mutants). Als drittes schauspielerisches Highlight ist Diana Rigg (Mit Schirm, Charme und Melone, James Bond: Im Geheimdienst ihrer Majestät, Game of Thrones) in ihrer letzten Rolle zu sehen. Rigg verstarb am 10. September 2020 im Alter von 82 Jahren an Lungenkrebs. Ihr ist der Film gleich zu Beginn gewidmet. Daneben sehen wir Ex-Doctor Who Matt Smith als Sandies „Manager“ Jack und Synnove Karlsen, in der britischen Serie Clique noch sympathische Studentin, als narzisstische Kommiltonin Ellies. Eine weitere Schlüsselrolle spielt Terence Stamp (Die Insel der besonderen Kinder, Das krumme Haus).

Protagonistin Eloise, genannt Ellie, ist zwar ohne Vater und Mutter allerdings dennoch behütet bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Sie träumt nicht nur von einer Karriere als Modedesignerin, sondern ideaiisiert auch Musik und Mode der 1960er. Zum Studium geht es für sie aus der Provinz Cornwalls in die pulsierende Hauptstadt des Vereinigten Königreichs. Eine ziemliche Umstellung für Ellie, doch anfangs scheint alles noch irgendwie gut zu laufen, wenngleich die erzeugte Stimmung von vorneherein nicht durchgehend positiv ist. Nachts reist Ellie in eine Mitte oder Ende der 1960er angesiedelte, glamouröse Traumwelt und erlebt dieses Setting anhand der aufstrebenden Sängerin Sandie. Ein Zustand verklärter Nostalgie hält aber nur kurz an. Denn das Soho der Sixities entpuppt sich schon bald als Haifischbecken, in welchem junge Talente wie Sandie verheizt und ausgenutzt werden. Von wegen „gute alte Zeit“. Last Night in Soho entpuppt sich nämlich nicht nur als glitzerndes Retro-Musical und verstörender Psychothriller sondern als düsteres Coming-of-Age-Drama mit deutlichen Bezügen zu #metoo.

Inszenatorisch pendelt Wright gekonnt zwischen Musical-Sequenzen (mit einigen Hits aus den 1960ern, wie Downtown von Petula Clark, hier gekonnt von Anya Taylor-Joy interpretiert) und alptraumhaften Szenen wie in einem Giallo. Inhaltlich mag sich die Geschichte insgesamt etwas unrund anfühlen, das Gesamtpaket wirkt überaus stimmig, auch der zugegebenermaßen unerwartete Verlauf der Handlung. Mit Thomasin McKenzie und Ayna Taylor-Joy sind hier zwei talentierte Jungschauspielerinnen am Werk, die sicherlich noch große Karrieren vor sich haben. Und Edgar Wright hat seiner Filmographie ein weiteres starkes Kapitel hinzugefügt.

Fazit: Intensiver Trip zwischen Großstadt-Horror-Mystery und vermeintlicher Nachtclub-Nostalgie mit drei starken Darstellerinnen Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy und letztmals Diana Rigg. 8 von 10 Punkten.

 

Jack, der Manager
 

Ellie hat Visionen
 

Diana Rigg als Vermieterin Miss Collins

 

 

Marius Joa, 14. November 2021. Bilder: Universal.

 


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Kommentare

2 Antworten zu „Last Night in Soho“

  1. Avatar von Ulrike

    Mit Diana Rigg und Rita Tushingham kommen ja schon mal erstklassige Schauspielerinnnen zusammen, und dann noch Matt Smith, den kannte ich bisher nur aus Dr. Who und aus einer Nebenrolle in „Official Secrets“, an der Seite von Keira Knightley.

  2. Avatar von Marius Joa
    Marius Joa

    Schön, dass du hier auch kommentiert hast. Matt Smith kennt man vielleicht auch als Prinz Philip aus den ersten beiden Staffeln von „The Crown“. „Last Night in Soho“ hat mich mit seinem intensiven Horror jedenfalls positiv überrascht.

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