Die erste Sneak-Preview überhaupt entpuppte sich für Marius Joa als echte Überraschung. Gezeigt wurde mit Liebeslied eine kleine deutsche Produktion.
Liebeslied
Drama/Musical Deutschland 2009. 91 Minuten. Kinostart: 10. Dezember 2009.
Mit: Jan Plewka, Nicolette Krebitz, Levin Henning, Elisa Richter, Markus Lerch, Milena Dreißig, Oliver Bröcker u.v.a. Drehbuch und Regie: Anne Høegh Krohn.
Gesang statt Tiefgang
Um den Traum der eigenen vier Wände für sich und seine Familie zu erfüllen, ist Bauarbeiter Roger (Jan Plewka) auf Montage. Plötzlich beginnt seine Hand unwillkürlich zu zittern. Als Roger deshalb einen kleinen Unfall auf der Baustelle verursacht, wird er als vermeintlicher Trunkenbold entlassen. Zuhause angekommen erzählt Roger seiner Frau, der Kassiererin Dinah (Nicolette Krebitz), er habe gekündigt. Doch auch bei der von seinem Kumpel Volker (Oliver Bröckers) vermittelten Bausstelle kommt es zu einem folgenschweren Vorfall, bei dem sich Roger verletzt und weswegen er gefeuert wird. Die erschütternde Diagnose beim Arzt lautet: Roger leidet an Parkinson! Zuerst versucht der junge Familienvater seine Probleme zu verheimlichen, doch als er seine Kinder gefährdet, wird ihm klar, dass sich Einiges ändern muss.
Roger und Dinah müssen zusammenhalten.
Die Grundidee, ein Drama über eine unheilbare, schwere Krankheit als Musical auf die Leinwand zu bringen, mag originell klingen und ihr Potenzial haben. Anne Høegh Krohns Film Liebeslied kann dies aber nicht nutzen, weil die Songs die Story des Films nicht untermalen oder ergänzen, sondern ausbremsen.
Die Low-Budget-Produktion ist in sich durchaus stimmig und sensibel inszeniert. Die Geschichte von der jungen Familie, die mit dem schweren Leiden des Vaters zurechtkommen muss, wirkt authentisch. Außerdem muss man dem Film zugute halten, dass er auf die Problematik aufmerksam macht, dass Parkinson eben keine Krankheit ist, die nur alte Leute befällt. Am Beispiel von Roger wird klar, dass es auch junge Menschen erwischen kann. Die Darsteller um Selig-Frontmann Jan Plewka sind sympathisch, wenn auch nicht überragend.
Doch die Probleme von Liebeslied liegen nicht in der Story, sondern in den Musical-Nummern. In jedem anderen Musical sind die Songs das Tüpfelchen auf dem i, die logische Ergänzung, eine Untermalung des ganzen Films. Nicht hier. Die Lieder, geschrieben von Jan Plewka und Christian Neander (Gitarrist und Songtexter von Selig), zumeist von den beiden Hauptdarstellern gesungen, zerstören die Stimmung und nerven einfach. Denn da wo bei anderen Filmen langsam der Tiefgang beginnt, liefert Liebeslied ziemlich unnötiges, musikalisches Gejammer. Lediglich eine Musical-Nummer zu Beginn, als Roger während der Arbeit vom Tanzen mit seiner Frau träumt, kann überzeugen. Ohne die Songs wäre Liebeslied ein ordentlicher Film geworden, zwar ohne großen Tiefgang, aber als kleiner Film fürs Fernsehen durchaus gelungen. Durch die Songs ist das Werk relativ zerfahren und streckenweise einfach nervig.
Erschwerend kommt hinzu, dass manche Szenen einfach vollkommen überdreht und überzogen wirken. So leidet Roger immer wieder am für Parkinson-Patienten typischen „Freezing“-Phänomen, das den Betroffenen für einige Minuten erstarren lässt. Doch in einer Szene ist Roger für mehrere Stunden (!) in diesem Zustand gefangen, ohne dass dieser aufhört oder sich jemand möglicherweise dazu durchringen könnte, dem armen Mann zu helfen. Während ihrer Arbeit als Kassiererin im Supermarkt hat Dinah einen Traum, in welchem sie mit Ihrer Familie als „Circus Spasticus“ auftritt und Roger wegen seiner Krankheit den rumblödelnden Clown gibt. Diese Sequenz wirkt fast völlig überzogen und ist hart an der Grenze der Diskriminierung von Parkinson-Patienten.
Die Atmosphäre bei der Sneak-Preview war alles andere als einfach. Bis auf den Rezensenten (28) und dessen Freundin (27) schienen alle anderen Zuschauer 23 Jahre alt oder jünger gewesen zu sein. Mit dem heiklen Thema des Films kamen die jungen Leute überhaupt nicht zurecht und so konnte man immer wieder infantiles Gekicher und hämischen Applaus vernehmen. Die Songs nahmen auch einige Zuschauer zum Anlass den Saal zu verlassen. Wer will schon einen ernsten Film sehen, wenn er eine belanglose Komödie oder einen Action-Blockbuster erwartet? Mit anderem Publikum würde der Film vielleicht auch besser funktionieren.
Fazit: Sensible erzählte Krankheitsgeschichte, die durch die unpassenden Songs ausgebremst und dadurch Tiefgang verhindert wird. 5 von 10 Punkten.
Marius Joa, 9. Dezember 2009. Bilder: Zorro Film.
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