Nachdem Die Dreigroschenoper sich als Welterfolg entpuppt hat, soll sie auch für das Kino adaptiert werden. Doch Autor Bertolt Brecht hat seine eigenen Vorstellung, wie der Film auszusehen hat. Regisseur Joachim A. Lang inszeniert in seinem „Dreigroschenfilm“ ein munteres Spiel mit diversen Ebenen…
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Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm
Satire/Musical/Literaturverfilmung Deutschland, Belgien 2018. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 130 Minuten. Kinostart: 13. September 2018.
Mit: Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Peri Baumeister, Robert Stadlober, Claudia Michelsen, Britta Hammelstein, Christian Redl, Meike Droste, Godehard Giese, Hendrik Heutmann u.v.a. Drehbuch und Regie: Joachim A. Lang. Nach dem Stück von Bertolt Brecht und Kurt Weill.
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Moritat von der schnöden Filmmaschinerie
Bei der chaotischen Premiere der „Dreigroschenoper“ im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin zeigt sich das Publikum überraschenderweise sehr begeistert. Das Stück von Autor Bertolt Brecht (Lars Eidinger) und Komponist Kurt Weill (Robert Stadlober) wird zum großen Erfolg, die Songs wie die bekannte „Moritat von Mackie Messer“ zu Gassenhauern. Bald interessiert sich auch das Kino für den Stoff, in Person von Seymour Nebenzahl (Godehard Giese) von der Nero Film AG. Unter Regie von Georg Wilhelm Pabst (Die weiße Hölle von Piz Palü) soll Brecht lediglich das Drehbuch beisteuern. Doch der stolze Schriftsteller ist nicht bereit, einfach nur den cineastischen Erfüllungsgehilfen zu geben. Ihm strebt eine neue Art von Film vor, in welchem der Inhalt des Stückes weiterentwickelt werden soll, um das Medium Kino zu revolutionieren. Aus Angst vor Zensur und dem Vergraulen des Publikums ist Nebenzahl nicht bereit, diesen Weg der Adaption zu gehen. Brecht versucht dem Produzenten derweil seine Version der Geschichte näher zu bringen. Wie im Londoner Stadtteil Soho des 19. Jahrhunderts Polly (Hannah Herzsprung), die Tochter des Bettlerkönigs Jonathan Peachum (Joachim Król), mit Gangster Macheath genannt Mackie Messer (Tobias Moretti) ausgerechnet den Erzfeind ihres Vaters heiratet. Mit allen Mitteln versuchen Peachum und seine Gattin Celia (Claudia Michelsen) daraufhin Mackie aus dem Verkehr zu ziehen…
Manchmal werden eben doch meine stillen Gebete an die Zelluloid-Götter erhört. Wie im Falle von Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm, den das lokale Programmkino immerhin vier Wochen nach Kinostart noch zeigte. Das Warten hat sich in jedem Falle gelohnt. Denn Regisseur Joachim A. Lang betet hier nicht einfach eine normale Adaption des Bühnenstückes von 1928 runter (nach eigener Aussage empfinde er eine solche Herangehensweise als unendlich langweilig), sondern macht den Verfilmungsprozess mit all seinen dramaturgischen Tücken selbst zum Thema, wodurch er dem Stoff und seinem Schöpfer äußerst gerecht wird.
Und so wechselt der „Dreigroschenfilm“ immer wieder die Perspektive, nicht nur innerhalb der Geschichte des zu adaptierenden Bühnenwerkes, sondern auch zwischen den einzelnen Erzählebenen. In einer konsequenten Weiterführung von Brechts epischem Theater springt die Handlung zwischen dem Hauptplot um die Verfilmung, dem Inhalt des Stückes selbst und zeitgenössisch-prägenden Ereignissen, wobei Lang hier noch einen Schritt weitergeht indem er den Kinozuschauern zwischenzeitlich per Durchbrechung der vierten Wand verdeutlicht, dass sie sich gerade einen Film ansehen.
Obwohl das Endergebnis recht heterogen und bisweilen etwas sperrig wirkt, so gerät Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm zu einer brandaktuellen Satire auf die Unterhaltungsindustrie (vor allem im Hinblick auf die Problematiken beim Übertragen literarischer Werke in ein neues Medium) sowie aktuelle wirtschaftliche bzw politische Entwicklungen, besonders die immer menschenverachtenden Auswüchse des Kapitalismus oder der Zulauf zu rechtsextremen, faschistischen Parteien in Europa.
Lang kann in seinem Kinofilm-Debüt nicht nur iszenatorisch aus dem Vollen schöpfen, es steht ihm auch eine Schar illustrer, namhafter Schauspieler zur Verfügung. Lars Eidinger gefällt als Brecht, dem das Drehbuch Originalzitate aus Leben und Werk des Dichters in den Mund legt, welche der Hauptdarsteller genüsslich auszukosten vermag. Daneben glänzen auch der Österreicher Tobias Moretti (Bad Banks) als Macheath, Joachim Król (bekannt als früherer FrankfurterTatort-Kommissar Frank Steier) als nicht weniger skrupelloser Peachum und Britta Hammelstein (Der Baader-Meinhof-Komplex) in einer Doppelrolle als Lotte Lenya (James Bond: Liebesgrüße aus Moskau) bzw. Seeräuber-Jenny. Neben dem in letzter Zeit sehr wandlungsfähigen Robert Stadlober (Der große Rudolph) als Kurt Weill und Christian Redl (Der Untergang) als Tiger Brown komplettieren Peri Baumeister (The Last Kingdom) als Elisabeth Hauptmann (welche die „Beggars‘ Opera“ aus dem Englischen übersetzte), Meike Droste (Mord mit Aussicht) als Brechts Ehefrau Helene Weigel, Hannah Herzsprung als Carola Neher/Polly Peachum und Claudia Michelsen (Polizeiruf 110) als Mrs. Peachum das Ensemble. Eidinger, Herzsprung und Godehard Giese, hier als Produzent Nebenzahl zu sehen, spielen auch gemeinsam in der deutschen Historien-/Krimi-Serie Babylon Berlin.
In der Realität war das Ende vom Lied nach einem Rechtsstreit, dass der von Brecht gewünschte Film nicht gemacht wurde. Stattdessen drehten Regisseur G.W. Pabst und Produzent Nebenzahl ihre Version des Stoffes, unter anderem mit Carola Neher als Polly und Lotte Lenya als Jenny. Dieser Streifen kam 1931 in die Kinos und wurde von den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung 1933 verboten.
Fazit: Joachim A. Lang gelingt mit Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm eine virtuos komponierte, dialektische Mischung aus Musical-Adaption, Mediensatire und Gesellschaftskritik. Dieser Film hätte Brecht wohl gefallen. 8 von 10 Punkten.
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Macheath und Polly feiern Hochzeit
Das Ehepaar Lotte Lenya und Kurt Weill
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Marius Joa, 28. Oktober 2018. Bilder: Wild Bunch Germany.
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