Die Geschichte eines Paares mit großem Altersunterschied soll verfilmt werden. Dazu tritt eine bekannte Schauspielerin ins Leben der Familie, in Todd Haynes May December, hochkarätig mit den Oscar-Preisträgerinnen Natalie Portman und Julianne Moore besetzt.
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May December
Drama USA 2023. Freigegeben ab 12 Jahren. 118 Minuten. Kinostart: 30. Mai 2024.
Mit: Natalie Portman, Julianne Moore, Charles Melton, Elizabeth Yu, Gabriel Chung, Cory Michael Smith, Piper Curda u.v.a. Drehbuch: Samy Burch. Regie: Todd Haynes.
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Zwischen Camp und Drama
1992 wurden die 36jährige Grace Atherton (Julianne Moore) und der 13jährige Joe Yoo, ein Mitschüler von Graces Sohn Georgie, beim Sex erwischt. Grace wanderte daraufhin ins Gefängnis und brachte dort eine Tochter zur Welt. 23 Jahre später leben Grace und Joe (Charles Melton) als glückliches Ehepaar zusammen und haben drei erwachsene Kinder. Honor (Piper Curda), die älteste Tochter, geht bereits aufs College. Ihre jüngeren Geschwister, die Zwillinge Charlie (Gabriel Chung) und Mary (Elizabeth Yu), stehen kurz vor dem Abschluss der Highschool. Die Geschichte der Atherton-Yoos soll verfilmt werden und die bekannte Schauspielerin Elizabeth Berry (Natalie Portman) wurde als Hauptdarstellerin verpflichtet. Um eine authentische Performance erschaffen zu können tritt Elizabeth mit Grace, Joe und deren Familie in Kontakt. Außerdem befragt sie weitere Personen, wie Graces Ex-Mann Tom (D.W. Moffett) oder Graces Sohn aus erster Ehe, den unsteten Musiker Georgie (Cory Michael Smith). Dabei wird die Schauspielerin von der Familie freundlich aufgenommen. Elizabeth, die im gleichen Alter wie Joe ist, recherchiert akribisch für ihre Rolle als Grace, beginnt dabei deren Verhaltensweisen zu beobachten und zu imitieren. Während die Familie zur Abschlussfeier für die Zwillinge zusammen kommen brechen in der Beziehung von Grace und Joe durch Elizabeths Anwesenheit langsam alte Wunden auf…
Die englische Redewendung „May-December“ bezieht sich auf ein Paar mit großem Altersunterschied. Das Drehbuch von Samy Burch, die zuvor Skripts für Kurzfilme verfasst hatte und für das Casting von Filmen wie Die Tribute von Panem und The Nice Guys verantwortlich zeichnete, basiert teils auf der wahren Geschichte von Lehrerin Mary Kay Letourneau (1962-2020) und Vili Fualaau. Im Sommer 1996, als Mary Kay 34 Jahre alt war, begann sie eine sexuelle Beziehung mit dem damals 12jährigen Vili, einem ihrer Schüler. Sie wanderte daraufhin ins Gefängnis und brachte dort das gemeinsame Kind zur Welt. Trotz eines Verbotes kamen Letourneau und Fualaau später wieder zusammen, heirateten und bekamen weitere Kinder. Die Beziehung der beiden sorgte in den USA für Schlagzeilen. Regisseur Todd Haynes, bekannt für die Musikfilme Velvet Goldmine (1998) und I’m Not There (2007) sowie die queere Romanze Carol (2015), hat anhand von Burchs Skript daraus einen eigenwilligen Film gemacht, der mit Natalie Portman (Oscar für Black Swan) als Schauspielerin Elizabeth und Julianne Moore (Oscar für Still Alice) als Grace äußerst namhaft besetzt ist. Während May December in Nordamerika nach kurzer Spielzeit in ausgewählten Kinos im Dezember 2023 exklusiv bei Netflix veröffentlicht wurde, erhielt er in Deutschland einen regulären Kinostart.
Vordergründig präsentiert sich Haynes Film als Meta-Werk, denn eine filmische Verarbeitung der Liebesgeschichte zwischen Grace und Joe steht im Mittelpunkt. Die konkreten Dreharbeiten zu diesem Indie-Biopic sind allerdings bis auf eine lange Szene nicht sehr präsent. Die Vorbereitung der Schauspielerin auf ihre Rolle als Mittdreißigerin, die mit einem frühreifen Teenager eine Affäre beginnt, dafür umso mehr. Gemeinsam mit Elizabeth lernen wir als Zuschauer*innen das Ehepaar Grace (59) und Joe (36) kennen, während die Personen aus dem aktuellen Umfeld und jene aus Graces Vergangenheit zwischenzeitlich ihre eigene Sichtweise auf die ganze Angelegenheit mitteilen.
Das obligatorische reißerische TV-Movie zum Fall von Grace und Joe hat es innerhalb der Filmhandlung bereits gegeben. Angesprochen wird auch, dass die Atherton-Yoos immer wieder bösartige Post erhalten. Für Elizabeth geht es bei ihrer bevorstehenden Darstellung um Authentizität. So lässt sich die Schauspielerin von ihrem Rollen-Vorbild Schminktipps geben und die beiden Frauen backen gemeinsam. Elizabeth scheint ihren Beruf ganzheitlich zu leben, wenn sie sogar den Ort aufsucht, an welchem Grace und Joe 23 Jahre zuvor beim Sex erwischt wurden. Wenig überraschend, dass dabei früher oder später eine Grenze überschritten wird.
Insgesamt inszeniert Haynes seine zehnte Regie-Arbeit recht ausgewogen und geerdet. Nur gelegentlich stellt er den Camp-Regler auf hoch, etwa wenn die Kamera von Christopher Blauvelt (Emma. [2020]) in theatralischer Weise auf die am offenen Kühlschrank stehende Grace zoomt und diese meint, dass die Hotdogs für die Grillparty nicht reichen. Immer wieder werden solche kurzen absurd überzeichneten Momente eingestreut, meist im Zusammenhang mit Elizabeths Vorbereitungen. Dazu hat Komponist Marcelo Zavros (The Affair) das zentrale Thema von Michel Legrands Score aus Der Mittler (1971) adaptiert, welches regelmäßig zum Einsatz kommt.
Diese merkwürdige, zwischen Anspannung und Melodramatik pendelnde Stimmung, die ein wenig an David Lynchs Werke erinnert, macht May December definitiv zu keinem leicht verdaulichen, sondern einem über weite Strecken sperrigen Werk. Erst nach und nach entwickeln die Charaktere eine gewisse Dynamik, welche die bisherige Version der Geschichte plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lässt. Dabei überzeugen nicht nur erwartungsgemäß Natalie Portman als neugierig-engagierte Schauspielerin Elizabeth und Julianne Moore als etwas exzentrische Grace, sondern auch Charles Melton (Riverdale) als Joe, der kurioserweise kaum älter als sein 18jähriger Sohn aussieht.
Fazit: Sperriges, teilweise leicht überzogenes, aber gelungenes Drama über eine eigentümliche Beziehung mit dem starken Trio Natalie Portman, Julianne Moore und Charles Melton. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 23. Juni 2024. Bilder: Wild Bunch Germany.
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