Nach über vier Jahrzehnten in der (Vor-)Produktionshölle und einer turbulenten Entstehung ist nun endlich Francis Ford Coppolas Herzensprojekt in den Kinos gestartet. Das starbesetzte Scifi-Drama Megalopolis erzählt von einer Metropole im Niedergang und der möglichen Utopie eines Visionärs.
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Megalopolis: Eine Fabel (Megalopolis: A Fable)
Science-Fiction-Drama USA 2024. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 138 Minuten. Kinostart: 26. September 2024.
Mit: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Aubrey Plaza, Shia LaBeouf, John Voght, Laurence Fishbourne, Kathryn Hunter, Balthazar Getty u.v.a. Drehbuch und Regie: Francis Ford Coppola.
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Coppola’s Chaos City
Amerika im dritten Jahrtausend. New Rome befindet sich seit Jahren im Niedergang. Der visionäre Architekt und mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Erfinder Cesar Catilina (Adam Driver), Neffe des superreichen Bank-Moguls Hamilton Crassus III (Jon Voight), will die Probleme der Metropole mit seinem Großprojekt namens „Megalopolis“, dessen Gebäude aus dem von ihm entdeckten Stoff Megalon errichtet werden sollen, lösen und für alle Bewohner*innen damit eine Utopie verwirklichen. Doch stößt der Visionär dabei auf großen Widerstand vonseiten der herrschenden Klasse, vor allem in Person des mächtigen Bürgermeisters Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito). Aber auch Hamiltons dekadenter Sohn Clodius Pulcher (Shia LaBoeuf) sabotiert seinen Cousin. Unterdessen kommen sich Cesar, der nach dem Tod seiner Ehefrau eigentlich eine Affäre mit der glamourösen TV-Moderatorin Wow Platinum (Aubrey Plaza) hat, und Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) näher…
Francis Ford Coppola (geboren am 7. April 1939) zählt dank seines Antikriegs-Dramas Apocalypse Now (1979) und der Pate-Trilogie (Der Pate [1972], Der Pate – Teil II [1974] und Der Pate III (1990) zu den wichtigsten Filmemachern Amerikas. Ehrlich gesagt habe ich bisher nur seinen meisterhaft umgesetzten Vampirfilm Bram Stoker’s Dracula (1992), die genannten Klassiker stehen mir also noch bevor. Mit Spannung verfolgte ich in den letzten Jahren die bewegte Entstehung von Coppolas neuestem Werk, seiner insgesamt 23. Regie-Arbeit und seiner ersten seit 2011. Bezüglich meiner Erwartungen war ich nach der Welturaufführung von Megalopolis und den geteilten Reaktionen eher skeptisch. Keine falsche Entscheidung, denn das aufwändige Science-Fiction-Drama wirkt alles andere als klar und wirklich auserzählt.
Bereits nach „Apocalypse“ kam Coppola erstmals die Idee zu einem Kino-Epos über den Niedergang Amerikas als Wiederkehr des alten Roms. Nach ersten Drehbuchentwürfen in den 1980ern und Testaufnahmen in New York 2001 wurde das Projekt in Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 erst einmal beiseite gelegt. Bewegung kam in die Angelegenheit erst wieder 2019, der Drehstart wurde allerdings durch die Covid19-Pandemie gestoppt. Von November 2022 bis März 2023 fanden die Dreharbeiten statt. Gut ein Jahr später, wurde Megalopolis erstmals bei den Filmfestspielen von Cannes gezeigt.
Noch während die Produktion lief gab es Meldungen über Unstimmigkeiten mit Darsteller*innen und Crew-Mitgliedern. Der Regisseur feuerte fast das gesamte Team für visuelle Effekte und tauschte ebenso die Szenenbildner aus. Immer wieder ist zu lesen, dass er an manchen Drehtagen scheinbar keinen Plan hatte und man improvisieren musste. Statistinnen warfen dem 85jährigen übergriffiges Verhalten vor. Um das 120-Millionen-Dollar-Budget aufzubringen hatte Coppola weite Teile seines Weinbau-Imperiums verkauft und daher ein großes finanzielles Risiko eingegangen. Schwierigkeiten bereitete nach Cannes auch die Suche nach einem Verleih, den man in Lionsgate fand.
Hinsichtlich der Prämisse klingt das alles doch einigermaßen vielversprechend, Mit der Vision des Protagonisten Cesar Catilina von einer Utopie für alle Menschen als Gegenentwurf zum ungleich verteilten Reichtum in einer stark kapitalistischen Gesellschaft, in welcher die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht, wählte Coppola auch ein Thema, das vierzig Jahre später aktueller denn je ist. Doch irgendwie hat der fünffache Oscar-Gewinner im Verlauf der Jahrzehnte oder während der Produktion den Faden verloren und vergessen, was er im Endeffekt wirklich erzählen wollte. Anders lässt sich die anfangs noch kohärente, im späteren Verlauf der 138 Minuten Laufzeit immer zerstückelte Handlung kaum erklären.
Wäre Megalopolis das Werk eines weniger etablierten und renommierten Filmschaffenden so hätten bei der Angelegenheit noch ein oder mehrere Studiobosse über die Schulter geschaut und das Ergebnis wäre wahrscheinlich inhaltlich stringenter. Doch dem italienisch-amerikanischen Altmeister des New Hollywood redet auch im fortgeschrittenen Alter sicher niemand herein, obgleich das hier sicherlich positive Auswirkungen gehabt hätte. So präsentiert sich der selbsternannte Monumentalfilm vor allem in der zweiten Hälfte als eher lose Aneinanderreihung von Szenen unterschiedlicher Qualität, die zwar irgendwie eine zusammenhängende Geschichte erzählen wollen, aber außer Coppola selbst weiß vermutlich keiner welche.
Auch was die Produktionswerte angeht präsentiert sich das SF-Drama als durchwachsen. Manche Sequenzen strotzen förmlich nur so vor Opulenz, bei manche anderen wirken die Hintergründe recht steril und unecht, was auf die suboptimale Situation mit den VFX-Firmen zurückzuführen sein dürfte. Aber dennoch muss ein Hollywood-Streifen, der 120 Millionen gekostet hat, durchgehend hochwertigere Schauwerte abliefern. Die Performances des illustren Ensembles pendeln zwischen starken Momenten und theatralischen, fast unfreiwillig komischen Darbietungen mit gestelzt wirkenden Dialogen. Während Adam Driver (Star Wars-Sequel-Trilogie, Paterson) als Cesar Catilina und Aubrey Plaza (Legion [Serie], Emily the Criminal) als herrlich überkandidelte Wow Platinum (welch subtiler Name!) hier noch mehr als ordentliche Leistungen abliefern wirken manche der weiteren Akteur*innen eher überzogen, wobei die Performance von Shia LaBeouf (ehemals Action-Bubi bei den Transformers) als hedonistischem Clodio Pulcher schon irgendwie Spaß macht.
Man hätte hier einfach mehr aus den durchaus zutreffenden Parallelen zwischen dem antiken Rom und unserer heutigen, vom immer brutalerem Kapitalismus zerfressenen, Welt machen müssen. Coppola begnügt sich hier mit einer eher plumpen Symbolik. Die Nachnamen der zentralen Kontrahenden Catilina und Cicero entnahm er einfach der Verschwörung des Lucius Sergius Catilina um 63 vor Christus und die Anklage der Beteiligten durch den bekannten Redner und Staatsmann Marcus Tuillus Cicero. Damals galt Marcus Licinius Crassus als reichster Römer. Dass der Protagonist, die Zeit anzuhalten vermag, wird eher als Gimmick verschenkt. Und während sich die Konflikte in New Rome gegen Ende immer mehr zuspitzen taucht das titelgebende Utopia Catilinas aus dem Nichts auf. Wie genau es zur Fertigstellung des Mammut-Bauprojektes kam erfährt man nicht. Wobei das Endergebnis mit seiner Biopunk-Ästhetik durchaus etwas hermacht und ich gerne mehr davon gesehen hätte als von der übrigen Chaos City.
Fazit: Trotz teils spannender Ideen und einiger toller Szenen leider ein vor allem in der zweiten Hälfte wenig zusammenhängendes Scifi-Gesellschaftsdrama als Gegenüberstellung von altrömischer Dekadenz und aktuellen Kapitalismusbezügen. 6 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 30. September 2024. Bilder: Constantin Film/Lionsgate.
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