Mit A Girl Walks Home Alone At Night lieferte die iranisch-amerikanische Filmemacherin Ana Lily Amirpours 2014 ihr vielbeachtetes Debüt. Seit gut einer Woche läuft ihr dritter Spielfilm, Mona Lisa and the Blood Moon, in den deutschen Kinos.
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Mona Lisa and the Blood Moon
Mysterythriller USA 2021. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 106 Minuten. Kinostart: 6. Oktober 2022.
Mit: Jeon Jong-seo, Kate Hudson, Craig Richardson, Ed Skrein, Evan Whitten u.a. Drehbuch und Regie: Ana Lily Amirpour.
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A Girl Runs Away Alone at Night
Über zehn Jahre fristete Mona (Jeon Jong-seo) ein apathisches Insassendasein in einer psychiatrischen Anstalt in der Nähe von New Orleans, ohne zu sprechen oder auf irgendetwas zu reagieren. Doch in einer Blutmondnacht erwacht sie aus ihrem Dämmerzustand. Dank ihrer Fähigkeit, anderen Leuten ihren Willen aufzuzwingen, gelingt Mona die Flucht und sie schlägt sich bis in die Stadt durch. Dort trifft Mona auf den DJ/Gelegenheitsdealer Fuzz (Ed Skrein) und die Stripperin Bonnie (Kate Hudson). Bonnie erkennt Monas besondere Fähigkeiten und nutzt diese aus, um andere Leute um ihr Geld zu erleichtern. Als Dank darf Mona bei Bonnie und ihrem elfjährigen, etwas vernachlässigten Sohn Charlie (Evan Whitten) wohnen. Die Polizei in Person von Harold (Craig Robinson) ist Mona bereits seit ihrer Flucht aus der Anstalt auf der Spur…
Ana Lily Amirpour wurde im Vereinigten Königreich als Kind iranischer Eltern geboren, die mit der Familie in die USA auswanderten. Mit 12 Jahren begann Lily erste eigene Filme mit dem Camcorder zu machen. Nach dem Studium an der UCLA School of Theater, Film and Television folgten einige Kurzfilme. Mit dem iranischen Vampir-Western A Girl Walks Home Alone At Night (2014), der auf dem Sundance Festival 2014 erstmals gezeigt wurde, legte Amirpour ihr sehr positiv aufgenommenes Langfilmdebüt über eine junge Vampirfrau, die in einer iranischen Geisterstadt auf unterschiedliche Menschen am Rande der Gesellschaft trifft, vor. Als zweiten Spielfilm erschien 2016 The Bad Batch, eine Art Endzeit-Western mit Kannibalen, der hierzulande 2017 bei Netflix landete. Zwischenzeitlich führte Lily auch Regie fürs Fernsehen, unter anderem bei zwei Episoden der Neuauflage der Anthologie-Show Twilight Zone und der psychedelischen zweiten Folge der zweiten Staffel der genialen Serie Legion. Ihr vorliegender dritter Film kam etwa ein Jahr nach der Premiere beim Filmfestival von Venedig 2021 glücklicherweise wieder in die Kinos. Eigentlich hatte ich gehofft, in Mona Lisa and the Blood Moon einen geeigneten Kandidaten für meinen diesjährigen Horroctober zu finden. Doch trotz der heftigen Anfangsszene und dem verdächtig stillen Auftreten der Protagonistin (anfangs noch in Zwangsjacke gekleidet) kam kein echtes Horrorfilm-Feeling auf. Das gereicht Amirpours dritter Regie-Arbeit fürs Kino allerdings nicht zum Nachteil.
Inspiriert von den Fantasyfilmen von Amirpours Kindheit, in denen Außenseiter als Helden fungieren, stellt auch die Handlung von “Mona Lisa” eine Außenseiterin in den Mittelpunkt. Diese verfügt ähnlich wie in den X-Men-Filmen über eine übersinnliche Fähigkeit und war über eine lange Zeit von der Außenwelt völlig abgeschottet, welche sie nun erstmals als Erwachsene entdeckt. Das Drehbuch flirtet immer mal wieder ein wenig mit dem Superheldengenre und reißt das ein oder andere Details, etwa zur Herkunft der Protagonistin an, ohne es jedoch weiter zu verfolgen. Diese “Gleichgültigkeit” bei der Ausarbeitung der Story dürfte sicherlich die große Schwäche des Films sein und einige Zuschauer vermutlich abschrecken.
Doch Ana Lily Amirpour legt in ihren eigenen Werken keinen großen Wert auf eine bis ins letzte Details auserklärte Geschichte, stattdessen inszeniert sie hier einen fast ausschließlich bei Nacht spielenden, von Techno- und EBM-Klängen sowie Metal-Musik untermalten, teils rauschhaften Trip durch das French Quarter in New Orleans, mit seinen zahlreichen Neon-Schildern und Amüsierbetrieben. Die Kamera von Pawel Pogorzelski (Midsommar [2019]) bewegt sich oft sehr nah an den Figuren. Für die Filmmusik zeichnete der Italiener Daniele Luppi verantwortlich. Ähnlich wie A Girl Walks Home Alone At Night und The Bad Batch hat auch Mona Lisa and the Blood Moon einen im besten Sinne aufdringlichen, sehr stimmungstreibenden Soundtrack, überwiegend mit Tracks von den italienischen Elektronikmusikern Guglielmo Bottin und Edoardo Cianfanelli alias Rodion.
Die Grundkonstellation hinsichtlich der Figuren erinnert sehr an Amirpours Erstling, mit einem gefährlichen Mädchen als Antiheldin, deren nächtliche Begegnungen mit den Menschen am Rande einer Gesellschaft in einer Stadt den roten Faden der Handlung bilden. Das Setting wiederum weckt Assoziationen mit Ryan Goslings Regie-Debüt Lost River, welches in einer verlassenen Gegend um Detroit spielt. Doch “Mona Lisa” wirkt dagegen optimistischer und vermag teilweise zu überraschen. Wie schon bei The Bad Batch (mit Suki Waterhouse, Jason Momoa, Keanu Reeves und Jim Carrey) hat Ana Lily Amirpour auch hier ein illustres Ensemble versammelt. Die geheimnisvolle, schweigsame, bisweilen unheimliche Hauptrolle spielt die Südkoreanerin Jeon Jong-seo (Burning, The Call [2020]) auf minimalistische Weise. Größter Star im Cast ist natürlich Kate Hudson (Almost Famous, Der verbotene Schlüssel) als Stripperin Bonnie, welche dank dem Zusammentreffen mit Mona von einem besseren Leben träumt. Ed Skrein (The Transporter Refueled, Deadpool) gibt den hippen, exzentrischen Fuzz, ein kurioser Paradiesvogel. Als gutmütigen, aber beharrlichen Polizisten Harold sehen wir Craig Robinson (The Office [US-Version], An Evening with Beverly Luff Linn). Der von Kinderdarsteller Evan Whitten (Mr. Robot) gespielte Sohn Bonnies namens Charlie bildet so etwas wie das Gewissen der Geschichte. Von seiner Mutter fühlt sich der Elfjährige vernachlässigt und freundet sich daher mit Mona an.
Seit 2019 ist Ana Lily Amirpour als Regisseurin eines weiblich geführten Remakes des Bergsteiger-Actionfilms Cliffhanger eingeplant. Zuletzt inszenierte sie eine Folge von Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities, einer vom mexikanischen Filmemacher produzierten Horror-Anthologie-Serie, welche passend zur Jahreszeit am 25. Oktober 2022 bei Netflix starten wird.
Fazit: Hypnotisch-stylisher Trip durch New Orleans, mit Jeon Jong-seo als schweigsamer Antiheldin mit besonderer Fähigkeit. 7 von 10 Punkten.
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Stripperin Bonnie
Polizist Harold sucht die Flüchtige
DJ und Dealer Fuzz
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Marius Joa, 14. Oktober 2022. Bilder: Weltkino.
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