Nosferatu – Der Untote

Mit der Neuverfilmung des hundert Jahre alten Stummfilmklassikers Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) von F.W. Murnau hat sich der für seine anspruchsvollen Horror-Werke bekannte Filmemacher Robert Eggers einen Lebenstraum erfüllt. Seit Anfang des Jahres läuft das Remake in den deutschen Kinos.  

Nosferatu – Der Untote (Nosferatu)
Horror USA, Tschechien 2024. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 132 Minuten. Kinostart: 2. Januar 2025.
Mit: Bill Skarsgård, Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Aaron Taylor-Johnson, Emma Corrin, Ralph Ineson, Simon McBurney, Willem Dafoe u.a. Nach dem Roman Dracula von Bram Stoker sowie dem Film von Henrik Galeen und Friedrich Wilhelm Murnau. Drehbuch und Regie: Robert Eggers.



Die Schöne und das Biest

Wisborg, 1838. Der frisch verheiratete Thomas Hutter (Nicholas Hoult) erhält von seinem Chef, dem Immobilienmakler Knock (Simon McBurney), den Auftrag den Verkauf der Ruine von Gut Grunewald an den mysteriösen Grafen Orlok abzuschließen. Dazu muss Hutter nach Transsylvanien reisen. Hutters Ehefrau, die bereits seit ihrer Jugend mit unerklärlichen Anfällen und finsteren Träumen kämpfende Ellen (Lily-Rose Depp), warnt ihren Gatten eindringlich vor der Reise. Doch Thomas lässt sich nicht davon abbringen. Ellen gibt er in die Obhut seines besten Freundes Friedrich Harding (Aaron Taylor-Johnson) und dessen Gattin Anna (Emma Corrin). Kurz vor seinem Ziel wird Hutter in seiner Unterkunft von den Einheimischen in Transsylvanien vor Orlok gewarnt. Dennoch gelangt er in das Schloss und trifft dort auf den Grafen (Bill Skarsgård). Doch als Thomas erkennt, was Orlok im Schilde führt, ist es bereits zu spät… 

Robert Eggers (geboren 1984) gilt dank seiner bisherigen drei Spielfilme – dem puritanischen Folkhorror The VVitch (2015), dem Isolationsdrama Der Leuchtturm (2019) und dem furiosen Rache-Historiendrama The Northman (2022) – neben seinem Landsmann Ari Aster (Midsommar [2019], Beau Is Afraid) als Vertreter des „elevated horror“. Sein Markenzeichen sind die überaus detailreich-akkurate Rekonstruktion verganger Epochen und eine intensive Atmosphäre. Seit seiner Kindheit wurde Eggers von Murnaus Stummfilmklassiker und dessen Romanvorlage Dracula von Bram Stoker aus dem Jahre 1897 stark beeinflusst. Mit einer Mitschülerin inszenierte er als Teenager eine Bühnenadaption des Films an seiner High School in New Hampshire, welche die Aufmerksamkeit eines Produzenten aus New York weckte, welcher Eggers eine professionelle Version dort aufführen ließ.

Der Schatten des Vampirs

Ursprünglich wollte Robert Eggers seine Version von Nosferatu bereits nach seinem ersten Film drehen, entschloss sich aber dann diese Adaption zu einem späteren Zeitpunkt umzusetzen. Im Herbst 2022 wurde der Produktionsbeginn des Remakes angekündigt und von Februar bis Mai 2023 fanden die Dreharbeiten in den Barrandov-Studios in Prag und mehreren Locations in Tschechien statt. Für die Außenaufnahmen des Schlosses von Graf Orlok drehte man auch in der Burg Hunedoara in Rumänien. Ich bin nicht wirklich ein Fan von Remakes, vor allem weil dabei oft ein gutes Original mäßig neu aufgelegt wird, aber im vorliegenden Fall macht das durchaus Sinn. Schließlich ist das Original ein 103 Jahre alter Stummfilm und auch Werner Herzogs Remake-Hommage-Hybrid Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) hat schon viereinhalb Jahrzehnte auf dem Buckel. Und wer würde als Regisseur einer Neuauflage mehr Sinn machen als Robert Eggers?! Dass es am Ende nicht der erhoffte Horror-Meilenstein geworden ist mag mit meiner hohen Erwartungshaltung und Eggers großer Liebe zum Vorbild zusammenhängen.

Der berühmte Vampir-Roman von Bram Stoker dürfte neben den Werken um Meisterdetektiv Sherlock Holmes von Arthur Conan Doyle zu den am häufigten verfilmten Stoffen aller Zeiten zählen. Von daher bleibt auch jede Neuverfilmung in irgendeiner Form vorhersehbar. So auch hier. Vor allem in der ersten Hälfte scheinen Eggers und sein Team überwiegend das „Original“ von Henrik Galeen und F.W. Murnau mit den filmischen Mitteln der heutigen Zeit zu übertragen, wobei der Regisseur gemäß seiner Handschrift CGI sehr sparsam einsetzt und vorwiegend auf haptische Kulissen baut.

Die große Änderung zu den Vorgängern: der Vampir erscheint als eine Personfikation von Ellens besonderer Verbindung zu Tod und Dunkelheit, ihrer unterdrückten Sexualität. Die frisch verheiratete junge Frau wird schon seit ihrer Jugend von einer finsteren Macht heimgesucht, die natürlich ihren Tribut zollt. Lily-Rose Depp (Tochter von Vanessa Paradis und Johnny Depp) spielt hier auch mit vollem Körpereinsatz. Nur wurde dieses Motiv bei der Hauptfigur Vanessa Ives (verkörpert von Eva Green) in John Logans hochklassiger Horror-Pastiche-Serie Penny Dreadful (2014-16) noch besser umgesetzt.

Bezüglich der Machart gibt es hier wenig zu meckern. „Nosferatu 2024“ überzeugt als farbentsättigter, düsterer Albtraum, bei welcher das Szenenbild von Craig Lathrop und die Kamera von Jarin Blaschke teils mit optischen Unschärfen arbeitet, etwa wenn der Sarg von Orlok auf den ersten Blick aussieht, als würde der Vampir auf einem Thron sitzen. Die vorherrschende Dunkelheit der Bilder spielt der Geschichte natürlich ziemlich in die Karten. Am wirkungsvollsten sind Erscheinungsbild und Performance von Bill Skarsgård, der als Horror-Clown Pennywise in Andy Muschiettis zweiteiliger Verfilmung (2017/19) von Stephen Kings ES bereits Erfahrung in der Darstellung von Monstern besaß, in der Rolle des titelgebenden Blutsaugers, solange man ihn nicht wirklich sieht und fast nur seine urtümlich-finstere Stimme wahrnimmt.

Der schwedische Schauspieler (Sohn von Stellan Skarsgård sowie Bruder von Alexander „Northman“ Skarsgård und Gustav Skarsgård) unterzog sich nicht nur rigorosem Stimmtraining, sondern an jedem Drehtag auch einer sechstündigen Make-Up-Prozedur, welche ihn in ein untotes Wesen zwischen Kadaver und hünenhaftem Ork verwandelte. An sich wirklich schaurig, doch was bitte hat Eggers und/oder die Maskenbildner-Abteilung geritten, dieser an sich fast haarlosen Kreatur einen solch albernen Schnurrbart zu verpassen? Das wirkt dann schon eher unfreiwillig komisch.

Bei aller Intensität bleiben manche der Figuren wie der von Nicholas Hoult (Renfield) gespielte Thomas Hutter, Aaron Taylor-Johnsons (Bullet Train) Friedrich Harding und Emma Corrin (The Crown) als Anna Harding etwas blass. Lediglich der erst später auftretende Willem Dafoe (bereits in Der Leuchtturm und The Northman zu sehen) als Professor von Franz bringt ein wenig mehr Schwung und eine Portion Humor in die sehr ernste Angelegenheit.  

Am Ende wäre vor allem wegen der Personalie Robert Eggers auf dem Regiestuhl vermutlich ein wenig mehr drin gewesen, auch weil das Geschehen bisweilen leicht überzogen wirkt. Nach Murnaus expressionistischem Schauer und Herzogs naturalistischem Grusel liefert Eggers seine moderne Gothic-Horror-Version des Stoffes, die für bisher Nosferatu-Unkundige als Einstieg gut funktionieren dürfte.
 
Fazit: Stimmungsvoll-intensives Horror-Remake, das dem Renomee von Robert Eggers leider nicht ganz gerecht werden kann. 7 von 10 Punkten.


Graf Orlok
Professor von Franz ahnt Schreckliches



Marius Joa, 5. Januar 2025. Bilder: Universal.


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