Mit Oppenheimer, seiner zwölften Regie-Arbeit, widmet sich Christopher Nolan dem Vater der Atombombe, dessen Leben vor, während des und nach dem Manhattan-Projekt auf drei Zeitebenen nachgezeichnet wird.
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Oppenheimer
Historiendrama/Biografie USA 2023. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 181 Minuten. Kinostart: 20. Juli 2023.
Mit: Cillian Murphy, Matt Damon, Robert Downey Jr., Emily Blunt, Dylan Arnold, Jason Clarke, Tom Conti, Dane DeHaan, Alden Ehrenreich, Tony Goldwyn, Jefferson Hall, Josh Hartnett, David Krumholtz, Matthew Modine, Florence Pugh, Benny Safdie, Gustaf Skarsgård u.v.a. Nach American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer von Kai Bird und Martin J. Sherwin. Drehbuch und Regie: Christopher Nolan.
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Der Mann und die Bombe
Julius Robert Oppenheimer (1904-1967) gilt als Vater der Atombombe. Als Chef des Manhattan-Projekts war der amerikanische Physiker maßgeblich an deren Erfindung und Fertigung beteiligt. Auf Basis des 2005 erschienenen Sachbuchs American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer von Kai Bird und Martin J. Sherwin hat Christopher Nolan (u.a. Memento, Prestige, The Dark Knight, Inception) ein episches Biopic über Oppenheimer gemacht. Erzählt wird die Geschichte des theoretischen Physikers auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen bzw. Handlungssträngen.
Der erste zeigt Momentaufnahmen und wichtige Szenen aus Oppenheimers Leben von seiner Studienzeit in Europa (Cambridge und Göttingen) zu seiner Lehrtätigkeit an der University of California in Berkley und am California Institute of Technology bis hin zu Beginn und Durchführung des Manhattan-Projekts. Oppenheimer (Cillian Murphy) wird von US-Army-General Leslie Grobes (Matt Damon) angeworben, um den Bau der Atombombe im Wettlauf mit Nazi-Deutschland voranzutreiben. In der Wüste von New Mexiko, wo Roberts Bruder Frank (Dylan Arnold) eine große Ranch besitzt, wird ein großes Gelände erschlossen, auf welchem die Wissenschaftler, darunter Isidor Isaac Rabi (David Krmholtz), Edward Teller (Benny Safdie), Ernest Lawrence (Josh Hartnett) und Hans Bethe (Gustaf Skarsgård), gemeinsam mit ihren Familien leben und arbeiten. Nach der Kapitulation der Deutschen im Zweiten Weltkrieg im Mai und dem erfolgreichen Trinity-Test im Juli werden die beiden Atombomben im August 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen.
Die zweite Zeitebene spielt sich 1954 ab als ein Ausschuss der amerikanischen Atomenergiekommission (AEC) unter dem Vorsitz von Gordon Gray (Tony Gilroy) wegen der Fortsetzung von Oppenheimers Sicherheitsfreigabe unterschiedliche Personen wie Oppenheimer selbst, seine Frau Kitty (Emily Blunt) und weitere Weggefährten befragt. Im Visier des Ermittlers Roger Robb (Jason Clarke) stehen vor allem Roberts frühere Kontakte zur Kommunistischen Partei.
Im Mittelpunkt des dritten Handlungsstranges, im Gegensatz zu den beiden anderen nicht in Farbe, sondern Schwarzweiß, steht Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), der lange Zeit Mitglied der AEC war und im Jahr 1959 wegen seiner Nominierung zum Handelsminister vor einem Ausschuss Rede und Antwort stehen muss, wobei sein Umgang mit Oppenheimer im Zentrum des Verfahrens stehen.
Christopher Nolan (geboren 1970) gilt spätestens seit seiner gelungenen bis herausragenden Dark Knight-Trilogie (Batman Begins [2005], The Dark Knight [2008] und The Dark Knight Rises [2012]) zum Experten für anspruchsvolles Blockbuster-Kino. Es gibt nur wenige, die es wie der britisch-amerikanische Filmemacher verstehen, aufwändige Produktionen mit hochwertigem Inhalt und innovativen Skripts zu schaffen. Das Erstaunliche an Nolans Biopic über den Vater der Atombombe ist sicherlich, dass es sich zwar um einen Film mit Blockbuster-Eigenschaften (große Starbesetzung, Budget von 100 Millionen Dollar, Kinostart mitten im Sommer) handelt, aber das Ergebnis ein dialogintensives Kammerspiel darstellt, in welchem große Effekte nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Auch wenn innerhalb der Handlung die Gedanken/Visionen des Titelcharakters in Bezug auf physikalische Vorgänge und die Sterne visualisiert werden und auch der unter dem Decknamen Trinity durchgeführte erste Test einer Atombombe nachgestellt wurde (übrigens ohne Einsatz von CGI) so präsentiert sich Oppenheimer über weite Strecken als recht ruhiges und gar nicht effektheischendes Werk. Zwischenzeitlich schwillt der Score von Oscar-Gewinner Ludwig Göransson etwas an, doch ansonsten speist der Film seine Intensität aus den Figuren und ihren Interaktionen.
Ähnlich wie es Wes Anderson in Asteroid City (2023), in welchem sich auch viele helle Köpfe in der Wüste treffen, getan hat, versammelt auch Nolan hier eine scheinbar endlose Riege namhafter und hochkarätiger Schauspieler vor der Kamera, manche von ihnen wie Kenneth Branagh als Niels Bohr, Matthias Schweighöfer als Werner Heisenberg oder Gary Oldman als US-Präsident Harry S. Truman sogar in sehr kleinen Parts. Angeführt wird der eindrucksvolle Cast von Cillian Murphy (28 Days Later, Batman Begins, Inception, Peaky Blinders), der als zerbrechlich wirkender und grüblerischer Physiker eine starke Performance abliefert. Daneben können auch unter anderem Matt Damon als General Groves, Emily Blunt als Oppenheimers Gattin Kitty, Florence Pugh als seine Geliebte Jean Tatlock, Benny Safdie als Edward Teller (Erfinder der Wasserstoffbombe), David Krumholtz als Isidor Isaac Rabi und Tom Conti als Albert Einstein überzeugen.
So gelungen ich Inszenierung und Schauspiel auch finde, mit den inhaltlichen Aspekten des Biopics habe ich so meine Probleme. Dass der Regisseur hier die drei Handlungsstränge nicht chronologisch erzählt, war bei seinem Faible für nonlineare Geschichten (siehe vor allem der gekonnt „rückwärts“ aufgerollte Memento) zu erwarten. Und es erweist sich auch als richtig, einen Oppenheimer vor und während der Entstehung der Bombe sowie Jahre später in den Mittelpunkt zu stellen. Doch der Plot um Lewis Strauss, dessen Nominierung zum Handelsminister der USA vor einem Ausschuss untersucht wird, macht das ganze Handlungskonstrukt unnötig sperrig und zieht den Film in die Länge. Da sich die Wege von Oppenheimer und Strauss immer wieder kreuzten erscheint es auch sinnvoll, letzteren als Figur nicht außen vor zu lassen. Aus meiner Sicht hätte der Film aber besser funktioniert, wenn sich das Drehbuch auf seinen Protagonisten und nur zwei der drei Teile konzentriert hätte. In der vorliegenden Version wirkt Oppenheimer wie eine auf drei Stunden zusammengeschnittene Filmfassung einer etwa fünfstündigen Miniserie. Manchmal ist weniger eben doch mehr, zumal manch sich als Zuschauer*in ohne wirkliche Vorkenntnisse mit den ganzen Namen und Details schwertut.
Fazit: Stark gespieltes und inszeniertes Biopic über den Vater der Atombombe, das leider inhaltlich ein wenig zu viel will. 7 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 29. Juli 2023. Bilder: Universal.
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