Passed by Censor

Als erster Film nach der Eröffnungsveranstaltung beim 46. Internationalen Filmwochenende Würzburg stand für mich Passed by Censor auf dem Programm. Das türkische Drama handelt von einem Gefängnisaufseher, dessen Aufgabe die Kontrolle und Zensur der Häftlingsbriefe ist.

Passed by Censor (Görülmüstür)
Drama Türkei, Deutschland, Frankreich 2019. 96 Minuten. Kinostart: unbekannt.
Mit: Berkay Ates, Ipek Türktan, Füsun Demirel, Saadet Aksoy, Erdem Senocak, Müfit Kayacan u.a. Drehbuch und Regie: Serhat Karaaslan.

 

 

Die Frau auf dem Foto

Zakir (Berkay Ates) arbeitet als Aufseher in einem türkischen Gefängnis in Istanbul. Seine Aufgabe ist es allerdings nicht die Häftlinge zu bewachen, sondern deren Briefe zu lesen und nötigenfalls zu zensieren. Die an einen inhaftierten Schriftsteller gerichtete Postsendung enthält ein Foto von dessen Ehefrau Selma (Saadet Aksoy). Zakir ist fasziniert von der Frau und nutzt sie als Inspiration, um eine Erzählung für seinen Abendkurs in kreativem Schreiben zu verfassen. Seiner Kurskollegin, der Krankenschwester Emel (Ipek Türktan), gefällt Zakirs Text und so weiht er sie in die ganze Geschichte ein. Zakir vermutet, dass Selma von ihrem Schwiegervater missbraucht und geschwängert wurde. In der Folge stellt er Nachforschungen an und verfolgt Selma, die regelmäßig ihren Mann im Gefängnis besucht, zu ihrer Wohnung. Dabei droht Zakir schon bald Grenzen zu überschreiten und sich in Gefahr zu bringen…

Es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität wenn ein mit dem Zensieren von Briefen betrauter Gefägnismitarbeiter in seiner Freizeit einen Kurs für Kreatives Schreiben besucht. Doch diese Widersprüchlichkeit steht stellvertretend für ein Land im Spagat zwischen von der patriarchalisch geprägten Erdogan-Diktatur und dem Rest persönlicher Freiheit, welche ihren Bürgern noch bleibt. Vor allem Frauen haben in einer solchen Gesellschaft wenig bis keine Freiheit. Dafür zeigt uns der Film zwei Beispiele. Zum einen Zakirs (wohl verwitwete) Mutter, die ohne ihren Sohn die gemeinsame Wohnung im Grunde nicht verlassen darf. Zum anderen natürlich in Person der geheimnisvollen Selma, deren Ehemann im Gefängnis sitzt und sie sich daher in der „Obhut“ des Schwiegervaters befindet, welcher in der Öffentlichkeit sogar das Sprechen für sie übernimmt. Wesentlich besser hat es da Krankenschwester Emel. Zumindest erfährt man über sie dahingehend nichts Gegenteiliges.

Die Frage ob sich die Sache mit Selma und ihrer Familie zum Teil oder vollständig nur in der Phantasie des Protagonisten abspielt wird offen gelassen. Regisseur Serhat Karaaslan (geb. 1984), der auch das Drehbuch schrieb und als Produzent agierte, liefert hier aber keinen Psychothriller oder Mysterystreifen ab, der mit dem Verschwimmen von Fiktion und Realität spielt. Die Inszenierung ist überaus schnörkellos und dadurch authentisch. Vor allem durch die nah an den Figuren gehaltene Kamera wird das Gefühl der Enge und des Gefangenseins wirkungsvoll auf den Betrachter übertragen. Insgesamt wirkt Passed by Censor über weite Strecken auch dokumentarisch, was zu Karaaslans ursprünglichem Plan, eine Doku über ein echtes türkisches Gefängnis zu drehen, passt. Das Vorhaben scheiterte aber an einer Drehgenehmigung.

Der Film endet einigermaßen abrupt und lässt viele Fragen offen. Das mag die Zuschauer mit Vervollständigungszwang stören, doch erscheint diese kreative Entscheidung umso realistischer. Schließlich hat sich die Situation für die Menschen in der Türkei nicht geändert und das Werk bildet dadurch eine mehr als solide Momentaufnahme der aktuellen Verhältnisse.

Fazit: Karges, aber eindringliches Drama über das Leben in einem unmenschlichen, von engen patriarchalischen Strukturen geprägten Staat. 8 von 10 Punkten.

 



 

 

 

Marius Joa, 2. Februar 2020. Bilder: Departures Film GmbH.

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