Als zweiten Beitrag beim diesjährigen 48. Internationalen Filmwochenende in Würzburg nach The Gravedigger’s Wife sah ich am ersten regulären Festivaltag den als “Fake-Doku” aufgezogenen Film über die österreichische Schriftstellerin, Cartoonistin und Aktivistin Stefanie Sargnagel.
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Sargnagel – Der Film
Mockumentary Österreich 2021. 96 Minuten. Kinostart: unbekannt.
Mit: Stefanie Sargnagel, Hilde Dalik, Michael Ostrowski, Thomas Gratzer, David Scheid, Alexander Jagsch, Margarethe Triesel u.v.a. Drehbuch und Regie: Sabine Hiebler und Gerhard Ertl.
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“Besser als Hitler.”
Nach dem Erfolg ihres Buches Fitness (2015) will ein Produzent (Thomas Gratzer) einen Film über die Autorin und Aktivistin Stefanie Sargnagel (spielt sich selbst) machen. Um ein Gefühl für ihr Milieu zu erhalten wird Stefanie fortan von einem Kamerateam begleitet. Unterdessen hat der Produzent die bekannte Schauspielerin Hilde Dalik (als sie selbst) für die Hauptrolle und ihren Lebensgefährten Michael Ostrowski (himself) als Regisseur engagiert. Während Stefanie durch ihren turbulenten Alltag stolpert und auf Bitten ihres Verlegers Ilias (David Scheid) plötzlich auf Lesereise gehen soll, droht ihr Leben allmählich etwas aus den Fugen zu geraten. Denn sie ist ja nicht nur gefragte Schriftstellerin, sondern auch Aktivistin gegen die Rechten und Idol einer ganzen, teils desillusionierten Generation. Außerdem hat Stefanie mit ihrer besten Freundin Mercedes (Hilde Dalik), einer erfolglosen Schauspielerin und Aushilfskellnerin, sowie ihrem lethargischen Freund Hermann (Alexander Jagsch), der seine Zeit mit Playstation und Autorennen im Fernsehen totschlägt, noch zwei recht hoffnungslose Fälle am Hals. Dalik, Ostrowski und der Produzent kämpfen währenddessen mit den Schwierigkeiten der cineastischen Umsetzung von Stefanies Leben…
Stefanie Sargnagel wurde am 14. Januar 1986 als Stefanie Sprengnagel in Wien geboren und wuchs bei ihrer Mutter auf. Nachdem sie das Gymnasium vor der Matura abgebrochen hatte begann Sargnagel ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Durch Texte und Cartoons in Veröffentlichungen wie Falter, Süddeutsche Zeitung und Vice sowie beim Bayerischen Rundfunk erlangte sie einen gewissen Bekanntheitsgrad. Ihren Job in einem Callcenter verarbeitete Stefanie in zwei Büchern, Binge Living. Callcenter-Monologe (2013) und In Zukunft sind wir alle tot (2014). Es folgten Fitness (2015), eine Zusammenstellung von Facebook-Beiträgen, und Statusmeldungen (2017). Der autofiktionale Roman Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin (2020) behandelt ihre Jugendjahre im Wiener Stadtbezirk Währing. Sargnagel wirkt allerdings nur nicht als Autorin und Zeichnerin, sondern engagiert sich zudem als Aktivistin für Feminismus und gegen die Neuen Rechten. Wegen ihrer derben Art gilt sie als “Enfant Terrible” der Wiener Kulturszene, gleichzeitig aber auch als wichtige Stimme der jungen österreichischen Literatur. Für die ausschließliche Frauen zugängliche, feministische Burschenschaft Hysteria, die angeblich 1810 von Kaiserin Leopoldina von Österreich gegründet worden war und welche Strukturen bzw. Eigenheiten männlicher Burschenschaften parodiert, fungiert Sargnagel als Obfrau.
Sabine Hiebler und Gerhard Ertl, welche Drehbuch und Regie sowie gemeinsam mit Arash T. Riahi auch die Produktion übernahmen, hatten sich die Verfilmungsrechte an Sargnagels Buch Fitness bereits vor einigen Jahren gesichert. Die Dreharbeiten fanden allerdings erst inmitten der Corona-Pandemie von August bis Oktober 2020 in Wien und Niederösterreich statt. Premiere feierte Sargnagel – Der Film im Juni 2021 und Kinostart in Österreich war am 20. August 2021. Hiebler und Ertl haben sich weder für ein fiktionales Biopic noch für eine reine Dokumentation über die Autorin entschieden, sondern liegen mit ihrem Werk genau in der Mitte zwischen den beiden Herangehensweisen. Es handelt sich also um einen Film über Stefanie Sargnagel und ein Filmteam, welches einen Film über sie drehen will.
Hiebler und Ertl spielen dabei wie andere Mockumentarys mit den verschiedenen Meta-Ebenen. Da werden bereits gesehene Szenen nochmal mit der Film-im-Film-Crew nachgespielt. Oder mit dem Kniff, dass Schauspielerin Hilde Dalik nicht nur eine fiktionalisierte Version ihrer selbst spielt, sondern parallel auch noch Stefanies beste Freundin Mercedes verkörpert. Auch Michael Ostrowski (Und Äktschn!, Er ist wieder da), im wahren Leben und in der Filmhandlung Lebensgefährte von Hilde Dalik, spielt sich selbst. Insgesamt verzichtet Sargnagel – Der Film auf plumpen Haudrauf-Humor und inszenatorischen Aktionismus, überträgt dabei gekonnt die Gemächlichkeit seiner Protagonistin auf das Medium Kino, ohne jedoch ihre Eigenwilligkeit und ihre Art, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, zu verwässern. Als berechtigten Kritikpunkt kann man anführen, dass Stefanie Sargnagels Kampf gegen reaktionär-patriarchalische Strukturen und die Neuen Rechten in Österreich, welcher ihr regelmäßig Morddrohungen einbringt, etwas kurz kommen. Ein gelungenes Werk über eine wichtige Künstlerin ist Sargnagel – Der Film aber dennoch geworden.
Fazit: Mit viel Meta-Humor und Hintersinn inszenierte Doku-Komödie über die österreichische Schriftstellerin, Cartoonistin und Aktivistin Stefanie Sargnagel. 8 von 10 Punkten.
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Stefanie mit Regisseur und Darstellerin
Mit Freundin Mercedes beim Oktoberfest
Burschenschaft Hysteria
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Marius Joa, 28. Januar 2022. Bilder: Golden Girls Filmproduktion.
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