Passend zur aktuell laufenden Fußball-Europameisterschaften zeigte das ZDF kürzlich die Dokumentation Schwarze Adler, welche sich mit den Erfahrungen schwarzer und afrodeutscher Fußballprofis auseinandersetzt.
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Schwarze Adler
Dokumentation Deutschland 2021. FSK: Freigegeben ab 6 Jahren. 100 Minuten. Filmstart: 15. April 2021.
Mit: Guy Acolatse, Otto Addo, Gerald Asamoah, Anthony Baffoe, Cacau, Rigobert Gruber, Jimmy Hartwig, Steffi Jones, Erwin Kostedde, Jean-Manuel Mbom, Patrick Owomoyela, Beverly Ranger, Shary Reeves, Jordan Torunarigha. Buch und Regie: Torsten Körner.
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Rassismus damals und heute
Der 1965 in Oldenburg geborene Journalist, Autor und Dokumentarfilmer Torsten Körner hat sich nicht nur mit Sachbüchern über Persönlichkeiten wie Heinz Rühmann, Götz George, Willy Brandt und Franz Beckenbauer einen Namen gemacht. Dem Leben und der politischen Laufbahn der deutschen Bundeskanzlerin widmete Körner die 2016 veröffentlichte Doku Angela Merkel – Die Unerwartete. Die Unbeugsamen von 2020 handelt von Frauen in der Bonner Republik, die sich ihre Beteiligung an den poltiischen Prozessen schwer erkämpfen mussten. Körners fünfter Film erschien erstmals am 15. April 2021 bei Amazon Prime und wurde während der laufenden Fußball-Europameisterschaften am 18. Juni 2021 im ZDF gesendet. Schwarze Adler erzählt die individuellen Geschichten einiger afrodeutscher und schwarzer FußballspielerInnen sowie deren Erfahrungen mit Rassismus.
Jordan Torunarigha
Die Geschichte dunkelhäutiger Fußballprofis begann 1963 mit Guy Acolatse. Der Togolose wechselte 1963 als 21jähriger aus seiner Heimat zum FC St. Pauli in die Regionalliga Nord (damals zweihöchste deutsche Spielklasse). Voller Begeisterung erinnert sich der heute 79jährige an die Zeit zurück, als seine Anwesenheit für ein stärkeres Zuschauerinteresse sorgten, schlicht und ergreifend, weil viele Deutsche damals noch nie zuvor einen Schwarzen gesehen hatten. Acolatse konnte seinerzeit vom höheren Publikumsandrang auch finanziell profitieren. Der erste dunkelhäutige deutsche Nationalspieler war Erwin Kostedde, der 1946 als Sohn eines afroamerikanischen GIs und einer deutschen Mutter in Münster geboren wurde und schon früh Erfahrungen mit Rassismus machen musste. Nach Preußen Münster führte Kosteddes Weg vom Meidericher SV über Standard Lüttich, Kickers Offenbach, Hertha BSC bis hin zu Borussia Dortmund, Stade Laval in Frankreich, Werder Bremen und den VfL Osnabrück. Zwischen 1974 und 1975 lief er dreimal für die deutsche Nationalmannschaft auf. In 210 Bundesligaspielen erzielte Stürmer Kostedde 98 Tore.
Ebenfalls als Kind eines Afroamerikaners und einer Deutschen wurde Jimmy Hartwig 1954 geboren. Hartwig, Profi unter anderem bei Kickers Offenbach, 1860 München und dem Hamburger SV, der nach seinem Karriereende zwei Krebsdiagnosen erhalten hatte und fortan als Moderator, Theaterschauspieler oder Buchautor wirkt, nahm die im Stadion gegen ihn gerichteten rassistischen Beleidigungen mit Humor und reagierte indem er die Pöbeleien „dirigierte“. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte auch Anthony Baffoe, in Bonn geborener, ghanaischer Diplomatensohn und Spieler (74 Bundesligaspiele zwischen 1983 und 1992 für Köln und Düsseldorf), als er auf eine rassistische Beleidigung mit dem Satz „Du kannst bei mir auf der Plantage arbeiten!“ konterte.
Auch dunkelhäutige Fußballerinnen berichten von ihren Erfahrungen. Die 111malige Nationalspielerin Steffi Jones (Weltmeisterin 2003, Europameisterin 1997, 2001 und 2005), von 2016 bis 2018 auch Bundestrainerin der Frauenmannschaft, hatte ähnlich wie die bereits erwähnten schon in ihrer Kindheit mit Vorurteilen zu kämpfen. Der heutigen Moderatorin Shary Reeves (Wissen macht Ah!) blieb der Weg in die A-Nationalmannschaft durch systematischen Rassismus verwehrt. Körner wirft bei mehreren Gelegenheiten Rückblicke in die erschreckende Vergangenheit des deutschen Fernsehens wenn diverse TV-Beiträge gezeigt werden, in welchen die schwarzen Akteure vor laufender Kamera diskriminiert werden. Die jamaikanische Spielerin Beverly Ranger erzielte im Juni 1975 das Tor des Monats und trat daher in der ARD-Sportschau auf, angekündigt vom fragwüdigen Schlager Schön und kaffeebraun von Vico Torriani. Überhaupt hat man für dien vorliegenden Film einige rassistische und sexistische TV-Schnipsel ausgegraben, die aus heutiger Sicht einfach untragbar sind.
Dass Rassismus im Fußball auch heute leider noch ein aktuelles Problem darstellt beweisen die Fälle von Gerald Asamoah (u.a. Hannover 96, FC Schalke 04 und SpVgg Greuther Fürth) und Otto Addo (Hannover 96. Borussia Dortmund, Mainz 05), die beide während eines Pokalspiels 1997 von den Zuschauern verunglimpft wurden. Asamoah, der zwischen 2001 und 2006 43 Länderspiele für Deutschland bestritt, wurde zudem 2007 in einem Bundesligaspiel gegen Borussia Dortmund von einem gegnerischen Spieler beleidigt. Als Jordan Torunarigha, Abwehrspieler von Hertha BSC und Sohn des früheren nigerianischen Fußballspielers Ojokojo Torunarigha, im Februar 2020 beim DFB-Pokalspiel gegen Schalke 04 Opfer rassistischer Angriffe wurde, rastete der junge Spieler aus und wurde vom Schiedsrichter des Feldes verwiesen. Die genaue Erklärung für sein Verhalten erfuhr die Öffentlichkeit erst später.
Die Doku nimmt sich für die wichtigen Eckpunkte in der Biographie ausreichend Zeit, erforscht diese teilweise nonchronologischer Reihenfolge und streut immer wieder gekonnt Archivmaterial in Form von Bildern und Videos aus der Karriere der Spielerinnen und Spieler ein. Eine erkennbare Dramaturgie stülpt Körner dem gezeigten nicht über. Vielmehr entwickeln sich die Geschichten wie ein organisches und authentisches Mosaik von in mehrfacher Hinsicht spannenden Lebensgeschichten rund um den Fußball. Schwarze Adler zeigt aber auch dass in unserer Gesellschaft Rassismus leider immer noch viel zu verbreitet ist, obwohl im Gegensatz zu anderen Ländern dieser Erde bei uns keine Schwarzen einfach so von Polizisten erschossen werden, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Schwarze Adler ist noch bis 17. Juli 2021 in der ZDF-Mediathek kostenlos abrufbar sowie Teil des Angebots von Amazon Prime.
Fazit: Ruhige, authentische Doku zu einem leider immer noch aktuellen Thema, mit interessanten ProtagonistInnen. 8 von 10 Punkten.
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Erwin Kostedde
Jimmy Hartwig
Shary Reeves
Steffi Jones
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Marius Joa, 23. Juni 2021. Bilder: Broadview Pictures/Amazon/ZDF.
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