Nach einer eher unfreiwilligen Pause 2021 habe ich es dieses Jahr endlich wieder mal zum Fantasy Filmfest, genauer gesagt zu den FFF Nights, geschafft. Gezeigt wurde der britische Okkult-Horror She Will von Regisseurin Charlotte Colbert, mit „Borg-Königin“ Alice Krige in der Hauptrolle.
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She Will
Psycho-Horror UK 2021. 95 Minuten. Kinostart: unbekannt.
Mit: Alice Krige, Kota Eberhardt, Rupert Everett, Amy Manson, Malcolm McDowell, Layla Burns u.v.a. Drehbuch: Charlotte Colbert und Kitty Percy. Regie: Charlotte Colbert.
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Im Sog der Erde
Als 13jährige feierte Veronica Ghent (Layla Burns) ihren Durchbruch als Schauspielerin im gefeierten Film Navajo Frontier, wobei die Beziehung mit dem Regisseur (Malcolm McDowell) für Aufsehen sorgte. Jahrzehnte später ist Veronica (Alice Krige) an Brustkrebs erkrankt und reist nach einer Operation mit ihrer jungen Pflegerin Desi (Kota Eberhardt) in die schottischen Highlights, um sich in der Abgeschiedenheit zu erholen. Dort angekommen müssen die beiden Frauen allerdings feststellen, dass sie nicht die einzigen Gäste sind. Der exaltierte Künstler Tirador (Rupert Everett) und eine Gruppe Touristen weilen ebenfalls vor Ort. Veronica möchte eigentlich sofort wieder abreisen, aber der kaum vorhandene Handyempfang und die schwierigen Witterungsverhältnisse verhindern dies. Nach der ersten Nacht fühlt sich Veronica besser und beschließt zu bleiben. Sie erlebt kuriose Träume und eine unbekannte, urtümliche Macht, die von der Landschaft auszugehen scheint, ergreift Besitz von ihr. Diese erlaubt es ihr, ihr großes Trauma zu verarbeiten…
Das abendfüllende Regiedebüt von Charlotte Colbert, die ansonsten eher als Multimedia-Künstlerin tätig ist und zuvor nur Kurzfilme gedreht hatte, feierte seine Premiere im August 2021 auf dem Locarno Film Festival. Dort gewann die französisch-britische Filmemacherin den Preis für das beste Debüt. Seine deutsche Erstaufführung erhielt She Will bei den Fantasy Filmfest Nights 2022 (31. März bis 10. April). Ein regulärer Kinostart oder eine Heimkinoauswertung steht hierzulande bisher leider noch aus. Hoffentlich nur eine Frage der Zeit, denn der Film erweist sich vor allem in ästhetischer Hinsicht als absolut herausragend.
Für das klassische Horror-Publikum mag She Will zu unkonventionell und stimmungsbetont sein, doch Genre-Fans ohne Scheuklappen wissen das eigentümliche Werk zu schätzen. Das von Colbert und ihrer Co-Autorin Kitty Percy stammende Drehbuch platziert zwar ein paar interessante Fährten, entzieht sich gängigen erzählerischen Gepflogenheiten aber auf geschickte Weise. Stattdessen liegt der Schwerpunkt ganz klar auf der Atmosphäre. Allein schon die Drehorte in den schottischen Highlands sorgen durch das trübe Tageslicht, nebelverhangene Landschaften und unheimliche Wälder für die halbe Miete. Clint Mansell (Requiem for a Dream, Black Swan) untermalt die Szenerie gekonnt mit einem unheilvollen Score mit einer vokalisierenden Sängerin.
Alice Krige wurde als ikonische Borg-Königin aus Star Trek: Der Erste Kontakt (1996) bzw. dem Serienfinale von Star Trek: Voyager (2001) einem größeren Publikum bekannt und war in ihrer langen Karriere unter anderem auch in der Miniserie Children of Dune (2003) sowie in Horrorfilmen wie Schlafwandler (1992, nach einem Drehbuch von Stephen King) und Gretel & Hänsel (2020), in letzterem als Hexe, zu sehen. She Will markiert vermutlich ihre minimalistische und doch eindrucksvolle Performance. Als von Krankheit gezeichnete (Ex-)Starschauspielerin Veronica zeigt die 1954 geborene Südafrikanerin allein durch ihre Mimik eine unfassbare Präsenz, die vor allem zu Beginn auch ohne viel Worte funktioniert. Krige meistert außerdem den subtilen Wandel von der kränklichen zur von neuer Energie durchströmten Frau.
Auch wenn neben der Hauptdarstellerin mit Rupert Everett (Die Hochzeit meines besten Freundes, Ernst sein ist alles) und Malcolm McDowell (Uhrwerk Orange, Star Trek: Treffen der Generationen) zwei absolute britische Schauspielstars zur Besetzung gehören so haben beide eher wenig Screentime. Im Zentrum stehen mit Veronica und ihrer von Kota Eberhardt (The I-Land) gespielten Pflegerin Desi zwei Frauen, die beide sehr negative Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben. Die scheinbar vom Geistern aus der Vergangenheit (am Ort des Geschehens wurden Hexen verbannt) gespeiste Macht verändert nicht nur die Protagonistin sondern entwickelt auch einen traumartigen Sog für die Zuschauer. Dazu kommt She Will ohne große Schockmomente oder Gewaltspitzen aus. Im Grunde erweist sich die ganze Geschichte als recht einfach gestrickt, aber die einzelnen Bestandteile ergeben ein faszinierendes Gesamtkunstwerk.
Fazit: Audiovisuelles Horror-Highlight mit einer starken Alice Krige in der Hauptrolle. 9 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 15. April 2022. Bilder: Rocket Science/TFA.
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