Vier Oscar-Nominierungen, drei bei den Golden Globes und den BAFTA Awards sowie der Gewinn des Teddy Volkswagen Audience Award bei der diesjährigen Berlinale sprechen für sich. “Tagebuch eines Skandals” wurde in vielerlei Hinsicht sehr positiv aufgenommen. Marius Joa über das auf einer wahren Begebenheit beruhende Drama mit Dame Judi Dench und Cate Blanchett in den Hauptrollen.
(Notes On A Scandal)
Psychodrama UK/USA 2006. Regie: Richard Eyre. Nach dem Roman von Zoë Heller. Musik: Philip Glass. 92 Minuten. FSK ab 12.
Mit Judi Dench, Cate Blanchett, Bill Nighy, Andrew Simpson, Michael Maloney, Joanna Scanlan, Phil Davis, Juno Temple, Max Lewis u.v.a.
Barbara Covett (Dame Judi Dench), altgediente Geschichtslehrerin an der Londoner St. George’s Schule, fristet ein recht einsames Dasein. Bei den Schülern ist die strenge Barbara zwar nicht unbedingt beliebt, aber wird von diesen sowie auch von ihren Kollegen respektiert. Doch ihr Privatleben ist leer, ihre einzigen Bezugspunkte sind ihre Katze und ihr über alles geliebtes Tagebuch, in dem sie alle täglichen Geschehnisse, vor allem die in der Schule, zynisch und teilweise bitterböse kommentiert. Zum neuen Schuljahr gibt es eine neue, attraktive Kunstlehrerin, Batsheba „Sheba“ Hart (Cate Blanchett), die wegen ihrer pädagogischen Unbeholfenheit einmal die Hilfe der resoluten Barbara benötigt. Dadurch freunden sich die beiden höchst unterschiedlichen Frauen miteinander an. Schon bald fühlt sich die alte Jungfer zur lebenslustigen und alternativen Künstlerin hingezogen, da Sheba ihr gegenüber auch sehr offen ist. Heimlich beobachtet Barbara schließlich Sheba beim Sex mit dem 15jährigen Schüler Steven Connolly (Andrew Simpson). Von ihrer Kollegin und Freundin zur Rede gestellt, beichtet Sheba, dass sie mit Andrew seit einiger Zeit eine Affäre hat. Barbara verspricht niemanden, etwas zu erzählen, wenn Sheba das Verhältnis sofort beendet. Barbara weiß nun, dass sie Sheba in der Hand hat. Um ihre Einsamkeit zu überwinden, kommt sie Sheba allmählich immer näher.
Barbara und ihr einziger Freund: ihr Tagebuch.
Bei der Oscar-Verleihung 1999 waren sowohl Dame Judi Dench als auch die Australierin Cate Blanchett für die Verkörperung der berühmten Königin Elizabeth I. von England für den Oscar nominiert. Dench gewann den Goldjungen als beste Nebendarstellerin für “Shakespeare In Love” während Blanchett für die Titelrolle in Elizabeth als beste Hauptdarstellerrin leer ausging. Jahre später spielten die beiden hochklassigen Schauspielerinnen zum zweiten Mal nach “Schiffsmeldungen” (2001) zusammen in einem Film. Regisseur Richard Eyre (“Iris”, “Stage Beauty”) konnte für seine Adaption des Heller-Romans auch den in den letzten Jahren berühmt gewordenen britischen Darsteller Bill Nighy (“Tatsächlich Liebe”, “Fluch der Karibik 2 & 3″) gewinnen.
Der Roman von Zoë Heller, mit dem Originaltitel “What Was She Thinking: Notes On A Scandal”, basiert auf einer wahren Begebenheit aus den USA. Eine Highschool-Lehrerin hatte ein Verhältnis mit einem 13jährigen Schüler und wurde sogar zweimal von ihm schwanger. Dieser Vorfall war natürlich ein handfester Skandal und die Lehrerin wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Ähnliche Fälle gab es auch mehrfach in Australien. In Buch wie Film spielt sich das Geschehen aber in und um eine Londoner Schule ab. Außerdem ist der betreffende Schüler „schon“ fünfzehn.
Zusätzlich zum Thema Lehrerin hat Verhältnis mit minderjährigem Schüler kommt auch noch der Aspekt der einsamen alten Kollegin, die menschliche Nähe und Wärme sucht. Der Zynismus und bittere Humor der Tagebuch-Einträge von Barbara resultiert natürlich in ihrem Alleinsein und dem Gefühl, nirgendwo dazu zu gehören. Da kommt der alten Jungfer die lebenslustige und rätselhaft schöne Sheba gerade recht, die sich durch ihr Familienleben mit einem viel älteren Ehemann und einem geistig behinderten Kind sowie einer pubertierenden Tochter etwas ausgebrannt fühlt. Sheba sieht Barbara als lebenserfahrene Frau, der sie ihre Probleme und eigentlich privaten Gedanken anvertrauen kann, um sich ein bisschen den Frust von der Seele reden zu können. Doch Barbara nutzt das, was sie erfährt fast schamlos aus, um sich mehr in Shebas Leben zu drängen, von der sie irgendwie fasziniert ist.
Gäbe es die Buchvorlage nicht, könnte man meinen, dass Drehbuchautor Patrick Marber, der das Stück “Hautnah” und auch das Script dazu verfasste, die Rolle der Barbara Covett Judi Dench direkt auf den Leib geschrieben hat. Die spitzen und zynischen Dialoge verdeutlichen die distanzierte Sichtweise der Hauptfigur. Die 72jährige Judi Dench scheint fast vollkommen in der Rolle aufzugehen und liefert einen weiteren Glanzpunkt ihrer beispiellosen Karriere ab. Ebenfalls überzeugend, aber etwas hinter der Leistung Denchs zurückbleibend, ist Cate Blanchett als emotional verwirrte und überforderte Künstlerin Sheba, die die Lehrerstelle eigentlich angekommen hat, um dem heimischen Trott etwas zu entkommen. Weitere Stärke des Film ist die ständig präsente und beabsichtigt aufdringliche Musik von Philip Glass (“The Hours“), der neben Judi Dench (Hauptdarstellerin), Cate Blanchett (Nebendarstellerin) und Drehbuchautor Patrick Marber ebenfalls eine Oscar-Nominierung erhielt, aber leer ausging. Durch die Musik bekommt man von Beginn an ein ungutes Gefühl und eine Vorahnung, dass es irgendwann zur Sache gehen wird. Gegen Ende nimmt die Story zwar Fahrt auf, beruhigt sich aber dann wieder zu schnell, was man als Hauptkritikpunkt anführen kann. Ein bisschen mehr Spannung und Intensität im dritten Akt wären sicherlich von Vorteil gewesen. Dennoch kann “Tagebuch eines Skandals” überzeugen, vor allem aber aufgrund seiner beiden Darstellerinnen und der zynischen Dialoge.
Fazit: Glänzend gespieltes Psychodrama über Einsamkeit und Geheimnisse mit treffenden Dialogen sowie einer stimmungsvollen, aufdringlichen Filmmusik. Zurecht für vier Oscars nominiert. 8 von 10 Punkten.
Verbotene Treffen und mehr: Sheba und Schüler Steven.
Marius Joa, 11. März 2007. Bilder: Fox Searchlight.
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