Die Transgender-Prostituierte Sin-Dee wird aus der Haft entlassen und muss von ihrer Freundin Alexandra erfahren, dass ihr Freund sie mit einer richtigen Frau hintergangen hat. Eine wilder Trip durch L.A. beginnt: Tangerine L.A.
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Tangerina L.A. (Tangerine)
Sozialdrama USA 2015. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 88 Minuten. OmU. Kinostart: 7. Juli 2016.
Mit: Kitana Kiki Rodriguez, Mya Taylor, Mickey O’Hagan, Karren Karagulian, James Ransome, Alla Tumanian u.v.a. Regie: Sean S. Baker. Drehbuch: Sean S. Baker und Chris Bergoch.
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A Sin-Dee Rella Christmas Story
Los Angeles, Heiligabend 2014. Die transsexuelle Prostituierte Sin-Dee Rella (Kita Kiki Rodriguez) hat ihre vierwöchige Gefängisstrafe abgesessen. Im Donut-Laden trifft sie sich mit ihrer besten Freundin und Kollegin Alexandra (Mya Taylor). Alexandra beichtet Sin-Dee, dass deren Freund und Zuhälter Chester (James Ransome) sie in ihrer Abwesenheit mit einer „richtigen“ Frau betrogen hat. Das kann Sin-Dee nicht einfach so akzeptieren. Selbstbewusst macht sie sich auf eine Odyssee durch die Straßen von L.A., auf der Suche nach der Konkurrentin Dinah (oder war’s Destiny?) und natürlich dem Übeltäter Chester…
Sin-Dee (rechts) ist wieder auf freiem Fuß
Die Kamera begleitet zwei Sexarbeiterinnen auf ihrer Tour durch Los Angeles. Das klingt nach der Inhaltsangabe für eine effektheischende und ihre Protagonisten bloßstellende „Reality“-Soap auf einem einschlägigen Privatsender. Aber mitnichten! Regisseur und Co-Autor Sean S. Baker (Miterfinder der Puppen-Satire Greg The Bunny) zeigt in seinem fünften Kinofilm das ungeschönte Leben auf den Straßenstrichs der kalifornischen Metropole. Die Hauptrollen spielen mit Kita Kiki Rodriguez und Mya Taylor zwei echte Transgender-Frauen, die früher wirklich als Prostituierte gearbeitet haben. Im Grunde erzählt der Film von ihrem früheren Leben, von Begegnungen und Ereignissen, die sich tatsächlich so abgespielt haben könnten.
Baker führte nicht nur Regie und schrieb das Drehbuch, er übernahm gemeinsam mit Co-Produzent Radium Cheung auch die Kameraarbeit. Tangerine L.A. ist der erste Kinofilme, der komplett mit Smartphones gedreht wurde, nämlich drei Exemplaren der Marke iPhone 5s. Doch herausgekommen ist kein verwackeltes, unscharfes Handyvideo (wie etwa in Cloverfield), weil Baker und Cheung Steadycam-Stative für die Kamera-Handys verwendeten. Die farblich akzentuierten (siehe Titel) und kontrastreichen Bilder wurden durch den Einsatz aktuellster Videobearbeitungssoftware in der Nachbearbeitung erreicht. Musikalisch wird die Szenerei immer wieder von „fetten Beats“ untermalt, was das ganze Werk streckenweise wie ein aufwändiges Musikvideo wirken lässt.
Tangerine pendelt bzw. stakst zwischen allerlei Motiven und Einzelschicksalen, die im orangefarbenen Sonnenuntergang zusammenkommen. Aschenputtel trifft auf eine aufgebrachte armenische Schwiegermutter, ein Culture Clash zwischen LGBT-Kultur und traditionellem Familienleben. Ein „Märchen aus einer Nacht“, wie es die Wirklichkeit schreibt. Baker porträtiert nicht nur die beiden Hauptfiguren, sondern gibt vor allem auch den diversen Kunden des armenischen Taxifahrers Razmik ein Gesicht. Der Film wird hierzulande im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt. Etwas anderes hätte aufgrund des eigentümlichen Slangs der Charaktere mit seinen farbigen Metaphern, die im Gegensatz zum Fernsehen hier nicht schlecht synchronisiert oder ausgebeept werden, nicht funktioniert. Aus der rauen, aber authentischen Sprache und den kuriosen Ereignissen wird lebensnahe Situationkomik geschaffen, die sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert besitzt.
Fazit: Der nur mit Smartphones gedrehte Tangerine L.A. von Sean S. Baker ist ein furios-farbenprächtiger Filmtrip durch die Transgender-Prostituierten-Szene von Los Angeles, irgendwo zwischen Doku-Soap und echtem Sozialdrama. 7 von 10 Punken.
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Alexandra bei ihrem „großen“ Auftritt
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Marius Joa, 19. Juli 2016. Bilder: Kool Filmdistribution.
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