Mit Christopher Nolans elfter Regie-Arbeit Tenet kehrt auch das Blockbuster-Kino wieder in die Lichtspielhäuser zurück. Doch hält der unter massiver Geheimhaltung entstandene Scifi-Thriller was er verspricht?
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Tenet
Science-Fiction-Thriller USA, UK 2020. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 150 Minuten. Kinostart: 26. August 2020.
Mit: John David Washington, Robert Pattinson, Elisabeth Debicki, Kenneth Branagh, Dimple Kapadia, Aaron Taylor-Johnson, Yuri Kolokolnikov, Himesh Patel u.v.a. Drehbuch und Regie: Christopher Nolan.
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Inversion – Nolans Rückschritt
Ein CIA-Agent (John David Washington) nimmt an einer Geheimoperation während eines Anschlags auf die Oper von Kiev teil. Obwohl die Mission fehlschlägt erhält der Protagonist einen neuen Auftrag, dessen Anweisung lediglich das Schlüsselwort “Tenet” enthält. Von einer Wissenschaftlerin (Clémence Poésy) erfährt der Mann, dass kürzlich Objekte aufgetaucht sind, deren Beschaffenheit invertiert, quasi umgekehrt wurden, dadurch dass diese Dinge rückwärts in die Vergangenheit gereist sind. Der Agent soll den Ursprung dieser invertierten Objekte herausfinden. In Indien trifft er auf die Waffenhändlerin Priya (Dimple Kapadia). Sie weiß, dass der russische Oligarch Andrei Sator (Kenneth Branagh) hinter den Vorkommnissen steckt. Der Protagonist versucht über Sators Ehefrau, Kunstauktionärin Kate (Elizabeth Debicki), an den einflussreichen Mann heranzukommen…
Zwar sind die Kinos hierzulande seit Wochen schon wieder geöffnet, aber die großen Hollywoodstudios haben sich mit ihren Blockbustern bisher zurückhaltend gezeigt und stattdessen bekannte Erfolge wie die Zurück in die Zukunft-Trilogie oder die Harry Potter-Filme wiederaufgeführt. Den Startschuss für den Restart der großen Produktionen soll nun Tenet, der neue Film von Christopher Nolan, geben. Wird der über 200 Millionen Dollar teure Film trotz Corona-Pandemie ein Erfolg so werden andere Mega-Blockbuster wie etwa die heiß erwartete Dune-Adaption von Denis Villeneuve (momentan geplanter Kinostart: 17. Dezember 2020) oder auch der bereits vom April auf den 12. November verschobene neue James-Bond-Film Keine Zeit zu Sterben halbwegs planmäßig in den Lichtspielhäusern starten. Floppt Nolans neuestes Werk so wird dies zumindest auf die Blockbuster-Welt massive Auswirkungen und vor allem weitere Verschiebungen nach sich ziehen.
Christopher Nolan, der mit dem Low-Budget-Noir-Thriller Following (1998) sein Debüt als Regisseur gab, zeichnete schon immer eine Faszination für die unterschiedlichen Aspekte von Zeit aus. Bei Following und Nolans unerreichtem Meisterwerk Memento (2000) wird die Handlung nichtchronologisch erzählt, ebenso im verblüffenden Magier-Thriller Prestige (2006). Im surrealen Trip Inception (2010) dringen die Figuren in ein immer komplexeres Traumgebilde ein, wobei in jeder Ebene die Zeit schneller foranschreitet. Auch im Kriegsdrama Dunkirk (2017) und dem Raumfahrt-Epos Interstellar (2014) spielt das Thema eine zentrale Rolle. Lange wusste man nicht um was genau es in Nolans elftem Spielfilm als Regisseur ging. Die Anzeichen deuteten auf Zeitreisen hin. Doch ein “herkömmlicher” Zeitreise-Actioner kam für den britisch-amerikanischen Filmemacher nie in Frage. Stattdessen beschäftigt sich Tenet mit der Frage, was wäre wenn man Objekte und Menschen invertiert, also quasi “rückwärts”, in die Vergangenheit schicken könnte. Der Titel geht freilich auf das sogenannte Sator-Quadrat, einem lateinischen Satzpalindrom, zurück.
Bisweilen könnte der Eindruck entstehen, Nolan bewerbe sich hier für den Posten als Regisseur des übernächsten Bond-Films. Der Held der Geschichte ist ein bestens ausgebildeter Agent, der für seine Mission verschiedene Länder bereist. Sein Gegenspieler, ein russischer Millardär, will die Welt vernichten. Der Schlüssel, um an den Bösewicht heranzukommen, ist dessen unglückliche Ehefrau, die von diesem misshandelt wird. Als einer der Schauplätze fungiert eine überaus luxuriöse Yacht. Tenet bedient sich allerdings lediglich bei einige dieser “007-Tropen”, um seine interessante Prämisse in Gang zu bringen.
Was Nolan hier mit seinem Team um Kameramann Hoyte van Hoytema (Interstellar, Dunkirk, Spectre) auf die Beine gestellt hat, verdient ihn jeglicher Hinsicht das Prädikat beeindruckend. Da laufen manche, ohnehin bereits aufwändig inszenierte Szenen gleichzeitig vorwärts und rückwärts. Ein nicht invertierter Mann kämpft mit einem invertiertem, was auf der Leinwand dann etwas merkwürdig aussieht. Eine in der estnischen Hauptstadt Talinn gedrehte Verfolgungsjagd sowie der Einsatz auf einem stillgelegten Atomtest-Gelände gehören zu den weiteren eindrucksvollen Setpieces, die alle ohne den Einsatz von CGI entstanden. Auch wenn sich das Konzept der Inversion nicht jedem gleich erschließt so wird vor allem die Figur des von Robert Pattinson gespielten Neil dazu genutzt, zentrale Details zu erklären.
Doch all die unfassbar minutiös gefilmten Sequenzen und das potenzialträchtige Konzept, welches dahintersteht, konnten mich nicht über eine bittere Wahrheit hinwegtäuschen: Tenet hat mich über weite Strecken seiner immerhin schnell vergehenden Laufzeit von zweieinhalb Stunden kalt gelassen. Mit wenig Ausnahmen entpuppen sich die Figuren als austauschbar. Vor allem Kenneth Branaghs Andrei Sator erscheint mir selbst für einen sadistischen Bösewicht sehr plump. John David Washington bleibt als namenloser Protagonist zwar der Mittelpunkt der Handlung, aber eine weitere Idenfitikation wird durch die nicht vorhandene Ausarbeitung verhindert. Am ehesten sorgen noch Robert Pattinson (demnächst als neuer Batman im Kino zu sehen) als Neil und die alle ihre Kollegen überragende Elizabeth Debicki in der Rolle der Oligarchengattin für Sympathien beim Zuschauer, auch wenn bei letzterer die Sorge um den Sohn auch dadurch unglaubwürdig wirkt, weil der Junge selbst fast keine Rolle spielt.
Ansonsten treten hier noch Nolan-Stammschauspieler Michael Caine sowie Clémence Poésy (Harry Potter und der Feuerkelch) und Martin Donovan (Insomnia) kurz auf. Weil Hans Zimmer sich für dieses Jahr der oben erwähnten Dune-Verfilmung verschrieb hat Ludwig Göransson (Oscar für Black Panther ) dieses Mal den Score komponiert. Doch die Kompositionen des Schweden unterscheiden sich kaum von Hans Zimmers meist generisch-treibendem Bombastgetöse und drohen die eindrucksvollen Szenen fast etwas zu überlagern. Am Ende bleibt Tenet vor allem in Anbetracht von Nolans bisher fast ausnahmslos sehr gelungenen FRegie-Arbeiten doch eine mittlere Enttäuschung und höchstwahrscheinlich sein bisher schlechtester Film.
Fazit: Beeindruckend detailgenau inszenierter Blockbuster, der allerdings ziemlich kaltlässt. Im Vergleich zu Nolans anderen Filmen eine Enttäuschung. 6 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 29. August 2020. Bilder: Warner.
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