Ebenfalls mit Verspätung durch die Covid19-Pandemie kam The French Dispatch kürzlich in die Kinos. Regisseur Wes Anderson (Grand Budapest Hotel, Isle of Dogs) zelebriert im Film über den Auslandsableger einer amerikanischen Zeitung seinen eigenwilligen Stil wie nie zuvor.
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The French Dispatch of the Liberty Kansas Evening Sun
Komödie USA 2021. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 108 Minuten. Kinostart: 21. Oktober 2021.
Mit: Mathieu Amalric, Adrien Brody, Timothée Chamalet, Benicio del Toro, Lyna Khoudri, Frances McDormand, Bill Murray, Stephen Park, Léa Seydoux, Tilda Swinton, Owen Wilson, Jeffrey Wright, Winston Alt Hellal u.v.a. Story: Wes Anderson, Roman Coppola, Hugo Guinness, Jason Schwartzman. Drehbuch und Regie: Wes Anderson.
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Der turbulente Journalistenreigen
von M.W. JOA
1975. 50 Jahre zuvor gründete Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) in der französischen Stadt Ennui-sur-Blasé den französischen Ableger der von seinem Vater geleiteten Liberty Kansas Evening Sun und brachte in dieser Zeit die Kultur Europas in die amerikanische Provinz. Nun steht die letzte Ausgabe des Magazins vor ihrer Vollendung, welche die folgenden Berichte und Geschichten enthält:
Der radelnde Reporter
Auf dem Fahrrad unternimmt Herbsaint Sazerac (Owen Wilson) eine Tour durch alle Viertel von Ennui-sur-Blasé im Wandel der Zeit und skizziert so die Entwicklung der Stadt von einer Ansammlung von Handwerkersiedlungen zum bunten Nebeneinander unterschiedlicher Gesellschaftsschichten.
Das Beton-Meisterwerk
Journalistin und Kunstexpertin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton) hält einen Vortrag über den wegen Doppelmord im Gefängnis sitzenden Maler Moses Rosenthaler (Benicio del Toro), der in Gefängniswärterin Simone (Léa Seydoux) seine Muse und die Inspiration für ein Gemälde gefunden hat. Diese Werk erregt die Aufmerksamkeit des Kunsthändlers Julian Cadazio (Adrien Brody), der Rosenthaler zur Schaffung eines weiteren Bildes zu überreden versucht.
Korrekturen eines Manifests
Im Mai 1968 kommt es zu Studentenrevolten, angeführt von Zeffirelli B. (Timothée Chalamet) und Juliette (Lyna Khoudri). Während Lucinda Krementz (Frances McDormand) die Bewegung der jungen Leute verfolgt und dokumentiert droht sie ihre journalistische Unabhängigkeit zu verlieren.
Das private Speisezimmer des Polizeichefs
Gourmetjournalist Roebuck Wright (Jeffrey Wright) berichtet vom lokalen Polizeikommissar (Mathieu Amalric) und seinem legendären Chefkoch Nescaffier (Stephen Park) und wie sie alle gemeinsam die Entführung von Gigi (Winson Alt Hellal), dem Sohn des Kommissars, aufzuklären versuchen.
Wes Anderson (geboren 1969) gehört zu den wenigen amerikanischen Filmemachern mit einer absolut unverkennbaren Handschrift. Seine Stories sind voller skuriller Figuren und überbordendem Ideenreichtum, in meist puppenhausartigen, zentriert-symmetrischen Bildkompositionen. In seinem zehnten Film treibt Anderson diese Markenzeichen auf die Spitze. Ein Festival der filmischen Sensation oder doch ein manieristisches Werk für seine Fans? Darüber streiten sich die Filmgelehrten sicher. Ich selbst kenne vom Regisseur neben dem vorliegenden Film bisher nur seine letzten beiden, Grand Budapest Hotel (2014) und den Stop-Motion-Animationsfilm Isle of Dogs – Ataris Reise (2018). Doch bereits in diesen fällt die idiosynkratische Machart Andersons besonders auf. The French Dispatch fungiert in doppelter Hinsicht als Hommage. Einerseits an das 1925 gegründete, traditionsreiche Magazin The New Yorker und die darin über die Jahrzehnte erschienenen Kurzgeschichten, Rezensionen, Essays, Gedichte, Cartoons sowie journalistische Texte. Andererseits auch an Andersons Wahlheimat Frankreich, deren genussvolle Lebensart und reichhaltige Kulturlandschaft.
Gedreht wurde von November 2018 bis März 2019 in der französischen Stadt Angoulême. Dort ergänzte das Team um Szenenbildner Adam Stockhausen das Stadtbild um weitere Kulissen. Eine leerstehende Fabrik wurde außerdem zum Filmstudio umgebaut. Angoulême macht als Schauplatz des Internationalen Comicfestivals, der größten Veranstaltung dieser Art in Europa, nicht nur aufgrund seiner speziellen Architektur Sinn. Denn nicht nur das Artwork zum Film sieht nach sequentieller Kunst aus, generell scheint hier eine hochwertige Graphic Novel zum Leben erweckt worden zu sein. Wie üblich hat Wes Anderson auch hier wieder ein schier endloses Starensemble versammelt. Neben den bereits in der Inhaltszusammenfassung erwähnten Namen sieht man außerdem noch bekannte Darsteller wie Elizabeth Moss (Mad Men, The Handmaid’s Tale), Edward Norton, Willem Dafoe, Saoirse Ronan (alle drei in Grand Budapest Hotel), und den allgegenwärtigen Christoph Waltz in kleinen bis winzigen Nebenrollen. Manche Akteure begnügen sich sogar damit, für ein paar Sekunden durchs Bild zu laufen oder still im Hintergrund einer Szene zu sitzen. Ein exzellentes Ensemble, aus welchem Benicio del Toro als impulsiv-wortkarger Maler, Tilda Swinton als glamouröse Kunstkennerin mit Überbiss, Frances McDormand als resolute Journalistin und Jeffrey Wright als überaus eloquenter Essenskritiker mit typographischem Gedächtnis etwas herausragen.
Es ist schlicht erstaunlich wie viel Anderson an Details in Form von Kulissen, Requisiten, geschliffenen Dialogen bzw. Monologen und mehr in die gut 100 Minuten Spielzeit gepackt hat. Diese Fülle an Ideen und verspielten Elementen wirkt beim Schauen überfordernd und anstrengend. Mann müsste den Film eigentlich mehrmals anhalten oder mit halber Geschwindigkeit ansehen, um die zahlreichen Details alle zu erhaschen. The French Dispatch lässt mit seinem Tempo dem Zuschauer wenig Ruhe. Da wechselt das Bild mal von schwarzweiß zu farbig, wird wortwörtlich Kulissenschieberei betrieben oder Szenen im Splitscreen gezeigt. Eine kurze Sequenz auf einer Theaterbühne und eine Zeichentrick-Verfolgungsjagd dürfen ebenso wenig fehlen. Bei all dem herrlichen Übersprudeln von geistreichen Schnipseln hat Anderson allerdings die emotionale Komponente vergessen oder absichtlich weggelassen. In Grand Budapest war es die väterliche Beziehung zwischen Concierge und Lobby Boy, in Isle of Dogs die tiefe Freundschaft zwischen Junge und Hund. Eine solche Vertiefung fehlt in The French Dispatch leider. Ein wortgewandter, bunter, chaotischer und immer wieder überaus witziger Bilderreigen mit zu wenig Tiefgang.
Fazit: Detailverliebter, vollgestopfter und hochkarätig besetzter Reigen als Hommage an amerikanischen Auslandsjournalismus und französische Lebensart, bei welchem sich Wes Anderson etwas zu sehr auf seinen Stil verlässt. 7 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 24. Oktober 2021. Bilder: Searchlight.
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