The Gravedigger’s Wife

Das 48. Internationale Filmwochenende in Würzburg findet, nach einer rein digitalen Filmwoche in 2021, vom 27. Januar bis 2. Februar 2022 als Hybridveranstaltung statt. Filme können sowohl in begrenzter Kapazität bis 30. Januar im Kinosaal angesehen als auch online gestreamt werden. Am 26. Januar wurde das Festival mit The Gravedigger’s Wife von Khadar Ayderus Ahmed eröffnet.


The Gravedigger’s Wife (Guled & Nasra)
Drama Finnland, Somalia, Deutschland, Frankreich, Katar 2021. 83 Minuten. Kinostart: unbekannt.
Mit: Omar Ahdi, Yasmin Warsame, Kadar Abdoul-Aziz Ibrahim, Samaleh Ali Obsieh, Hamdi Ahmed Omar, Awa Ali Nour, Fardouza Moussa Egueh u.a. Drehbuch und Regie: Khadar Ayderus Ahmed.

 

 


Die Odyssee des Totengräbers

Totengräber Guled (Omar Ahdi) lebt mit seiner Frau Nasra (Yasmin Warsame) und Sohn Mahad (Kadar Abdoul-Aziz Ibrahim) in einer kleinen Hütte am Stadtrand von Dschibuti. Das Leben ist hart, nicht nur weil Guled in seinem Beruf oft wenig Einkünfte hat, sondern auch weil Nasra seit einiger Zeit an einer chronischen Nierenentzündung leidet. Als sich Nasras Zustand zusehend verschlechtert und viel Geld für eine lebensnotwendige Operation gebraucht wird sieht sich Guled gezwungen, den weiten Weg in sein Heimatdorf zu gehen, um von seiner Familie, die er vor Jahren verlassen hatte, seinen Anteil am Erbe zu fordern. Auch Mahad versucht mit kleinen Aushilfsjob etwas Geld zu verdienen…

Khadar Ayderus Ahmed wurde 1981 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu geboren. 1997 floh er mit seiner Familie aus Somalia und landete in Finnland, wo Ahmed noch heute lebt. Nach diversen Kurzfilmen inszenierte Ahmed mit The Gravedigger’s Wife (auch unter dem Titel Guled & Nasra bekannt) sein Langfilmdebüt als Regisseur. Die Idee kam ihm 2011 durch eine Trauerfeier in der Familie. Entgegen der Gepflogenheiten in Finnland werden in Somalia die Verstorbenen gemäß islamischen Traditionen sehr schnell begraben, meist innerhalb von nur einigen Stunden. Vor Krankenhäusern warten die Totengräber darauf, dass jemand stirbt und sie wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Protagonist Guled gehört zu so einer Gruppe.

Auch wenn man ihm riet teils auf Französisch zu drehen, so bestand Khadar Ayderus Ahmed darauf, ausschließlich in Somali zu drehen. Er wollte einen authentischen Film über das Leben in seinem Heimatland machen. Gedreht wurde 2019 in Dschibuti, der Hauptstadt des gleichnamigen Nachbarlandes Somalias Stadt. Bis auf die beiden Hauptdarsteller setzte Ahmed nur auf Akteure, die er vor Ort auf der Straße castete und von denen die meisten sicherlich vorher keine Schauspielerfahrung hatten. Für die Hauptrollen wurden Omar Ahdi, der wie Ahmed ebenfalls in Finnland lebt, als Guled und das kanadische Model Yasmin Warsame als Nasra verpflichtet. Beide stammen ursprünglich aus Somalia.

Ähnlich wie der letztes Jahr auf dem Filmwochenende gezeigte senegalesische Beitrag Nafi’s Father (2019) wirkt auch The Gravedigger’s Wife überaus lebensecht und beinahe dokumentarisch. Ahmed und sein finnischer Kamermann Arttu Peltomaa beschönigen hier wenig. Guled lebt mit seiner Familie in einer Siedlung notdürftiger Hütten (aus Holz und Wellblech) ohne Strom und fließendes Wasser. Sein Broterwerb gestaltet sich aufgrund der unsteten Arbeit als Totengräber schwierig. Sohn Mahad schwänzt die Schule und treibt sich mit anderen Kindern herum. Und Nasras schwere Erkrankung macht das ohnehin schon sehr entbehrungsreiche Leben noch schwerer. Um heiraten zu können haben die Eheleute vor Jahren ihre Hirtenfamilien verlassen und mit diesen gebrochen. Die Situation wird immer bedrohlicher. Und doch drückt The Gravedigger’s Wife zu keiner Zeit auf die Tränendrüse und vermeidet Betroffenheitskitsch.

Guled scheint trotz der fast ausweglosen Geschichte nie die Hoffnung aufzugeben und macht sich auf eine überaus beschwerliche Odyssee zu seiner Familie, um sein Erbe einzufordern und so das Geld für Nasras Operation aufbringen zu können. Dabei kämpft er sich tagelang durch karge Steppenlandschaften und lebensfeindliche Steinwüsten. Khadar Ayderus Ahmed, der auch das Drehbuch schrieb, reduziert die Handlung und das Figurenpersonal auf das Wesentliche, macht dabei das Beste aus der kurzen Laufzeit von 83 Minuten. Zur authentischen Stimmung trägt neben dem Setting auch die Musik vom deutschen Komponisten Andre Matthias (Gaza Mon Amour), der viel Lokalkolorit einfließen lässt. Trotz aller ernster Thematik liefert The Gravedigger’s Wife keinen filmischen Elendstourismus. Ein wenig Humor darf auch nicht fehlen. Ein bewegendes Werk über das Leben mit Armut und Krankheit, bedingungslose Liebe und den Zusammenhalt einer kleinen Familie. Erstmals wurde mit der finnisch-somalisch-französisch-deutsch-katarischen Co-Produktion (u.a. Arte und ZDF waren involviert) ein Film aus Somalia für den Auslandsoscar bei der Verleihung 2022, deren Nominierungen noch ausstehen, eingereicht.

Fazit: Authentisches, universell funktionierendes, bewegendes Drama über das harte Leben in Ostafrika. 8 von 10 Punkten.

 


Guled und Nasra sind unzertrennlich

 

 

Marius Joa, 27. Januar 2022. Bilder: Orange Studio.

 

 

 


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