The Namesake

Viele Filme versuchen, den Zuschauer zu Tränen zu rühren, wobei es schwierig ist, auf Kitsch zu verzichten. Einige Filme sind dabei erfolgreicher als andere. Sarah Böhlau über Mira Nairs Familienepos The Namesake.

The Namesake
Drama, USA 2006. Regie: Mira Nair. Drehbuch: Sooni Taraporevala.
Mit: Tabu, Irfan Khan, Kal Penn, Sahira Nair, Jacinda Barrett.
122 Minuten. FSK: Ab 6.

Heimat und Zuhause

Es beginnt mit dem jungen bengalischen Studenten Ashoke Ganguli (Irfan Khan), der 1974 mit dem Zug durch Indien reist und dabei Gogols „Der Mantel“ liest. Ein Mitreisender rät ihm, Indien zu verlassen und sich die Welt anzusehen. Dann gibt es ein schreckliches Zugunglück, das Ashoke nur knapp überlebt. Drei Jahrzehnte später sitzt sein Sohn Gogol (Kal Penn) auf ähnliche Weise in einem Zug und liest den russischen Schriftsteller, nach dem er benannt wurde.
Der Film verfolgt die Geschichte der Familie Ganguli über etwa diesen Zeitraum. Wir lernen die junge Inderin Ashima (Tabu) kennen, die mit Ashoke eine arrangierte Ehe eingeht und mit ihm nach New York zieht. Ashima leidet in Amerika unter der Kälte und der kulturellen Fremdheit, doch die Beziehung zum sanftmütigen Ashoke festigt sich schnell. Das Ehepaar freundet sich mit anderen bengalischen Familien in New York an, die Einsamkeit verschwindet, aber das Heimweh bleibt. Erst ihre beiden Kinder Gogol und Sonia (Sahira Nair) akklimatisieren sich im Westen und fühlen sich als Amerikaner. Gogol macht Karriere als Architekt und beginnt eine Beziehung mit einer Upperclass-Tochter. Zusehens nabelt er sich von der elterlichen Kultur ab, bis ein Schicksalsschlag die Familie wieder zusammenbringt.

Ashima (Tabu) und Ashoke Ganguli (Irfan Khan).

Zunächst mal muss klargestellt werden: Dies ist kein Bollywoodfilm, sondern eine nach eher westlichem Kinogeschmack gezählte Geschichte über eine indische Familie in den USA.

Die indische Regisseurin Mira Nair (Salaam Bombay!, Vanity Fair) lebt in Amerika und sieht sich und ihre Filme gerne als Vermittler zwischen Kulturen. Auch ihr neuer Film The Namesake steht unter diesem Programm. Der Film erzählt von Fremdheit und Freundschaft, Einsamkeit und Vertrautheit, vom Erwachsenwerden und Selbstfindung, von Familie, Namen und kulturelle Identität, von der Liebe, dem Tod. Das Drehbuch basiert auf dem Roman von Pulitzerpreisträgerin Jhumpa Lahiri.

Namen, so deutet bereits der Titel (= „Der Namensvetter“) an, haben eine enorme Bedeutung für den Film. Dies betrifft natürlich vor allem Gogol, auf den sich der Film nach Erzählung der Elterngeschichte schnell fokussiert. Gogol kämpft mit seinem Namen: Anfangs wurde ihm Gogol als Kosenamen gegeben, denn der eigentliche Rufname Nikhil wurde von der Großmutter in Indien gewählt und erreicht Amerika zu spät mit der Post. Als Kind jedoch besteht Gogol auf seinem Kosenamen, und die Eltern, die der Film niemals anders als nachgiebig und liebevoll zeigt, lassen ihm seinen Willen. Als Teenager dann mit der Lebensgeschichte seines „Namesake“ konfrontiert, lehnt Gogol den Namen ab und lässt sich wieder in Nikhil („Nick“) umtaufen. Später erzählt ihm sein Vater die Geschichte des Zugunglücks und welche Rolle Gogol seitdem in seinem Leben spielt. Nach dem Tod seines Vaters verstrickt sich Gogol in Schuldgefühlen, weil er seinen Vater durch Desinteresse verletzt hat. Jahre später findet er eine Gogol-Gesamtausgabe, die ihm Ashoke zum Schulabschluss schenkte und schließt den Erzählkreis, indem er sich mit dem Buch in einen Zug setzt und zu lesen beginnt.

Da es in The Namesake auch um Erinnerung geht, baut Mira Nair viele einander spiegelnde Szenen in ihren meist streng chronologisch aufgebauten Film ein: Die beiden Zugfahrten, das Kahlrasieren des Schädels nach einem Trauerfall, der Weg zum Flughafen, Ashimas Gesangsunterricht in der ersten und auch in der letzten Szene, in der sie auftritt.

Zwischen den wichtigen Szenen im Leben der Familie Ganguli springt der Film oft um mehrere Jahre vorwärts. Eben noch war Gogol ein kleiner Junge, in der nächsten Szene schon ein genervter Teenager.

Mira Nair bleibt brav und friedlich – es wird sich kaum ernsthaft gestritten, Gewalt gibt es nicht und Sexszenen werden überschnitten. Auch die gesellschaftlichen Probleme Indiens und Amerikas werden kaum andeutet. Der Schmerz der Protagonisten ist zunächst nur ein leiser, der mit dem Fortschreiten des Films immer lauter wird. Am Ende fließen die Tränen des Zuschauers (zumindest meine). The Namesake ist ein einfach wunderschöner Film, ruhig erzählt, ohne große dramaturgische Knalleffekte und mit anmutigen Landschaftsaufnahmen von Indien.

Fazit: Traurig, versöhnlich und wunderschön. 9 von 10 Punkten.


Gogol (Kal Penn) stellt seine Freundin vor.

Ehepaar Ganguli.
Sarah Böhlau, 02. Juli 2007. Bilder: Fox.

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