The New Mutants

Kaum zu glauben. Aber nach diversen Verschiebungen hat es The New Mutants, der vorläufig letzte X-Men-Film, auch hierzulande doch noch in die Kinos geschafft. Hat es sich die lange Wartezeit gelohnt?


The New Mutants
Comicverfilmung/Horror USA 2020. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 94 Minuten. Kinostart: 10. September 2020.
Mit: Blu Hunt, Maisie Williams, Anya Taylor-Joy, Charlie Heaton, Henry Zaga, Alice Braga u.a. Nach den Comics von Chris Claremont und Bob McLeod. Drehbuch: Josh Boone und Knate Lee. Regie: Josh Boone.

 


Generation X 2.0

Nachdem ein verheerender Tornado ihr ganzes Reservat zerstört und ihre Familie getötet hat erwacht die junge Cheyenne-Frau Danielle „Dani“ Moonstar (Blu Hunt) in einem mysteriösen Krankenhaus. Die anwesende Ärztin Dr. Cecilia Reyes (Alice Braga) erklärt Dani, dass sie eine Mutantin sei und sich in einer Einrichtung befindet, um den Umgang mit ihren Kräften zu erlernen. Vier weitere junge Mutanten leben unter Reyes‘ Obhut: die androgyne Schottin Rahne (Maisie Williams), die sich in einen Wolf verwandeln kann, die arrogante und magisch begabte Russin Illyana (Anya Taylor-Joy) sowie Sam aus den USA, der sich mit ungeheurer Geschwindigkeit bewegen kann, und Roberto, der Sohn einer reichen brasilianischen Familie mit der Fähigkeit, zum „Feuerball“ zu mutieren. Dani findet sich zu Beginn eher schwer in der Gruppe zurecht. Außerdem nehmen schaurige Ereignisse ihren Lauf und Dr. Reyes erscheint nicht so vertrauenswürdig wie sie behauptet…

Ehrlich gesagt hätte ich es ja nicht mehr für möglich gehalten, dass ich The New Mutants, den letzten Film aus dem X-Men-Universum vor der Übernahme des Studios Fox durch Disney, jemals im Kino sehen würde. Nach unzähligen Verschiebungen (zuletzt wegen der Corona-Pandemie) mehrten sich die Gerüchte, das Micky-Maus-Imperium plane die Comicverfilmung auf einem Streamingdienst „abzuschieben“. Dass sich diese nicht bewahrheiteten und es doch noch zu einem regulären Kinostart kam (28. August in den USA, 10. September 2020 hierzulande) grenzt wahrlich an ein Wunder. Dem verhaltenen Kritiker-Echo kann ich mich – ähnlich wie bei Dark Phoenix (2019) im letzten Jahr – nicht anschließen. New Mutants mag sicherlich nicht zu den Highlights der Filmreihe zählen, macht dann aber doch Einiges richtig.

Nach seinem Erfolg mit der Jugendbuch-Adaption Das Schicksal ist ein mieser Verräter (OT: The Fault in Our Stars, 2014) entwickelte Regisseur Josh Boone gemeinsam mit seinem besten Freund, dem Drehbuchautoren und Produzenten Knate Lee, eine mögliche Verfilmung der von Autor Chris Claremont und Zeichner Bob McLeod initiierten Comic-Reihe The New Mutants, die sich um eine Gruppe junger Mutanten dreht und im Universum der bekannten Marvel-Comichelden namens X-Men spielt. Erste Entwürfe fanden bei X-Men-Produzent Simon Kinberg Anklang und so gab Fox im Mai 2015 grünes Licht für den Film. Ähnlich wie die „unangepasste“ Meta-Satire Deadpool (2016) sollte New Mutants zwar zur X-Men-Filmreihe gehören, aber dennoch seinen eigenen Stil erhalten, und zwar in Richtung Horror gehen. Die Dreharbeiten fanden von Juli bis September 2017 überwiegend im US-Bundesstaat Massachusets statt und ein Kinostart im April 2018 war geplant. Doch im Januar 2018 wurde dieser auf Februar 2019 verschoben, einerseits um Deadpool 2 (2018) aus dem Weg zu gehen, und anderseits wollte Boone Nachdrehs vornehmen, um den Film gemäß seiner ursprünglichen Vision gruseliger zu gestalten. Wegen der Verlegung von Dark Phoenix wurde „TNM“ im März 2018 schließlich auf August 2019 verlegt. Diverse Pläne für die Einbindung in das Mutanten-Universum wurden mit der Zeit allerdings verworfen und als Fox im März 2019 von Disney aufgekauft wurde hatten die geplanten Nachdrehs noch nicht stattgefunden. Der Mäuse-Konzern verschob den Kinostart wiederum auf April 2020. Boone war in der Zwischenzeit mit The Stand, einer TV-Adaption des gleichnamigen Romans von Stephen King, beschäftigt. Weil die jungen Darsteller in der Zwischenzeit älter geworden waren, entschloss man sich gegen die geplanten zusätzlichen Dreharbeiten und stellte den Film ohne diese fertig.

Das Hauptproblem von The New Mutants dürfte sein, dass die diversen gestreuten Anspielungen und die Entwicklung der titelgebenden Gruppe junger Menschen ins Leere läuft. Durch den Verkauf von Fox an Disney sind alle Pläne für eine mögliche Trilogie Makulatur und Boones Film somit das ungeliebte Adoptivkind des Mäuse-Imperiums, dem man halt irgendwie noch Aufmerksamkeit widmen musste, die sich glücklicherweise in einem (im Rahmen der Folgen der Covid-19-Pandemie) regulären Kinostart niedergeschlagen hat. Ansonsten gelingt es Boone und Lee die Figuren gut einzuführen und ihnen im Rahmen der jetzt nicht epischen Laufzeit halbwegs ordentlich Raum zur Entfaltung zu geben, wobei Dani, Rahne und die „durchgeknallte“ Illyana deutlich im Mittelpunkt. Überhaupt wirkt das vorerst letzte Mutantenabenteuer abseits der Horror-Momente und effektlastigen Szenen eher wie ein Kammerspiel, zumal sich das Personal mit wenigen Ausnahmen auf die fünf Teenager und ihre Aufpasserin reduziert.

Im Grunde bietet die Story den üblichen Verlauf hinsichtlich der Gruppendynamik seiner jungen Helden ohne jedoch in Klischees abzudriften. Insgesamt hat mich diese Comicverfilmung an Generation X erinnert, eine fürs Fernsehen produzierte Light-Version der X-Men, die ebenfalls auf einem Spinoff-Comic aus dem Hause Marvel basierte und nicht über den Pilotfilm hinaus kam. Doch während The New Mutants weitgehend klassische Motive von Teenie-Streifen und Horror-filmen bedient, fällt Boones Film durch das Fehlen eines echten Antagonisten positiv aus der Reihe. Zudem verzichtete man ziemlich auf Computereffekte, lediglich etwa zehn Prozent der Szenen wurden vor Greenscreen aufgenommen. Mit Maisie Williams (hier als „Werewölfin“, in Game of Thrones als Tochter der „Wolfsfamilie“ Stark), Anya Taylor-Joy (The Witch, Split, Emma.[2020]) und Charlie Heaton (Stranger Things) werden hier außerdem aufstrebende Jungschauspieler aufgeboten.

Auch wenn die kolportierte Version mit mehr Horror nicht zustandekam, so geht auch die vorliegende Fassung mit seinen unheimlichen unverstörenden Vorgängen in dem als Hauptschauplatz dienenden, fast leerstehenden Krankenhaus sehr in diese Richtung. Obwohl „New Mutants“ in lediglich etwa 90 Minuten mehrere Genres in einem vereint – Comicverfilmung, Coming-of-Age-Drama, Psycho-/Horror-Thriller – hatte ich zu keiner Zeit den Eindruck, hier ein thematisch unentschlossenes oder halbgares Werk zu erleben. Sicherlich hätte man den Figuren etwa mehr Hintergrund-Stories und Tiefgang geben können, aber „TNM“ funktioniert diesbezüglich eben wie der allererste X-Men-Film von vor 20 Jahren: als Einführungsappetizer. Nur, dass es eben mit diesen jungen Mutanten leider nicht weitergehen wird.

Fazit: Trotz aller Unkenrufe und Terminverschiebungen durchaus gelungene Comicverfilmung mit deutlichen Horror-Anteil, die leider niemals fortgesetzt wird. 7 von 10 Punkten.

 


Marius Joa, 16. September 2020. Bilder: Marvel/Fox.

 

 

 


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