The Northman

Durch seine eigenwilligen Horrorfilmen The VVitch (2015) und Der Leuchtturm (2019) hat sich Robert Eggers in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Mit The Northman erweckt er auf ungezähmte Weise das Zeitalter der Wikinger wieder zum Leben.


The Northman
Historiendrama USA 2022. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 137 Minuten. Kinostart: 21. April 2022.
Mit Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Claes Bang, Anya Taylor-Joy, Gustav Lindh, Ingvar Eggert Sigurðsson, Elliott Rose, Oscar Novak, Olwen Fouéré, Willem Dafoe, Ethan Hawke u.a. Drehbuch: Sjón und Robert Eggers. Regie: Robert Eggers.

 

 


Die Rache des Berserkers

895 nach Christus. Prinz Amleth (Oscar Novak) wächst als Sohn des Königs Aurvandill (Ethan Hawke) und dessen Gattin Gudrun (Nicole Kidman) heran. Kurz nachdem Aurvandill von einem erfolgreichen Raubzug zurückkehrt wird dieser von seinem eigenen Bruder Fjöllnir (Claes Bang) ermordet. Amleth kann fliehen und schwört, seinen Vater zu rächen und seine von Fjöllnir in Besitz genommene Mutter zu retten. Jahrzehnte später hat sich der erwachsene Amleth (Alexander Skarsgård) einem anderen Wikingerstamm angeschlossen, der im Land der Rus auf Beutezüge geht. Nach dem Überfall auf ein Dorf wird Amleth von einer geheimnisvollen Seherin (Björk) sein Schicksal wieder in Erinnerung gerufen. Heimlich mischt er sich unter eine Gruppe Sklaven, die an seinen Onkel verkauft werden um so die Gelegenheit zur Vergeltung zu erhalten. Dabei steht ihm die junge slawische Hexe Olga (Anya Taylor-Joy) zur Seite. Doch Amleth muss erst noch einige Prüfungen bestehen, um sein Schicksal zu erfüllen…

Unabhängig voneinander wollten der schwedische Schauspieler Alexander Skarsgård (True Blood, Big Little Lies) und der amerikanische Filmemacher Robert Eggers (The VVitch, Der Leuchtturm) einen Film über Wikinger machen. Skarsgård arbeitete schon eine Zeit lang gemeinsam mit dem Produzenten Lars Knudsen (Midsommar) an einer Story. Eggers wiederum wurde durch eine Reise nach Island inspiriert, als er die Musik-Ikone Björk traf, die ihm Bücher über isländische Hexenkunst zeigte und ihn mit ihrem langjährigen Schreib-Partner, dem Dichter Sjón, bekannt machte. Als sich Skarsgård und Eggers wegen eines anderen Projektes trafen kam auch das gemeinsame Interesse an einem Wikinger-Film zur Sprache woraus das vorliegende Werk entstand. Skarsgård übernahm die Hauptrolle und fungierte als einer der Produzenten während Eggers und Sjón das Drehbuch schrieben, welches Eggers umsetzte. The Northman ist allerdings kein typischer, leicht verdaulicher Hollywood-Historien-Blockbuster, sondern genau das Gegenteil: ein gewaltiger düsterer Rache-Trip in finstere Zeiten.

Historienfilme aus Hollywood machen es sich in der Darstellung vergangener Epochen gerne etwas einfach. Da werden Kleidung sowie Werkzeuge/Waffen aus unterschiedlichen Zeiten gemischt und die geschichtlich inspirierten Handlung gerne mit Werten wie „Ehre“ und „Freiheit“ als einfachste Konzept unterfüttert, auch damit der ganze Film nicht zu kompliziert wirkt. Bisweilen, etwa bei Ridley Scotts Monumentalfilm-Revival Gladiator (2000), schwingt dann noch etwas der gängige Patriotismus des US-Kinos mit. Nicht so bei The Northman. Dieser entpuppt sich als in jeglicher Hinsicht kompromissloses Unterfangen. Die Sage um Amleth der sich an seinem Onkel für den Tod seines Vaters rächen will, findet sich in Quellen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. William Shakespeare wurde durch den Stoff zu seinem weltbekannten Drama Hamlet aus dem Jahre 1602 inspiriert. Ähnlich düster, aber dialogmäßig nicht ganz so ausschweifend gestaltet sich die Version von Eggers und Sjón. Denn das Autorenduo vollbringen etwas, was ansonsten nur wenige Historien-Produktionen (wie etwa die sehr aufwändige HBO-Serie Rom) wirklich durchziehen. Sie verwässern die Geschichte nicht mit den Moralvorstellungen aus unserer heutigen Zeit, sondern transportieren das Menschenbild der Wikinger. So wird mit größtmöglicher Authentizität bei Kulissen und Requisiten das Zeitalter der als Wikinger bekannten kriegerischen Seefahrer auf der Leinwand zu neuem Leben erweckt. Ähnlich wie John Boormans Fantasyklassiker Excalibur (1981) und dem letztes Jahr veröffentlichten The Green Knight gehen in der Welt von The Northman Realität und Magie Hand in Hand. Die Anwesenheit übersinnlicher Mächte ist förmlich spürbar und machen dem Protagonisten immer wieder bewusst, dass er sein Schicksal erfüllen muss, von welchem es für ihn trotz der zwischenzeitlichen Abkehr kein Entkommen gibt.

Eggers zeigt sich auch bei der Inszenierung als kompromisslos. Aufwändige Szenen wie der Überfall der sich in einen Zustand der ultimativen Raserei befindenden Wikinger auf ein slawisches Dorf werden minutiös im Voraus geplant und mit langen Einstellungen ohne den Einsatz von Handkameras gedreht. CGI sucht man vergeblich. Die Dreharbeiten fanden fast ausschließlich in Nordirland statt wenngleich einige der atemberaubenden Landschaftspanoramen aus Island, wo sich ein Großteil der Handlung abspielt, stammen. Der Cast besteht in den wichtigsten Rollen etwa zur gleichen Teilen aus skandinavischen und englischsprachigen Darstellern. Hauptdarsteller Alexander Skarsgård wirft sein ganzes Können in die Rolle des Amleth. Der Sohn von Stellan Skarsgård hat sich für den Film durch massig Training in einen muskelbepackten Berserker verwandelt und spielt zeitweise wie entfesselt auf, ohne jedoch zu dick aufzutragen. Oscar-Gewinnerin Nicole Kidman (2003 für The Hours) als Amleths Mutter Gudrun und Claes Bang (Dracula [2020]) als Fjöllnir erhalten ebenso Gelegenheit ihre Figuren ambivalent zu gestalten. Die weiteren Stars Ethan Hawke (Before-Trilogie, Boyhood) als Aurwandill, Willem Dafoe (Der Leuchtturm) als Heimir und Björk (Dancer in the Dark) in ihrer ersten Filmrolle seit etwa 15 Jahren als Seherin, haben dagegen weniger Screentime. Anya Taylor-Joy (Last Night in Soho), die mit Eggers schon bei The VVitch zusammenarbeitete, verkörpert die magiekundige Slawin Olga, Amleths Verbündete.

The Northman macht zu keiner Zeit irgendwelche Gefangenen. Es wird gemordet, gebrandschatzt und geschändet. Selbst der „Held“ der Geschichte mutiert auf dem Weg zu seiner Rache, die sein einziger Lebensinhalt zu sein scheint, zum Serienkiller. Dabei wird auch nichts an der hier gezeigten Lebensweise irgendwie beschönigt oder romantisiert. Im Gegenteil, durch die ganze Düsternis und Brutalität im Zusammenhang mit einer eigenwilligen Inszenierung vermag der Film längst vergangene finstere Zeiten des Frühmittelalters auf einmalige Weise wieder zuerwecken und diese so für die Zuschauer erfahrbar zu machen, ohne das Ganze jedoch zu banalisieren.

Seit Jahren plant Eggers übrigens eine Neuverfilmung des mittlerweile 100 Jahre alten Horrorfilmklassikers Nosferatu – Eine Symphone des Grauens (1922), wieder mit Anya Taylor-Joy in einer der Hauptrollen. Nach der Sichtung von The Northman würde ich mir wünschen, dass auch dieser Film einmal das Licht der Leinwand erblickt.

Fazit: Authentisches, brilliant gefilmtes, düster-brachiales Rache-Epos, welches die Lebensweise der Wikinger nicht durch unsere heutigen Moralvorstellungen verfälscht und mit Alexander Skarsgård als furiosem Berserker-Antiheld aufwartet. 8 von 10 Punkten.

 

Prinz Amleth und seine Eltern

Fjöllnir tötet seinen Bruder
 

Der erwachsene Amleth als Berserker
 

Björk als Seherin


Olga, die slawische Hexe

 


Marius Joa, 6. Mai 2022. Bilder: Universal.

 

 


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