Schönheit und ewige Jugend, zwei Themen, welche nie aus der Mode kommen. Doch inwieweit das Streben nach diesen Vorzügen auch zum totalen Horror werden behandelt Coralie Fargeat in The Substance, bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet.
—
The Substance
Horror-Thriller/Satire Frankreich, UK 2024. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 140 Minuten. Kinostart: 19. September 2024.
Mit: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid u.a. Drehbuch und Regie: Coralie Fargeat.
Activate. Stabilize. Switch…
Einst war Elizabeth Sparkle (Demi Moore) eine gefeierte Schauspielerin und konnte sogar einen Oscar gewinnen. Mit einer Fitness-Show im Frühstücksfernsehen startete Elizabeth eine erfolgreiche zweite Karriere. Doch an ihrem 50. Geburtstag wird sie vom schmierigen Produzenten Harvey (Dennis Quaid) entlassen, um Platz für eine jüngere Frau zu machen. Und so entschließt sich Elizabeth, die mysteriöse „Substanz“ auszuprobieren, welche ein jüngeres, „perfektes“ Ich verspricht. Nach der Prozedur steigt eine junge Frau (Margaret Qualley) aus Elizabeths Rücken. Die jüngere Version gibt sich den Namen Sue und bewirbt sich erfolgreich um den vakanten Job als Fitnessmoderatorin. Die Wirkung der „Substanz“ ist allerdings an strenge Regeln gebunden. Nach einer Woche müssen Sue und Elizabeth wieder die „Plätze“ tauschen. Sieben Tage Sue und sieben Tage Elizabeth. Doch Sue genießt ihr Leben als neuer Star am Fernsehhimmel und zögert nach einiger Zeit den Wechsel immer wieder hinaus, mit verheerenden Folgen…
Bereits mit ihrem ersten Film als Regisseurin, dem feministischen Rache-Thriller Revenge (2017), sorgte die französische Filmemacherin Coralie Fargeat (geboren 1976), für Aufsehen. Außerdem war Fargeat Miterfinderin, Co-Autorin und Regisseurin der französischen Comedy-Miniserie Les Fées cloches (2007), wobei sie auch eine der Hauptrollen spielte. Von Mai bis Oktober 2022 wurde die zweite Regie-Arbeit der Französin in Paris gedreht. The Substance feierte seine Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Mai 2024, wo Fargeat den Preis für das beste Drehbuch gewann. Die französisch-britische Co-Produktion entpuppt sich als immer groteskere Body-Horror-Satire und gekonnt irre Überzeichnung des Jugendwahns in Hollywood und anderswo.
Das obsessive Streben nach Schönheit und dauerhaft jugendlichem Aussehen kann zu immer mehr kosmetischen Operationen führen, welche dann allerdings übers Ziel hinaus schießen und so manche prominente und/oder schauspielende Person ohne Mimik zurücklässt. Filmisch wurde das Thema auch schon aufbereitet, siehe Joe Dantes Mirare, eine Episode aus der Horror-Anthologie Nightmare Cinema (2018), die Folge The Outside von Ana Lily Amirpour aus Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities (2022) oder der abgründige koreanische Horror-Anime Beauty Water (2020). Das Problem bleibt weiterhin, dass es Schauspielerinnen in Hollywood im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ab einem bestimmten Alter schwer haben, wirklich ernstzunehmende Rollen (abgesehen von der Mutter oder gar Großmutter einer jungen Hauptfigur) zu bekommen. Das liegt natürlich auch daran, dass es für Frauen immer noch zu wenige gute Parts gibt, aber auch am oberflächlichen Frauenbild der Traumfabrik.
Demi Moore (geboren 1961) ging es da vermutlich ähnlich. Nach ihrer Hochphase in den späten 1980ern und 1990ern, mit leading roles in Ghost – Nachricht von Sam (1990), Eine Frage der Ehre (1992), Enthüllung (1994) und G.I. Jane (1997), widmete sich die damalige Ehefrau von Bruce Willis eine Zeitlang ihren Kindern. In den Folgejahrzehnten waren ihr nicht mehr die ganz großen Erfolge vergönnt. Zuletzt ist mir Moore in einer wichtigen Nebenrolle in Amanda Kramers eigenwilligem Musik-Drama Please Baby Please (2022) aufgefallen. Der Verlauf ihrer Karriere macht sie vermutlich zur perfekt geeigneten Hauptdarstellerin für The Substance.
Die Figur der Elizabeth und ihre beliebte Fitness-Show spielt auf die von Jane Fonda und anderen in den Achtzigern losgetretene Aerobic-Welle im Fernsehen an. Doch die Handlung des Films spielt sich dann doch in unserer Gegenwart mit Smartphones und Flachbild-TV-Geräten ab. Auffallend, wie isoliert sich das Leben der Protagonistin gestaltet. Sie scheint keine Familie (mehr) zu haben und auch keine Freunde. Als ihr Engagement beim Fernsehen endet zieht sich Elizabeth in ihr schickes Apartment zurück. Gleiches gilt für das „Original“ (oder wie es im Film heißt: „Matrix“) auch, wenn Sue die vorgeschriebene Woche Pause erhält. Abwechselnd liegen die beiden je sieben Tage leblos im Badezimmer herum.
Irgendwo zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson und Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde hält die Balance zwischen Elizabeth und Sue nicht lange. Was letztere an Zeit und Substanz überzieht wirkt sich negativ auf den körperlichen Zustand der anderen aus. Elizabeth mutiert dadurch kontinuierlich zur entstellten alten Hexe. Eine Metamorphose, die sich immer schauriger und grotesker gestaltet, wobei Coralie Fargeat hier dank überbordendem SFX-Makeup wahrlich in die Vollen geht und darüber hinaus. Im hemmungslos durchgeknallten Finale fühlte ich mich etwas an Peter Jacksons Splatter-Horror-Orgie Braindead erinnert.
Auch die restliche Inszenierung gestaltet sich wenig subtil, was keinesfalls negativ zu werten ist. Der pulsierende Elektronik-Score von Benjamin Stefanski alias Raffertie und das wummernd-dröhende Sounddesign unterstreichen die zunehmend schaurige Situation perfekt. Dazu verwendet Kameramann Benjamin Kracun (Promising Young Woman) Fischaugen-Einstellungen und bleibt meist sehr nah an der Hauptfigur. Den zum Himmel stinkenden Sexismus des Produzenten Harvey (!) und die ganzen patriarchalischen Machenschaften werden überdeutlich, wenn von Sue und ihre Kolleg*innen bei den Aufnahmen überwiegend der Unterleib gefilmt wird und die Fitness-Show kaum mehr als eine Fleischbeschau darstellt.
Demi Moore als Elizabeth und Margaret Qualley (Kinds of Kindness) als Sue agieren hier mit vollem Körpereinsatz und großer Intensität. Den widerlichen Produzenten Harvey gibt Dennis Quaid (Die Reise ins Ich, The Day After Tomorrow) als genüsslichen Schmierlappen der alten Schule. Noch kurioser wäre es nur gewesen, wenn hier Andie MacDowell an der Seite ihrer Tochter gespielt hätte. Doch das wiederum ist cineastisches Wunschdenken.
Fazit: Intensive, im Verlauf immer groteskere Body-Horror-Satire über Schönheits- und Jugendwahn sowie Sexismus in der Unterhaltungsbranche. 8 von 10 Punkten.
—
—
Marius Joa, 22. September 2024. Bilder: MUBI.
Schreibe einen Kommentar