The Zone of Interest

Bei kürzlichen 96. Oscar-Verleihung wurde The Zone of Interest  zweimal ausgezeichnet, darunter als bester internationaler Film. Das Drama von Regisseur Jonathan Grazer beleuchtet das Leben von Auschwitz-Kommandant Höß, der mit seiner Familie direkt neben dem Vernichtungslager wohnte.

The Zone of Interest
Drama UK, Polen, USA 2023: FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 105 Minuten. Kinostart: 29. Februar 2024.
Mit: Sandra Hüller, Christian Friedel, Johann Karthaus, Louis Noah Witte, Nele Ahrensmeier, Lilli Falk, Stephanie Petrowitz, Imogen Kogge u.v.a. Nach dem Roman Interessengebiet von Martin Amis. Drehbuch und Regie: Jonathan Glazer.



Das Paradies inmitten der Hölle

Obersturmbannführer Rudolf Höß (Christian Friedel) ist Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Hedwig (Sandra Hüller), fünf Kindern und mehreren Bediensteten lebt er in einem Haus, dessen Grundstück direkt an das Lager grenzt. Das Heim besitzt zudem einen ausufernden Garten, den Hedwig hat anlegen lassen. Höß trifft sich mit Mitgliedern des Industriebetriebs Topf & Söhne, um den Einbau neuer Einäscherungsöfen voranzubringen. Wenig später erfährt er von seiner bevorstehenden Versetzung zum stellvertretenden Leiter der Konzentrationslager nach Oranienburg, die sich nicht abwenden lässt. Hedwig ist außer sich, als sie davon erfährt und entscheidet sich, in ihrem „Paradies“ zu bleiben.

Zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen, überwiegend Jüdinnen und Juden, wurden im Konzentrationslager Auschwitz im heutigen Polen von den Nazis ermordet. Das Lager wurde von Obersturmbannführer Rudolf Höß (1901-1947) geleitet. Höß wohnte mit seiner Familie direkt nebenan. Der britische Schriftsteller Martin Amis (1949-2023) schrieb darüber den Roman The Zone of Interest (2014), auf deutsch unter dem Titel Interessengebiet erschienen, wobei Amis die Namen der historischen Personen änderte. Regisseur Jonathan Grazer (Sexy Beast [2000], Birth [2004], Under the Skin [2013]), der selbst Jude ist, nahm sich des Themas an. Für sein Drehbuch verwendete Grazer wieder die echten Namen, bezog sich aber nur eher lose auf Amis‘ Roman.

Die Dreharbeiten fanden im Sommer 2021 an Originalschauplätzen statt, wobei das Haus der Familie Höß direkt neben dem echten Gebäude nachgebaut wurde und im Vorfeld ein großer Garten angepflanzt wurde. Der polnische Kameramann Łukasz Żal ließ zehn ferngesteuerte Kameras in und um das nachgebaute Haus sowie Mikrofone installieren, die während der Drehtage kontinuierlich liefen. So wurde eine Art „Big Brother im Nazi-Haus“ inszeniert, in dessen Rahmen die Schauspieler*innen um Sandra Hüller (Anatomie eines Falls) als Hedwig Höß und Christian Friedel (Babylon Berlin) als Rudolf Höß improvisieren konnten. Um eine Ästhetisierung des Schauplatzes zu vermeiden, verzichtete man auf künstliche Beleuchtung.

Von den unfassbaren Grauen im Lager bekommt man während des ganzen Films nichts zu sehen. Durch das subtile Sounddesign von Tarn Williers und Johnnie Burn, welches mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, ist das Lager-Geschehen allerdings als Geräuschkulisse präsent. Doch ähnlich wie Verkehrs- und Baustellenlärm in der Realität blendet man diese als Zuschauer*in auf schaurig-kuriose Weise ziemlich aus, genau wie die Figuren im Film. Es ist an absurder Grausamkeit und Irrsinn nicht zu überbieten, dass sich Hedwig und Rudolf Höß direkt neben der Nazi-Vernichtungsmaschinerie ein idyllisches Paradies eingerichtet haben. So nah und doch irgendwie auch so fern vom Grauen. Grazer ließ Musikerin Mica Levi (Monos) einen kompletten Score komponieren, den er allerdings kaum verwendete.

Mit wenigen Ausnahmen präsentiert sich The Zone of Interest überaus dokumentarisch. Man hat irgendwie das Gefühl digital restauriertes Filmmaterial von vor 80 Jahren zu sehen, so authentisch wirkt das Geschehen aufgrund des erwähnten Kamera-Settings. Davon ausgenommen sind mit Nachtsichtkamera gefilmte Szenen mit einem Mädchen, welches heimlich Essen für die Zwangsarbeiter des Lagers auf den Feldern versteckt. Diese Figur beruht auf der polnischen Widerstandskämpferin Aleksandra Bystroń-Kołodziejczyk (1927-2016), welche Grazer während seiner Recherchen vor ihrem Tod traf. Martin Amis wiederum starb am 19. Mai 2023, dem Tag der Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes.

Die Subtilität, mit welcher die Filmschaffenden hier vorgegangen sind, verdeutlich das schaurige Nebeneinander von persönlichem Glück auf Kosten anderer und grausigem Völkermord. Eben dadurch, dass Glazer und sein Team hier eben nicht den großen inszenatorischen Holzhammer auspacken wirkt das Gezeigte und Gehörte so eindringlich.

Fazit: Dokumentarisches Drama über das Leben in direkter Nachbarschaft zur Hölle von Auschwitz. 8 von 10 Punkten.



Marius Joa, 17. März 2024. Bilder: Leonine.


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