Wenn ein Film sowohl in den Feuilletons der großen Zeitungen als auch in Kinozeitschriften geradezu euphorisch besprochen wird, kann man sich normalerweise sowohl als dem Programmkino zugeneigter als auch als Unterhaltung suchender Zuschauer auf einen guten Film freuen. Ob das auch auf den von Kritikern hoch gelobten neuen Film Tödliche Entscheidung von Altmeister Sidney Lumet zutrifft? Lena Stadelmann war im Kino.
Tödliche Entscheidung (Before The Devil Knows You’re Dead)
Drama, USA 2007. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. 117 Minuten. Deutscher Kinostart: 10. April 2008.
Mit: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Marisa Tomei, Albert Finney, Rosemary Harris u.a. Regie: Sidney Lumet.
Eine schrecklich nette Familie
Andy Hanson (Philip Seymour Hoffman) ist erfolgreich in seinem Beruf als Buchhalter und hat eine wunderschöne Frau (Marisa Tomei), die ihn liebt. Eine Konstellation, die für viele ein durchaus glückliches Leben bedeuten würde, doch Andy ist dabei, alles zu verspielen, denn er ist drogensüchtig. Um das zu finanzieren, veruntreut er Firmengelder und vernachlässigt außerdem seine Frau, die deshalb Trost in einer Affäre mit Andys geschiedenem Bruder Hank (Ethan Hawke) sucht. Hank ist ein Verlierer auf der ganzen Strecke, der ständig unter Geldnot leidet und deshalb mit dem Unterhalt für seine Tochter in Rückstand gerät. Aus diesem Grund lässt er sich nur zu gern auf Andys perfiden Plan ein, das Juweliergeschäft ihrer Eltern auszurauben – wobei Hank den Überfall alleine durchführen soll, während das Geld später brüderlich geteilt wird. Alles ist so durchdacht, dass niemandem ein Schaden entsteht, da die Versicherung für das Juweliergeschäft haften wird. Doch Hank kneift und zieht den Kleinkriminellen Bobby an Bord, ohne zu wissen, dass dieser eine Pistole mit zum Überfall nimmt und damit eine tödliche Verkettung von Ereignissen in Gang bringt…
Was sollte man an diesem Film auszusetzen haben: Mit Sidney Lumet (Die 12 Geschworenen, Hundstage) sitzt ein Mann auf dem Regiestuhl, der auf über 50 Jahre „Berufserfahrung“ zurückblicken kann, die darüber hinaus mit mehreren Oscars, unter anderem den für das Lebenswerk, ausgezeichnet wurde. Unter den Schauspielern befinden sich mit Philip Seymour Hoffman (Capote, Der Krieg des Charlie Wilson) und Marisa Tomei (Was Frauen wollen, Alfie) zwei Oscarpreisträger und mit Albert Finney (Big Fish, Ein gutes Jahr) und Ethan Hawke (Gattaca, Training Day) zwei Oscar-Nominierte. Das Drehbuch beschäftigt sich intensiv mit der Frage nach Schuld und inwieweit sich einzelne Handlungen oder Äußerungen langfristig auswirken. Stück für Stück wird nachgebildet, was die Ursache für den Überfall und seine schrecklichen Folgen sind, wie diese weiterhin alle Protagonisten beeinflussen und letztendlich zu einem überaus krassen Ende führen.
Was auf dem Papier wie ein richtig guter Film aussieht, lässt im Kinosessel leider etwas zu wünschen übrig. Dass Filme nicht mehr chronologisch erzählt werden, sondern durch ständige Zeitsprünge neue Informationen enthüllen, ist eine Modeerscheinung, die hier nicht vollkommen überzeugen kann. Unnötig sind dabei vor allem die ständigen Einblendungen, wer die jeweils zentrale Figur ist und in welchem zeitlichen Abstand vor oder nach dem Überfall die Sequenz spielt. Eine offenere Handhabung mit dem Stilmittel der Zeitsprünge, die ein Mitdenken des Zuschauers erfordert, hätte vielleicht dabei geholfen, eine stärkere Verbindung herzustellen. Doch der Film wirkt seltsam distanziert, trotz einiger extremer und schockierender Szenen, die den Zuschauer jedoch nicht fesseln oder berühren. Ein großes Problem des Films sind die Charaktere, denn es gibt eigentlich fast nur Antipathiefiguren. Jede neue Wendung, die auch nur einen Hauch Mitleid für die Protagonisten hervorrufen könnte, wird sofort wieder ins Negative verkehrt und die Figuren nach und nach konsequent destruiert. Das kann einem Film in so einem Ausmaß nicht gut tun und bewirkt letztendlich nur, dass man mit einem unbefriedigten Gefühl aus dem Kino kommt und eigentlich nichts im Gedächtnis bleibt, außer einer völlig überflüssigen und unpassenden Softporno-Szene zwischen Marisa Tomei und Philip Seymour Hoffman, die man lieber nicht gesehen hätte. Trotz allem liefern die Darsteller, allen voran Hoffman und Hawke, eine wirklich gute Performance ab, die den Film davor bewahrt, ins Mittelmaß abzudriften. Den hochtrabenden Kritiken kann er allerdings nicht gerecht werden.
Fazit: Letztendlich nur besserer Durchschnitt mit einigen tollen Szenen. 6 von 10 Punkten.
Charles Hanson (Albert Finney) kommt zum Tatort des Überfalls.
Andy (Philip Seymour Hoffman) und Hank (Ethan Hawke) müssen mit ihrer Schuld leben.
Andy wendet sich immer mehr von seine Fraur Gina (Marisa Tomei) ab.
Lena Stadelmann, 26. Mai 2008. Bilder: Koch Media.
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