Nach dem rasanten und effektvollen Blockbuster Alienoid habe ich mir mit Aloners einen weiteren Film aus Südkorea angesehen. Das leise Drama von Spielfilmdebütantin Hong Sungeun handelt von einer jungen Einzelgängerin.
—
Aloners (Honja Saneun Salamdeul)
Drama Südkorea 2021. 91 Minuten. Start: 11. Juli 2022.
Mit: Gong Seung-Yeon, Jeong Da-eun, Park Jeong-hak, Seo Hyun-woo u.a. Drehbuch und Regie: Hong Sungeun.
Vom Geist der Einsamkeit
Die junge Jina (Gon Seung-Yeon) lebt ihr Leben als Einzelgängerin. Ihre Arbeit in einem Callcenter eines Kreditkartenunternehmens verrichtet sie pflichtbewusst und gilt als beste Mitarbeiterin. Ansonsten besteht ihr Dasein nur aus einsamen Mittags- und Raucherpausen, Fertigessen sowie Fernsehen. Widerwillig nimmt Jina den Auftrag der Chefin an, die neue Kollegin Sujin (Jeong Da-eun) einzulernen. Sujin hat Schwierigkeiten, gegenüber den Kunden am Telefon den richtigen Ton zu treffen, und versucht durch kleine Gesten das Verhältnis zu Jina positiv zu gestalten. Die kollegiale Annäherungsversuche blockt Jina aber ab. Auch den Kontakt zu ihrem Vater (Park Jeong-hak) reduziert Jina auf ein Minimum. Ihre Mutter verstarb einige Wochen zuvor. Als jedoch der Nachbar von nebenan tot in seiner Wohnung aufgefunden wird erkennt Jina allmählich, dass sie ihre Lebensweise überdenken muss.
In der Corona-Pandemie war Selbstisolation erwünscht und zeitweise auch staatlich verordnet. Aloners von Hong Sungeun entstand allerdings bereits vor dem Beginn der Auswirkungen von Covid19. Das Langfilmdebüt der 1989 geborenen südkoreanischen Filmemacherin kann also als zeitlose Betrachtung des modernen Einzelgängerdaseins in einer durch Informationstechnologie zunehmend abgekapselten Welt. Die im Film gezeigte Art von freiwilligem Alleinsein nennt man im Koreanischen „honjok“, einer ab etwa 2017 populär gewordenen Lebensweise als Gegenentwurf zum traditionell eher gruppenlastigen Schwerpunkt. Im Gegensatz zum japanischen „hikokomori“, bei welchem sich die betreffenden Personen nur noch in ihrem Zimmer oder ihrer Wohnung aufhalten, geht man bei „honjok“ weiterhin einer Arbeit nach.
Hong, die auch das Drehbuch verfasste, gestaltet ihr fiktionales Werk überaus dokumentarisch und nüchtern. Die Lebensweise der Protagonistin wird dabei weder positiv noch negativ hervorgehoben, sondern mit minimalistischer Inszenierung einfach dargestellt. Es scheint lange Zeit, dass sich Jina in ihrer Einsamkeit irgendwie behaglich eingerichtet hat, auch als Schutzmechanismus gegen eine Umwelt, welche sie möglicherweise ausnutzen möchte, wie es ihr Vater teils tut. Nach dem Tod der Mutter, dessen Ursache nur angedeutet wird, nimmt ihr Vater immer wieder Kontakt mit ihr auf, auch um sie dazu zu überreden, mit ihm in die Kirche zu gehen. Gleichzeitig blockt er aber auch ihre Anrufe, wenn es ihm gerade nicht passt. Durch ihre Anschluss suchende neue Kollegin und den neuen, freundlichen Nachbarn eröffnen sich der Hauptfigur mögliche, weitere Auswege aus ihrer Isolation. Irgendwann erkennt Jina auch, dass sie nicht wie bisher weitermachen kann und etwas ändern muss.
Aloners präsentiert sich über die komplette Laufzeit als völlig leise und ruhig. Das mag einigen Zuschauer*innen zu nichtssagend und langweilig vorkommen, aber diese Herangehensweise erweist sich als die einzig richtige für die Geschichte und die zentrale Person. Selbst als Jina im späteren Verlauf einen emotionalen Ausbruch hat und sichtlich mit der Situation überfordert ist bleibt die Atmosphäre nüchtern und souverän. Hauptdarstellerin Gong Seung-Yeon (My Only Love Song) liefert dahingehend eine bemerkenswerte Performance ab, dass sie die Gefühlsregungen ihrer Figur trotz deren reduzierter Art subtil und wirkungsvoll transportiert.
Aloners von Hong Sungeun ist seit dem 11. Juli 2022 Teil des Angebots von MUBI.
Fazit: Leises, stimmiges Drama über Selbstisolation und Einsamkeit. 8 von 10 Punkten.
—
—
Marius Joa, 5. März 2023. Bilder: Korean Academy of Film Arts/MUBI.
Schreibe einen Kommentar