Dem Arthouse-Streamingdienst MUBI sei Dank stieß ich kürzlich auf den weitgehend vergessenen ungarischen Animationsfilm Bubble Bath von Regisseur György Kovásznai. Welch einmaliges Erlebnis!
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Bubble Bath (Habfürdö)
alternativ: Foam Bath
Animationsfilm/Musical Ungarn 1980. 77 Minuten.
Originalsprecher: Vera Venczel (Anni), Kórnel Gelley (Zsólt), Lenke Lóran (Klári) u.a. Gesang: Albert Antalffy, Kati Bontovits, Katalin Dobos u.a. Drehbuch und Regie: György Kovásznai.
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Irrer Trickfilm-Trip aus Ungarn
Die alleinstehende Krankenschwester Anni (Stimme im Original: Vera Venczel) ist gerade dabei für ihre Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium zu lernen, da klingelt der Schaufensterdekorateur/Innenarchitekt Zsólt (Kórnel Gelley) an ihrer Tür. Zsólt ist der Verlobte von Annis Kollegin und Freundin Klári (Lenke Lóran). Eigentlich soll am gleichen Tag die Hochzeit stattfinden, doch Zsólt hat kalte Füße bekommen und bittet Anni die Feierlichkeiten abzublasen. Vor allem zeigt sich der neurotische Mann von der Familie seiner Frau genervt und missverstanden. Anni lässt sich schließlich überreden Klári anzurufen und ihr die ernste Botschaft zu übermitteln. Doch die Braut befindet sich bereits in bester Feierlaune…
Willkommen zu einem der abgefahrendsten Seherlebnisse seit Erfindung der bewegten Bilder vor gut 125 Jahren. Wie konnte so ein Kunstwerk nur so dem Vergessen anheimfallen? Was nach der obigen Inhaltszusammenfassung wie ein Lustspiel oder eine romantische Komödie klingt entpuppt sich als in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter, irrer Trip, bei welchem man als Zuschauer*in sich aber keine bewusstseinserweiternden Substanzen verabreichen muss!
Habfürdö, wie der Film im Original heißt, avancierte mit nur etwa 50.000 verkauften Kinokarten zum größten Flop der ungarischen Zeichentrickfilm-Geschichte. Wohl in Erwartung eines familientauglichen Werkes à la Disney und Co zeigten sich viele Zuschauer erbost und verließen reihenweise den Kinosaal. Fortan wurden nur noch Animationsfilme vom Staat gefördert, wenn sie wenig experimentell und sehr mainstreamtauglich waren. Die katastrophale Performance an der Kinokasse mag einer der Gründe sein, warum Bubble Bath gut vierzig Jahre nach Veröffentlichung immer noch ziemlich unter dem Radar läuft. Nach der digitalen Restaurierung 2021 gab es bisher nur eine BluRay-Veröffentlichung in Frankreich, weltwelt die einzige auf physischem Datenträger. Wahrlich kein Streifen für einen Massengeschmack aber für Konoisseure besonderer Trickfilme wie mich ein absolutes Highlight.
Fast von der ersten Minute an zelebrieren Regisseur György Kovásznai und sein Team hemmungslos psychedelischen, kaleidoskopischen Wahnsinn. Die „Kamera“ scheint immer wieder betrunken durch die Bilderwelten zu wanken, als wäre das Werk ein Realfilm und der Kameramann hätte kein Stativ sowie einen gehörigen Zacken in der Krone. Der absolute Hammer sind die ständigen Transformationen der Charaktere im Sekundentakt als wären diese keine Menschen aus Fleisch und Blut, sondern flüchtige Farbkleckse. Dazu wechselt immer wieder auch der Stil der Animationen, vom Fauvismus, Kubismus über Surrealismus bis hin zu Pop Art. Zudem werden die Bilder auf eigenwillige Weise belichtet, was für eine merkwürdige Plastizität sorgt. Und nicht zu vergessen: wir haben es hier mit einem Musical zu tun, wobei auch das musikalische Genre variiert. Zu Beginn lernt Anni für ihre Prüfung in dem sie einen jazzigen Song über die Wunder der Biologie trällert. Zsólt, der wie die ungarische Inkarnation von Frank Zappa aussieht, wiederum erzählt von seinen Ambitionen als Innenarchitekt und Künstler in Form einer fetzigen Disco-Nummer. Auch eine Operetteneinlage darf nicht fehlen.
Doch Bubble Bath hat zusätzlich zu seinem einmaligen visuellen Stil auch inhaltlich etwas zu bieten. Kovásznai, der auch das Drehbuch schrieb, erforscht das Leben normaler Leute im sozialistischen Ungarn und macht sich darüber lustig. Vor allem im langen Gespräch zwischen Anni und Zsólt wird ausgebig über Themen wie Ehe, Elternschaft und Karriere philosophiert. Als eingeschobene Beispiele für das Familienleben fanden echte Interviewbeiträge ihren Weg in die Handlung. Das titelgebende Schaumbad spielt in der Geschichte an sich keine besonders große Rolle.
Natürlich vermag die kuriose Ästhetik von Habfürdö äußerst irritierend wirken und damit dieser irre Trip seine volle Wirkung entfalen kann muss man natürlich offen für ein solches Spektakel sein. Visuell erinnert das Ganze, vor allem in der Figur des Zsólt, irgendwie an den stilprägenden Beatles-Animationsfilm Yellow Submarine (1968). Wie einflussreich Bubble Bath trotz des Misserfolgs und des Verschwindens in der Versenkung war sieht man an Ari Folmans kaum minder brillianten Animations-/Realfilm-Mix The Congress (2013) sowie an Ruben Brand, Collector (2018) vom slowenisch-ungarischen Künstler Milorad Krstić. Für György Kovásznai blieb das vorliegende Kunstwerk sein einzig abendfüllender (Zeichentrick-)Film. Kovásznai verstarb 1983 im Alter von nur 49 Jahren mitten während der Arbeit am Nachfolgeprojekt, einer Trickfilm-Adaption der satirischen Novelle Candide (1759) von Philosoph Voltaire.
Bubble Bath von György Kovásznai ist in der ungarischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln Teil des Angebots von MUBI.
Fazit: Absolut irrer und einmaliger Animationstrip durch diverse Stilrichtungen von Kunst und Musik. 9 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 12. März 2023. Bilder: MUBI/Pannonia.
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