Vor fünfzig Jahren wurde der französisch-tschechoslowakische Zeichentrickfilm Der phantastische Planet bei den Filmfestspielen von Cannes veröffentlicht. Regisseur René Laloux erzählt darin von einem wundersamen Planeten auf welchem sich riesenhafte Aliens Menschen als Haustiere halten.
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Der phantastische Planet (La planète sauvage)
alternativ: Der wilde Planet
Science-Fiction/Animationsfilm Frankreich, CSSR 1973. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 72 Minuten.
Originalsprecher: Jean Valmont, Jennifer Drake, William Coryn, Jean Topart, Jeanine Fornay, Sylvie Lenoir, Ybes Barsacq, Gérard Hernandez u.a. Nach dem Roman Oms en Série von Stefan Wul. Drehbuch: René Laloux und Roland Topor. Regie: René Laloux.
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Vom Überlebenskampf der Oms
Die hochentwickelten Draags bewohnen den Planeten Ygam. Von ihren Reisen in ferne Regionen des Weltalls haben sich die Drags kleine Wesen namens Oms mitgebracht, welche wie Tiere gehalten werden. Nachdem ein kleiner Om-Junge seine Mutter verliert nimmt ihn das Draag-Mädchen Tiwa (Stimme im Original: Jennifer Drake) auf. Tiwa spielt mit dem Jungen (Eric Baugin), den sie Terr nennt und der nach kurzer Zeit zu einem Mann (Jean Valmont) heranwächst. Terr gelingt es auch, Tiwas Kopfhörer zur Wissensvermittlung zu nutzen und so lernt er einiges über den Planeten Ygam. Als Tiwa das Interesse an ihrem “Spielzeug” verliert ergreift Terr die Flucht, den Kopfhörer im Schlepptau. Er schließt sich einem Stamm freier Oms an, welcher ums Überleben kämpft und sich in einem großen Baum versteckt hält. Dank Terr erhalten die Oms das Wissen der Draags und beginnen allmählich einen Aufstand gegen ihre überlegenen, ehemaligen Herren zu organisieren…
Blaue Aliens in einem Science-Fiction-Film? Die jüngeren Zuschauer dürften dabei natürlich zuerst an James Camerons Avatar (2009) und dessen im Dezember 2022 veröffentlichte Fortsetzung denken. Doch 36 Jahre bevor die anorektischen Schlumpfkatzen von Pandora die Leinwand eroberten feierte Der phantastische Planet seine Uraufführung bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Der Zeichentrickfilm von Regisseur René Laloux basiert auf dem Roman Oms en Série des französischen Schriftstellers Pierre Pairault (1922-2003) alias Stefan Wul aus dem Jahre 1957. Dabei glänzt das animierte Abenteuer nicht nur dank einer einzigartigen Ästhetik, sondern funktioniert zudem als Parabel auf den Umgang der Menschheit mit ihresgleichen sowie mit Natur und Umwelt.
Nach dem im besten Sinne absolut irren Trickfilm-Trip Bubble Bath (1980) aus Ungarn war ich bereit für einen weiteren besonderen Animationsfilm und sichtete im Rahmen meines MUBi-Abos eben Der phantastische Planet, der im französischen Original La planète sauvage heißt und in Deutschland daher auch als Der wilde Planet veröffentlicht wurde. Während Story und Designs in Frankreich geschaffen wurden so entstanden die Animationen in der damaligen Tschechoslowaki, im Studio des Künstlers, Puppenherstellers und Trickfilmemachers Jiří Trnka (1912-1969), wobei die Arbeit auch aufgrund des sowjetischen Einmarsches in der CSSR 1968 länger in Anspruch nahm als geplant und das Werk erst nach fünf Jahren fertiggestellt werden konnte.
Die französisch-tschechoslowakische Co-Produktion besticht vor allem durch eine ganz besondere Ästhetik. Szenerie und Natur wirken als hätten Salvador Dalí (1904-1989), der Hauptverteter des Surrealismus, und Filmemacher Terry Gilliam, welcher bei der Kultkomiker-Truppe für die eigenwilligen Cutout-Animationen verantwortlich zeichnete, hier gemeinsame Sache gemacht. Flora und Fauna des Planeten Ygam besitzen eine faszinierende, bizarre und grausame Schönheit. Die freien Oms müssen sich nicht nur den Angriffen durch die Maschinen der Draags erwehren, sondern bilden aufgrund ihrer geringen Größe auch potenzielle Beute für gefährliche Tiere.
Sowohl Wuls Roman als auch der Film erweisen sich also deutlicher Sozialkommentar zum problematischen Umgang unterschiedlicher Ethnien miteinander sowie der Ausbeutung und Zerstörung der Artenvielfalt durch den Menschen. Eine zeitlose Parabel über Rassismus, Sklaverei sowie Tierquälerei und systematische Ausrottung anderer, als schwächer angesehener Spezies. Die Entwicklung der Geschichte mag unter der kurzen Laufzeit etwas leiden, doch gerade mit dieser prägnanten, aufs Wesentliche reduzierten Handlung, bei welchem der erwachsene Terr als Erzähler teilweise Wendungen in kurzer Zeit vermittelt, bleibt Der phantastische Planet abwechslungsreich. Im Gegensatz zum bereits erwähnten Avatar und unzähligen anderen Streifen wird hier eben nicht das faschistoide White Savior-Klischee bedient.
Der phantastische Planet ist auf DVD und BluRay erhältlich sowie aktuell Teil des Streamingangebotes von MUBI.
Fazit: Iintelligente Parabel über Rassismus und Umweltzerstörung im Science-Fiction-Gewand mit einzigartiger Optik. 9 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 18. März 2023. Bilder: MUBI/AL!VE.
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