Die eigene Familiengeschichte hat die französische Filmregisseurin und Künstlerin Florence Miailhe zu ihrem abendfüllenden Animationsfilm Die Odyssee, über die abenteuerliche Flucht zweier Kinder, inspiriert.
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Die Odyssee (La Traversée)
Animationsfilm/Drama Frankreich, Tschechien, Deutschland 2021. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 84 Minuten. Kinostart: 28. April 2022.
Deutsche Sprecher*innen: Derya Flechtner (Kyona), Hannah Schygulla (Erzählerin), Max Asmus (Adriel), Nicholas Rathod (Iskender), Moritz Gottwald (Erdewan), Viktor Neumann (Jon), Christin Marquitan (Florabella della Chiusa), Judith Steinhäuser (Madame), Lea Kalbhenn (Shaké), Emmanuel Hundertmark (Issawa) u.a. Drehbuch: Florence Miailhe und Marie Desplechin. Regie: Florence Miailhe.
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Abenteuer Flucht
Irgendwo in Europa. Die 13jährige Kyona (Deutsche Stimme: Derya Flechtner) lebt mit ihrer Familie im kleinen Dorf Novi Varna. Weil dieses immer wieder von maskierten Milizen bedroht und überfallen wird beschließt die Familie die Flucht über die Grenze zu einem Verwandten. Während der Zugfahrt werden Kyona und ihr jüngerer Bruder Adriel (Max Asmus) von ihren Eltern und Geschwistern getrennt. Kyona und Adriel müssen sich alleine durchschlagen, stoßen dabei auf Iskender (Nicholas Rathod), der eine Gruppe Straßenkinder anführt, welche dem ausbeuterischen Soldaten Jon (Viktor Neumann) zuarbeitet. Die abenteuerliche Flucht der Geschwister setzt sich fort, von einem diktatorischen Ehepaar, über einen Wanderzirkus, bis hin zu einem Arbeitslager in den Bergen…
Das von der Regisseurin gemeinsam mit Marie Desplechin verfasste Drehbuch basiert auf der Geschichte von Miailhes Großmutter, die mit ihrer Familie nach dem Pogrom 1905 aus Odessa floh. Das Szenario hier gestaltet sich allerdings bezüglich einer konkreten Verortung vage. Die Flucht von Kyona und ihrem Bruder Adriel soll in universaler Form die Geschichten vieler Geflüchteter abbilden. Das Figurensemble präsentiert sich in ethnischer Hinsicht überaus divers. Die genauen Zusammenhänge bleiben vielleicht auch deshalb ziemlich im Dunkeln, weil hier aus der Perspektive von Kindern erzählt wird.
Als Rahmenhandlung fungieren die Erinnerungen von Kyona als älterer Dame (gesprochen von Deutschlands Arthouse-Star Hannah Schygulla) , welche sie durch ihr Skizzenbuch, in welchem sie wichtige Stationen anhand der ihr begegneten Personen zeichnerisch festehalten hat, rekapituliert. Das Abenteuer Flucht pendelt zwischen wundersamer, streckenweise märchenhafter Irrfahrt (angelehnt an die mythische Heimreise des Odysseus) und ernüchterndem Drama, bei welchem auch Menschen auf der Strecke bleiben. Dennoch vermag Die Odyssee von Florence Miailhe das Thema Flucht mit all seinen Schattenseiten älteren Kindern und Jugendlichen sehr gut zu vermitteln.
Miailhe und ihr Team von Künstler*innen verwendeten die Öl-auf-Glas-Animationstechnik. Hierbei wird eine Glasscheibe von einem Leuchttisch beleuchtet, mit Ölfarbe bemalt und anschließend fotografiert. Aufgrund der langen Zeit bis zum Trocknen der Farbe können die Bilder mehrmals verwischt oder bearbeitet werden. Die französisch-tschechisch-deutsche Co-Produktion ist der erste abendfüllende Film mit dieser Technik. Optisch erinnerten mich die Bilder an eine Mischung von Loving Vincent (2017), in welchem die Gemälde von van Gogh zum Leben erweckt werden, und dem Pastiche-Stil von Cryptozoo (2021). Die Ästhetik verleiht der Geschichte von Kyona und Adriel trotz ihrer nüchternen Natur eine leicht phantastische Note, als ob die Seiten einer autobiographischen Graphic Novel zum Leben erwacht wären.
Die Odyssee von Florence Miailhe ist seit dem 2. Dezember 2022 auf DVD erhältlich sowie aktuell als kostenpflichtiger Stream bei Apple TV, Google Play und Youtube verfügbar.
Fazit: Eine ernste Flüchtlingsgeschichte zweier junger Menschen, mit besonderer Animationstechnik erzählt. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 20. Mai 2024. Bilder: Grandfilm.
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