Nachdem ihr jüdischer Mentor verschwunden ist versuchen sich vier besonders begabte Künstler*innen eines Wanderzirkus im faschistischen Italien während des Zweiten Weltkrieges durchzuschlagen. Der deutsche Starpianist Franz möchte das Quartett für seine eigenen Zwecke gewinnen.
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Freaks Out
Kriegsdrama/Science-Fiction/Fantasy Italien, Belgien 2021. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 142 Minuten.
Mit: Aurora Giovinazzo, Claudio Santamaria, Pietro Castellitto, Giancarlo Martini, Franz Rogowski, Giorgio Tirabassi, Max Mazzotta, Francesca Anna Bellucci, Eric Godon, Sebastian Hülk, Anna Tenta u.a. Drehbuch: Nicola Guaglione und Gabriele Mainetti. Regie: Gabriele Mainetti.
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Von Außenseitern und Partisanen
Italien, 1943. Teile des Landes sind von Nazi-Deutschland besetzt. Israel (Giorgio Tirabassi) betreibt einen kleinen Wanderzirkus, dessen Attraktion seine vier besonderen Künstler*innen sind: Albino Cencio (Pietro Castellitto), der Insekten kontrollieren kann, Wolfsmensch Fulvio (Claudio Santamaria), der magnetische Zwerg Mario (Giancarlo Martini) und das elektrische Mädchen Matilde (Aurora Giovinazzo). Als die Bombenangriffe der Alliierten immer wieder für Chaos und Zerstörung sorgen plant Israel mit seiner Zirkusfamilie nach Amerika auszuwandern. Doch wenig später ist Israel verschwunden. Fulvio vermutet dass der alte Mann sie im Stich gelassen hat und überredet Cencio und Mario sich dem Zirkus Berlin anzuschließen. Matilde macht sich wiederum auf die Suche nach Israel. Schon bald wird klar, dass dieser von den Nazis deportiert wurde. Während Matilde von einer Gruppe überwiegend verkrüppelter Partisanen um den buckligen Anführer (Max Mazzotta) aufgegriffen stellen sich die drei anderen Freaks beim Zirkus Berlin vor. Dieser wird von Franz (Franz Rogowski), einem gefeierten deutschen Pianisten mit sechs Fingern an jeder Hand, geleitet. Franz hat unter Drogeneinfluss außerdem Visionen aus der Zukunft. In diesen sieht er, dass Nazi-Deutschland vor der Niederlage steht. In seinem Bestreben sein Vaterland zu retten, spielen die vier Freaks eine Schlüsselrolle…
Für seine zweite Regie-Arbeit hat sich der italienische Filmemacher Gabriele Mainetti (geboren 1976) ein spannendes Thema ausgesucht: Menschen mit übermenschlichen Kräften, die im faschistischen Italien der 1940er Jahre um ihr Überleben kämpfen. Was auf den ersten Blick wie die Prämisse eines Superhelden-Blockbusters oder eines krawalligen B-Movies klingt bietet mehr als nur einen „Mutanten-gegen-Nazis“-Reißer.
Das widersprüchliche Nebeneinander vom Eskapismus eines Zirkus und den Schrecken des Zweiten Weltkrieges wird gleich in der Anfangssequenz auf eindringliche Weise vermittelt. So unterbricht ein Luftangriff jäh die Performance der vier titelgebenden Schausteller*innen. Die gerade noch staunenden und jubelnden Zuschauer*innen liegen plötzlich tot oder verletzt auf der Erde während andere dem Chaos zu entfliehen versuchen. Inszeniert wird das erschreckend unmittelbar. Mal abgesehen davon, dass die Setpieces zwar detailreich, aber insgesamt eher überschaubar gestaltet sind hinterlässt Freaks Out hinsichtlich der Produktionsqualität und der Spezialeffekte einen sehr guten Eindruck. Das CGI fügt sich nahtlos in die Umgebung ein.
Zwar sind die Figuren bis auf wenige Ausnahmen eher schlicht gezeichnet, aber dennoch bilden die vier Freaks und ihr Mentor/Ziehvater/Zirkusdirektor Israel das Herz der Geschichte. Sie sind eben kein außer Kontrolle geratenes Experiment aus dem Supersoldaten-Fundus (amerikanischer) Comics, sondern eine Gruppe aufgrund ihrer individuellen Besonderheiten ausgestoßener Sonderlinge, die lediglich als Artist*innen im Zirkus einen Platz am Rande der Gesellschaft haben. Gleiches gilt im Grunde auch für den von Franz Rogowski (Undine) verkörperten Antagonisten Franz. Obwohl schon augenscheinlich mit sechs Fingern an jeder Hand auch ein Freak so hat er sich aufgrund seines Talents als Pianist einen Nischenplatz in Nazi-Deutschland erarbeitet. Doch seine wahre Begabung liegt darin, dass er im Drogenrausch Visionen von der Zukunft hat (swohl von historischen Ereignissen als auch technologischen Fortschritten) und diese wie Isaac Mendez aus der US-Serie Heroes in fieberhaft gezeichneten Bildern festhält.
Mainetti und sein Team haben hier einen durchaus kuriosen Hybrid aus Kriegsdrama und Fantasy-Märchen mit Scifi-Anleihen geschaffen, irgendwo zwischen Tarantinos Inglourious Basterds (2009), Guillermo del Toro’s Pinocchio (2022) und Chaplins Der Große Diktator (1940). Bisweilen mag Freaks Out etwas schlicht erzählt sein, doch werden weder die Greuel der Nazi-Diktatur verharmlost noch die blutigen Kämpfe familienfreundlich entschärft. Schauspielerisch liefern vor allem die junge Aurora Giovinazzo als vom Schicksal gebeuteltes „electric girl“ Matilde und der bereits erwähnte Franz Rogowski als eigentümlicher Bösewicht, der zwischen manischem Größenwahn und linkischem Übermut pendelt.
Freaks Out ist seit dem 23. Juni 2023 auf DVD und BluRay sowie als kostenpflichtiger Stream bei diversen Anbietern erhältlich.
Fazit: Hochwertig produziertes Fantasy-Kriegsdrama mit kreativem Setting. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 28. Dezember 2023. Bilder: SquareOne/Leonine.
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