Im Oktober 2022 schaffte ich leider nur die erste Hälfte der achtteiligen Anthologieserie Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities zu sichten bzw. zu rezensieren. Ein Jahr später standen die verbleibenden vier Episoden auf dem Programm, erneut passend zur Jahreszeit.
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Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities
Horror-Serie USA, Mexiko 2022. Idee und Moderation: Guillermo del Toro.
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Die (etwas) bessere zweite Hälfte
Die vom mexikanischen Filmemacher produzierte, initiierte und zu Beginn jeder Folge moderierte Netflix-Produktion konnte mich mit den ersten vier Stories letztes Jahr vor allem dank der starken vierten Folge The Outside durchaus fesseln und gut unterhalten. Doch wie sieht es mit den weiteren Episoden aus, die ich leider erst mit einem Jahr Verspätung gesichtet habe?
Vorab noch eine Warnung: auch wenn Cabinet of Curiosities bei Netflix die Alterskennzeichnung „16“ hat, so sind einige der hier gezeigten Szenen definitiv nichts für zarte Gemüter.
Zu den Folgen fünf bis acht:
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Pickman’s Model
63 Minuten. Mit: Ben Barnes, Crispin Glover, Oriana Leman u.a. Nach der Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft. Drehbuch: Lee Patterson. Regie: Keith Thomas.
1909 an der Miskatonic Universität in Arkham. Kunststudent William Thurber (Ben Barnes) trifft auf den eigenwilligen Maler Richard Pickman (Crispin Glover), dessen schaurige Bilder in ihm Albträume und finstere Visionen auslösen. Doch eines Tages ist Pickman verschwunden. 17 Jahre später. Thurber führt mittlerweile selbst eine Kunstgalerie, ist mit Rebecca (Oriana Leman) verheiratet und hat einen Sohn (Remy Flint). Trotz Thurbers Widerstand will sein Künstlerzirkel die Werke Pickmans ausstellen. Erneut wird Will von Visionen und Albträumen heimgesucht, die ihn in den Wahnsinn zu treiben drohen… In jeder gut sortierten Horror-Anthologie darf Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), der wohl bedeutendste Schriftsteller von Horrorliteratur im 20. Jahrhundert, nicht fehlen. Drehbuchautor Lee Patterson (Colony) und Regisseur Keith Thomas (Firestarter [2022]) haben die Story Pickman’s Model für Cabinet of Curiosities adaptiert. Ich selbst habe von Lovecraft zwei Bände mit einigen seiner Kurzgeschichten gelesen sowie auch mehrere Adaptionen (u.a. Richard Stanleys Die Farbe aus dem All sowie einen Kurzfilmblock) gesehen. Das Besondere an HPL bildet das von ihm geschilderte unbegreifliche Grauen, welches filmisch natürlich schwierig umzusetzen ist. So hochwertig die vorliegende Folge auch umgesetzt wurde und so perfekt eigenwillig Crispin Glover (American Gods) die Rolle des Richard Pickman ausfüllt, der Regisseur übertreibt es hier mit der Darstellung des unvorstellbaren Horrors. Weniger wäre mehr gewesen.
Dreams in the Witch House
62 Minuten. Mit: Rupert Grint, Ismael Cruz Córdova, Daphne Hoskins, Lize Johnston, DJ Qualls, Tenika Davis, Gavin McIver-Wright u.a. Nach der Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft. Drehbuch: Mika Watkins. Regie: Catherine Hardwicke.
Boston, 1933. Seit seine Zwillingsschwester Epperley (Daphne Hoskins) im Kindesalter starb und Walter Gilman (als Kind: Gavin McIver-Wright, als Erwachsener: Rupert Grint) miterlebte, wie ihr Geist fortgezogen wurde ist der junge Mann davon besessen, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden und Epperley zu retten. Seit Jahren arbeitet Walter für die Spiritualistische Gesellschaft und sucht teils gemeinsam mit seinem besten Freund Frank Ellwood (Ismael Cruz Córdova) nach dem Zugang zu anderen Welten. Die meisten vielversprechenden Fährten haben sich allerdings als falsch erwiesen. Eine Droge der indigenen Navajo befördert Walter für kurze Zeit in den Wald der verlorenen Seelen, wo er auf Epperley trifft. Doch um seine Schwester aus der Geisterwelt zurück in die reale Welt zu holen, benötigt Walter einen Schlüssel, den er im heruntergekommenen Haus der vor über zweihundert Jahren als Hexe hingerichteten Keziah Mason zu finden sucht.
Nach Pickman’s Model wurde mit Träume im Hexenhaus (Dreams in the Witch House, 1933) eine weitere Story von H.P. Lovecraft für del Toros Anthologieserie adaptiert, allerdings recht frei. Während das titlgebende Hexenhaus und dessen verborgene Mächte auch in der Vorlage eine wichtige Rolle spielen, so ist die Obsession des Protagonisten, seine Zwillingsschwester mit allen Mitteln aus dem Jenseits zu retten eine Erfindung für die Serie. Autorin Mika Watkins (Troja – Untergang einer Stadt) hat aus dem Szenario eine packende und stimmige Story geschaffen. Die Inszenierung von Regisseurin Catherine Hardwicke (Dreizehn, Es begab sich aber zu der Zeit) glänzt durch eine durchgehend unheimliche, zwielichtige Atmosphäre und detailverliebten Kulissenbau, welcher das heruntergekommene Setting gekonnt zum Leben erweckt. Rupert Grint (Ron Weasley aus den Harry Potter-Filmen) spielt den bereits in jungen Jahren schwer gezeichneten und zunehmenden verzweifelten Walter Gilman, eine Art Vorläufer von Fox Mulder aus Akte X, auf eindringliche Weise. An seiner Seite agiert unter anderem Ismael Cruz Córdova (Arondir aus Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht) in der Rolle des skeptischen besten Freundes.
The Viewing
56 Minuten. Mit: Steve Agee, Eric André, Sofia Boutella, Michael Therriault, Peter Weller, Charlyne Yi und Sadd Siddiqui. Drehbuch: Panos Cosmatos und Aaron Stewart-Ahn. Regie: Panos Cosmatos.
1979. Der mysteriöse, superreiche Lionel Lassiter (Peter Weller) hat vier besondere Menschen in sein futuristisches Haus eingeladen: die Astrophysikerin Charlotte Xie (Charlyne Yi), den überaus erfolgreichen Musikproduzenten Randall Roth (Eric André), den gefeierten Romanautor Guy Landon (Steve Agee) und den Hippie-Schamanen Targ Reinhard (Michael Therriault). Lionel möchte seinen Gästen etwas absolut Einzigarties vorführen. Um ihre Sinne und Fähigkeiten zu intensivieren, nehmen alle Anwesenden Drogen aus spezieller Fertigung von Lassiters persönlicher Ärztin Dr. Zahra (Sofia Boutella).
Hätte ich es nicht vorher gewusst, so wäre es mir spätestens nach wenigen Minuten in den Sinn gekommen, dass The Viewing (zu deutsch Die Besichtigung) von Panos Cosmatos, Regisseur des Fantasy-Horror-Trips Mandy (2018), inszeniert wurde. Die körnigen Bilder mit Farbfiltern, das surreal-retrofuturistische Design von Lassiters Haus und der coole Dark-Ambient-Synthie-Score von Daniel Lopatin (Der schwarze Diamant) machen diese Folge zu einem intensiven Seh-und Hörerlebnis. Dazu versammelt das von Cosmatos mit seinem Co-Autoren Aaron Stewart-Ahn verfasste Orginal-Drehbuch ein illustres Figuren- Ensemble, darunter Eric André (Originalstimme von Luci in Disenchantment) als Randall und Peter Weller (Robocop) als geheimnisvoller Gastgeber, wobei ich hätte schwören können, dass Richard Brake diesen Part spielt. Insgesamt wirkte dieser absolut irre, aber irgendwie auch besondere Trip wie die Langfassung eines ästhetisch überaus süffigen Musikvideos. Nach The Outside (Folge 4) ein weiteres kurioses Highlight. Je weniger man vorher weiß desto besser!
The Murmuring
64 Minuten. Mit: Essie Davis, Andrew Lincoln u.a. Nach einer Kurzgeschichte von Guillermo del Toro. Drehbuch und Regie: Jennifer Kent.
1951. Das Ornithologen-Ehepaar Nancy (Essie Davis) und Edgar Bradley studiert seit Jahren Alpenstrandläufer, vor allem deren Schwarmverhalten. Nach einem tragischen Verlust reisen die Bradleys nach Kanada, wo sie auf einer abgelegenen Insel ihre Forschung fortsetzen und in einem großen alten Haus unterkommt, welches seit Jahrzehnten unbewohnt war. Nancy, die unter Schlafstörungen leidet, hört nachts merkwürdige Geräusche. Ihrem Ehemann erzählt sie davon allerdings nichts. Mit zunehmender Anwesenheit verstärken sich die unerklärlichen Erscheinungen.
Die letzte Episode der Anthologie-Serie von Guillermo del Toro, basierend auf einer unveröffentlichten Kurzgeschichte, vereint die australische Regisseurin Jennifer Kent und ihre The Babadook-Hauptdarstellerin Essie Davis (Miss Fishers mysteriöse Mordfälle, Milla meets Moses). The Murmuring (deutscher Titel Das Rauschen) fällt bezüglich der Inszenierung etwas aus der Reihe, im positiven Sinne. Denn statt überbordender Schockeffekte steht hier eine behutsam erzählte Geschichte um Trauer, Einsamkeit und das Aussperren von Emotionen im Mittelpunkt, welche von Essie Davis und Andrew Lincoln (The Walking Dead) mit starken Performances getragen wird. Die Vogelschwärme sorgen für eine besondere Atmosphäre, die man eher selten im Horror-Genre erlebt.
Während mir die Episoden 1 bis 4 schon mit wenigen Abstrichen recht gelungen erschienen, so empfand ich die zweite Hälfte als insgesamt besser. Am Ende bleibt eine spannende und hochwertig produzierte Sammlung unterschiedlichster Geschichten aus der mannigfaltigen Welt des Horrors.
Zum Abschluss hier ein Ranking der Folgen:
Platz 8: Lot 36
Platz 7: Graveyard Rats
Platz 6: The Autopsy
Platz 5: Pickman‘s Model
Platz 4: Dreams in the Witch House
Platz 3: The Murmuring
Platz 2: The Viewing
Platz 1: The Outside
Alle acht Folgen von Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities sind seit 28. Oktober 2022 Teil des Angebots von Netflix.
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Marius Joa, 29. Oktober 2023. Bilder: Netflix.
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