Gut drei Jahre nach dem umstrittenen Finale von Game of Thrones startete im August 2022 die ebenfalls in Westeros angesiedelte Prequel-Serie House of the Dragon. Im Vorfeld der nun startenden zweiten Staffel habe ich mir die erste noch einmal angesehen.
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House of the Dragon: Staffel 1 (House of the Dragon: Season 1)
Fantasy-Drama-Serie USA 2022. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 10 Folgen. Gesamtlänge: ca. 616 Minuten.
Mit: Paddy Considine, Matt Smith, Milly Alcock, Emma D’Arcy, Emily Carey, Olivia Cooke, Rhys Ifans, Fabien Frankel, Eve Best, Steve Toussaint, Sonoya Mizuno, Matthew Needham, Gavin Spokes u.v.a. Nach Fire & Blood von George R.R. Martin. Adaption: Ryan Condal und George R.R. Martin.
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Die Saat der Zwietracht
100 Jahre nachdem die Targaryens mit ihren Drachen und der Unterstützung des verwandten Hauses Velaryon die Sieben Königslande von Westeros eroberten und unter ihrer Herrschaft brachten wird ein Großer Rat versammelt, um die Nachfolge des alten Königs Jaehaerys Targaryen (Michael Carter) zu klären, dessen Söhne alle verstorben sind. Die Wahl fällt auf Enkel Viserys (Paddy Considine), welcher den vor Vorzug vor seiner älteren Cousine Rhaenys (Eve Best) erhält. Einige Jahre später herrscht Viserys während einer Zeit des Friedens und Wohlstands. Als jedoch seine Ehefrau Aemma (Sian Brooke) während der Geburt ihres Sohnes stirbt und auch das Baby nur kurz überlebt, erscheint die Nachfolge des Königs in Gefahr. Zumal auch Viserys‘ unbeherrschter Bruder Daemon (Matt Smith) eher ungeeignet für die Rolle als Herrscher der Sieben Königslande scheint. Der König erklärt schließlich seine 14jährige Tochter Rhaenyra (Milly Alcock) zur Thronerbin und lässt alle Adeligen einen Eid der Gefolgschaft ableisten. Auf das Drängen seines wichtigsten Beraters, Otto Hightower (Rhys Ifans), entschließt sich Viserys zudem wieder zu heiraten, und zwar Ottos Tochter Alicent (Emily Carey), Rhaenyras gleichaltrige beste Freundin.
Ein paar Jahre sind wieder ins Land gegangen und Alicent hat dem König einen Sohn namens Aegon geschenkt. Rhaenyra soll verheiratet werden, doch die unterschiedlichen Kandidaten, darunter der stolze Jason Lannister (Jefferson Hall), sagen ihr nicht zu. Um die Bande zwischen den Häusern des alten Valyria zu stärken, bestimmt Viserys, dass seine Tochter Laenor (Theo Nate), den Sohn von Rhaenys und ihrem Gatten, dem Kommandanten der stärksten Flotte Corlys Velaryon (Steve Toussaint) ehelicht. Zehn Jahre nach der Hochzeit hat Rhaenyra (nun: Emma D’Arcy) drei Söhne. Von einer gnadenlosen Krankheit zerfressen siecht der König immer mehr dahin. Die Spannungen zwischen Rhaenyras Kindern und denen von Alicent (nun: Olivia Cooke) eskalieren. Rhaenyra, mittlerweile mit ihrem Onkel Daemon verheiratet, zieht sich mit ihrer eigenen Familie auf die Insel Dragonstone zurück. Als Viserys schließlich stirbt beginnt der Konflikt zwischen Rhaenyras Getreuen, den Schwarzen, und den Grünen um Alicent…
Auch ich empfand die letzten beiden Staffeln von Game of Thrones als durchwachsen und vor allem inhaltlich viel zu gehetzt. Dennoch gehört die TV-Adaption der (leider immer noch sträflich unvollständig gelassenen) Romanreihe Das Lied von Eis und Feuer von George R.R. Martin durch David Benioff und D.B. Weiss für mich zu den besten Fantasy-Produktionen aller Zeiten. Noch als die Serie lief gab es Meldungen zu möglichen Spin-Offs bzw. Prequels aus der fiktionalen Welt von Westeros und Umgebung. Leider wurde das interessante Projekt mit dem Arbeitstitel Bloodmoon, das Jahrtausende vor der GoT-Haupthandlung spielen sollte, trotz namhafter Besetzung um Naomi Watts nach der Produktion einer Pilotfolge gecancelt. Stattdessen wandte man sich einem eigentlich schon verworfenen Konzept zu, nämlich House of the Dragon. Entwickelt wurde das Prequel über die Hochzeit der Targaryens und den als „Tanz der Drachen“ bekannten Konflikt innerhalb der Herrscher-Dynastie von Ryan Condal (Hercules [2014], Colony [Serie]) gemeinsam mit George R.R. Martin, wobei sich letzterer doch eher einer noch zu vollendenden Buchreihe widmen müsste.
Als Showrunner fungierten bei Staffel 1 Condal und Miguel Sapochnik, welcher mehrere hochklassige Episoden der Mutter-Serie inszeniert hatte und auch erneut mehrmals auf dem Regie-Stuhl Platz nahm. Die Dreharbeiten fanden von April bis Oktober 2021 in England (vor allem in den Warner Bros. Studios in Leavesdon) und Spanien statt. Die meisten der Schlüsselpositionen innerhalb der Crew wurden im Vergleich zu Game of Thrones neu besetzt. Die Drehbücher entstanden ohne Beteiligung der GoT-Autoren um Benioff und Weiss. Das Budget pro Folge betrug knapp 20 Millionen US-Dollar, zum Vergleich die Kosten pro Folge bei Staffel 8 von Game of Thrones lagen bei ca. 15 Millionen. Ehrlich gesagt war ich trotz meiner Begeisterung für die von Martin geschaffene Welt in fast all ihren Facetten vor der ersten Sichtung im Dezember 2022. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass es den Nachfolge-Produktionen eines großen Film- oder Serien-Universums an Qualität in der Breite mangelt. Doch House of the Dragon wusste mich von Beginn an zu überzeugen, beim kürzlichen Rewatch sogar noch mehr.
Immer mehr von den gleichen Elementen und Geschichten, oder anders gesagt Quantität statt Qualität, das ist leider zu oft das Credo von sich erweiternden Franchises, an deren Beginn ein überaus erfolgreiches audiovisuelles Werk steht. Im Grunde behandeln die ersten zehn Folgen des GoT-Prequels auch die gleichen Themen, doch geschieht das auf durchgehend hochklassige Art und Weise. Kämpften bei Game of Thrones noch mehrere Adelshäuser um den Eisernen Thron so entflammt hier allmählich ein Konflikt innerhalb der Drachen-Dynastie um Nachfolge bei der Herrschaft. Einen gravierenden Unterschied gibt es bei der literarischen Vorlage. Funktioniert Das Lied von Eis und Feuer (Originaltitel: A Song of Ice and Fire) als überaus detailierte Romanreihe mit unzähligen Point-of-View-Charakteren so wurde bei Feuer und Blut (OT: Fire and Blood) die Form der (fiktionalen) Geschichtsschreibung gewählt, von welcher hier mehrere Kapitel adaptiert wurden. Die nicht wirklich detailliert ausgearbeitete Handlung mussten Condal und seine Co-Autor*innen daher vielfach ergänzen.
Die teils tragische Geschichte um royale Verwicklungen, individuellen Machtbestrebungen und den sich allmählich anbahnenden Bürgerkrieg punktet vor allem mit nuancierten Dialogen und stark entwickelten Storylines, welche auch in den vermeintlich ruhigen Szenen zu fesseln vermag. Insgesamt gibt es in den ca. zehn Stunden von Season 1 wenige Schlachtszenen, vor allem aufgrund der Ausgangssituation. Besonders auffällig: es gibt hier viel mehr Targaryens und vor allem Drachen. Letztere werden auch in ihrer Mannigfaltigkeit sehr wirkungsvoll, aber nicht zu inflationär eingesetzt. Als Metapher für den Zenit des titelgebenden Herrscherhauses ist der berühmt-berüchtigte Eiserne Thron im Prequel etwas größer gestaltet. Für den neu gestaltetenen Vorspann wurde das bekannte Game of Thrones– Titelthema von Ramin Djawadi wiederverwendet. Der deutsch-iranische Komponist schuf erneut die Musik, erweitere das Targaryen-Thema erweiterte und fügte neue Stücke hinzu.
Staffel 1 hat die schwierige Aufgabe die Anfänge des Drachentanzes zu zeigen, die folgenschwere Saat der Zwietracht zu sähen, und zudem eine frühere Version von Westeros zu etablieren. Der Zeitrahmen umfasst hier zwei Jahrzehnte, weshalb die Notwendigkeit bestand, manche Rollen zwischenzeitlich neu zu besetzen. Die große Zäsur kommt nach der fünften Episode. Ab der sechsten übernimmt Emma D’Arcy (Wanderlust) den Part der Prinzessin Rhaenyra von Milly Alcock (Upright) und Olivia Cooke (Vollblüter) ersetzt ihre Kollegin Emily Carey (Geek Girl) als Königin Alicent. Weitere Nebenfiguren wurden sogar insgesamt zweimal neu gecastet. Für mich persönlich haben die Zeitsprünge bei der zweiten Sichtung gut funktioniert, mit zwei Ausnahmen: der von Matt Smith (Doctor Who, The Crown) gespielte Prinz Daemon und Fabien Frankel (Last Christmas) alias Ser Criston Cole scheinen in zwanzig Jahren überhaupt nicht zu altern, was schon für Irritationen sorgt.
Während sie in Game of Thrones überhaupt nicht vorkam (in der Buchvorlage hingegen schon) erweist sich hier die Familie Velaryon, angeführt vom sehr ambitionierten Lord Corlys alias Die Seeschlange und seiner Gattin Prinzessin Rhaenys, der Cousine des Königs, als wichtiger Baustein des komplexen Beziehungsgeflechts. An der Seite der Targaryens und ihrer Drachen flohen die als Seefahrer starken Velaryons damals knapp dem Untergang ihrer alten Heimat Valyria und ließen sich auf der Insel Driftmark nieder, während ihre Verwandten Dragonstone als erste Heimat wählten. Ein enges Bündnis verbindet die beiden Sippen, welches jedoch immer wieder bedroht scheint. Während die Velaryons gleichsam wie ihre drachenreitenden Verwandten silbernes Haar besitzen, so entschloss man sich bei der Besetzung, dunkelhäutige Schauspieler*innen zu wählen, auch um den Cast etwas diverser zu gestalten, im Einklang mit Martins Vorstellung.
Insgesamt liefert das Ensemble eine durchgehend gelungene Leistung ab, ob Paddy Considine (In America) als kompromissbereiter, vor sich in siechender Königs Viserys, Matt Smith als sein hitziger Bruder Daemon, Rhys Ifans (Anonymus) als wortgewandter Berater Otto Hightower, die bereits erwähnten Milly Alcock und Emma D’Arcy als Prinzessin Rhaenyra sowie Emily Carey und Olivia Cooke als junge Königin Alicent, Steve Toussaint (Before We Die) als stolzer Corlys Velaryon und Eve Best (Nurse Jackie) als weise Prinzessin Rhaenys. Vor bei den im Mittelpunkt stehenden Frauen Alicent und Rhaenyra scheint bisweilen noch die Versöhnung möglich. Doch spätestens mit dem Staffelfinale ist diese Möglichkeit dahin.
Die komplette erste Staffel von House of the Dragon ist seit dem 24. Oktober 2022 Teil des Angebots von Sky und WOW. Außerdem gibt es die Staffel als Stream mit Zusatzkosten bei weiteren Anbietern sowie auf DVD und BluRay. Wie es beim „Tanz der Drachen“ weitergeht erfahren wir schon am 17. Juni 2024 mit der achtteiligen 2. Staffel. Staffel 3 wurde auch bereits bestellt.
Fazit: Trotz teils etwas irritierender Zeitsprünge ein durchgehed hochkarätiges Game of Thrones-Prequel über den als „Tanz der Drachen“ bekannten, sich anbahnenden Konflikt im Herrscherhaus der Targaryens. 9 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 16. Juni 2024. Bilder: HBO/Warner.
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