Bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes 2023 erhielt How to Have Sex nach seiner Premiere den Preis in der Kategorie „Un Certain Regard“. Das Regiedebüt von Molly Manning Walker handelt von einem Party-Urlaub dreier junger Mädchen aus England und ersten sexuellen Erfahrungen.
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How to Have Sex
Jugend-Drama UK, Belgien, Griechenland 2023. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 91 Minuten. Kinostart: 7. Dezember 2023.
Mit: Mia McKenna-Bruce, Lara Peake, Evna Lewis, Samuel Bottomly, Shaun Thomas, Laura Ambler u.a. Drehbuch und Regie: Molly Manning Walker.
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Sommer, Sonne, Party und Sex
Tara (Mia McKenna-Bruce), Skye (Lara Peake) und Em (Enva Lewis) sind drei 16jährige Engländerinnen, die nach ihrer Abschlussprüfung für ein paar Tage nach Kreta fahren, um auf der Partymeile in Malia ordentlich zu feiern. Ausgelassen kommt das Trio an und bezieht das gemeinsame Hotelzimmer. Neben ausgiebigem Alkoholkonsum wollen die Mädchen auch natürlich in sexueller Hinsicht etwas erleben, vor allem Tara, die noch Jungfrau ist. Im gleichen Hotel steigen mit Badger (Shaun Thomas), Paddy (Samuel Bottomly) und Paige (Laura Ambler) auch drei Landsleute ab, so dass man sich zum gemeinsamen Feiern auf den Zimmern oder am Pool trifft. Angefeuert durch die Animateure und dem steigenden Alkoholpegel nimmt das Geschehen allmählich enthemmtere Züge an, was Tara nicht ganz geheuer scheint. Ihre Anspannung hängt auch damit zusammen, dass bald die Prüfungsergebnisse bekannt gegeben werden…
Molly Manning Walker (geboren 1993) begann ihre Karriere als Kamerafrau, überwiegend für Kurzfilme und Musikvideos. Bei Georgie (Originaltitel Scrapper, 2023) von Regisseurin Charlotte Regan war die 30jährige erstmals an einem Spielfilm tätig. Im gleichen Jahr erschien auch ihr abendfüllendes Regie-Debüt, welches seine Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2023 feierte und mit dem Preis in der Kategorie „Un Certain Regard“ ausgezeichnet wurde. How to Have Sex ist allerdings keine frivol-lustige Sexkomödie à la Eis am Stiel oder American Pie. Vielmehr erzählt der Film vom Umgang junger Frauen mit Alkohol und Sex sowie damit zusammenhängenden Mechanismen und Dynamiken.
Gedreht wurde die britisch-belgisch-griechische Co-Produktion im Herbst 2022 in Malia auf Kreta. Sie könnte aber auch an ähnlichen Schauplätzen auf Mallorca oder Ibiza spielen. Zu Recherchezwecken wurden 16jährige Jugendliche nach ihrer Vorstellung von Einvernehmlichkeit befragt. Manning Walker und ihr Kameramann Nicolas Canniccioni verstehen es die rauschhafte Atmosphäre der Partymeile perfekt einzufangen, was der Szenerie eine dokumentarische Note verleiht. Ich hatte das Gefühl mittendrin zu sein, trotz der Tatsache, dass ich so einen Urlaub selbst nie erlebt habe.
Zu Beginn zeigen sich alle drei Mädchen noch überaus ausgelassen. Da wird in der Bar ein Drink nach dem anderen runtergespült sowie lauthals und falsch Karaoke gesungen. Die Kehrseite des pulsierenden Nachtlebens spart der Film aber auch nicht aus, wenn Tara, Skye und die anderen den halben Tag verkatert im Bett verbringen, nur um dann am nächsten Abend sich wieder mit vollem Elan ins Partyleben zu stürzen. Doch Tara reagiert auf die zunehmend enthemmten Zustände mit innerer Distanz. Im Verlauf einer besonders intensiven Partynacht erlebt sie schließlich ihr ernüchterndes erstes Mal.
Protagonistin Tara findet sich in einer unmöglichen Situation wieder. Sie will mit ihren Freundinnen feiern und Spaß haben, um die möglicherweise nicht bestandene Abschlussprüfung bzw. damit verbundene Konsequenzen für ein paar Tage zu vergessen. Weil ihre Freundinnen Skye und Em bereits erste sexuelle Erfahrungen gesammelt haben fühlt sich Tara entsprechend unter Druck gesetzt, ihr erstes Mal „endlich“ hinter sich zu bringen. Dieser Gruppenzwang unter jungen Mädchen lässt sich teils schwer mit sexueller Selbstbestimmung vereinbaren. Und obwohl Tara ihr Einverständnis gibt ist für sie der erste Sex kein schönes Erlebnis und Ergebnis von übergriffigem Verhalten seitens des jungen Mannes.
Molly Manning Walker, die auch das Drehbuch schrieb, erforscht hier auf (eventuell unbewusste) patriarchische Strukturen beruhende Erwartungen an junge Frauen, die sich beim Ausgehen gerne aufreizend kleiden, aber nicht zwangsläufig den möglichen Konsequenzen ihres Handelns voll bewusst sind. Die Regisseurin zeichnet hier ein vielschichtiges Bild des zwischenmenschlichen Umgangs junger Menschen miteinander und liefert zugleich Anregung dafür, was in Zukunft besser laufen sollte.
Im Mittelpunkt steht dabei Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce (Persuasion [2022]), welche als Tara vor allem dank ihrer eindringlichen Mimik eine starke Performance abliefert. Gemeinsam mit der letztes Jahr nach vier Staffeln zu Ende gegangenen Netflix-Serie Sex Education von Laurie Nunn bildet How to Have Sex die britische Produktion zur progressiven Auseinandersetzung mit Sexualität und zwischenmenschenlichen Beziehungen.
How to Have Sex ist am 15. Februar 2024 auf BluRay und DVD erschienen sowie als kostenpflichtiger Stream bei diversen Anbietern verfügbar.
Fazit: Molly Manning Walker behandelt in ihrem authentischen und wichtigen Regiedebüt den schwierigen Themenbereich von sexueller Einvernehmlichkeit vor dem Hintergrund eines intensiven Party-Urlaubs. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 27. April 2024. Bilder: Capelight.
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