Die Herrschaftsjahre der Tudors in England dienten schon öfter als Stoff für Kino und Fernsehen. Doch was kam danach? Die Miniserie Mary & George von D.C. Moore behandelt den Aufstieg des jungen George Villiers zum Liebhaber des englischen und schottischen Königs James, und welche entscheidende Rolle Georges Mutter Marry dabei gespielt hat.
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Mary & George
Historiendrama/Miniserie UK 2024. 7 Folgen. Gesamtlänge: ca. 370 Minuten.
Mit: Julianne Moore, Nicholas Galitzine, Tony Curran, Niamh Algar, Mark O’Halloran, Adrian Rawlins, Trine Dyrholm, Sean Gilder, Laurie Davidson, Samuel Blenkin, Nicola Walker u.v.a. Nach The King’s Assassin von Benjamin Woolley. Idee: D.C. Moore. Regie: Oliver Hermanus, Alex Winckler, Florian Cossen.
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The Favourite… and His Mother
England, im frühen 17. Jahrhundert. Nach dem Tod ihres gewalttätigen Mannes (Simon Russell Beale) stehen Mary Villiers (Julianne Moore) und ihre Familie mittellos da. Schnell gelingt es der patenten Frau in Person von Sir Thomas Compton (Sean Gilder) einen wohlhabenden neuen Gatten zu finden, so dass die gewünschte Ausbildung von Marys zweitem Sohn, dem sehr gut aussehenden George (Nicholas Galitzine), in Frankreich gesichert wird. Nach Georges Rückkehr unternimmt Mary alles, um ihren Sohn zum neuen Favoriten von König James (Tony Curran) zu machen, der sich gerne mit jungen Männern umgibt. Doch auch wenn Mary den Segen der Königin Anne (Trine Dyrholm) und anderer am Hofe hat, so erweist sich James’ oberster Günstling, der Earl von Somerset (Laurie Davidson), als übermächtige Konkurrenz. In der gerissenen Prostituierten Sandie Brooks (Niamh Algar) findet Mary eine perfekte Partnerin, um ihrer Familie mit allen Mitteln zum Aufstieg zu verhelfen…
Nachdem Königin Elisabeth I. 1603 ohne Erben verstorben war wurde James VI. (1566-1625; im Deutschen auch Jakob genannt) von Schottland als James I. auch König von England und Irland. Der erste englische Monarch aus dem Hause Stuart und Sohn von Maria Stuart machte den Begriff Großbritannien salonfähig, kombinierte die Flaggen der einzelnen Landesteile zum Union Jack und gab eine nach ihm benannte Bibel-Übersetzung in Auftrag. Da James sich immer gerne mit jungen, ansehnlichen Männern umgab, denen er Titel und Ländereien schenkte, gehen manche Historiker*innen davon aus, dass er homo- oder bisexuell war. Einer seiner großen Favoriten war Georges Villiers (1592-1628), der von James 1623 zum Herzog von Buckingham ernannt wurde und unter seinem Adelstitel auch seinen Weg als fiktionalisierte Figur in den Roman Die Drei Musketiere von Alexandre Dumas fand.
Der britische Bühnenautor D.C. Moore, gelegentlich auch Drehbuchschreiber fürs Fernsehen (u.a. Not Safe For Work), widmet sich in der Historien-Miniserie Mary & George dem Aufstieg von George Villiers und vor allem auch der Rolle von Georges Mutter. Dass machtgierige Männer ihre Töchter einem Monarchen „ins Bett legen“, das haben wir schon häufiger gesehen, siehe etwa Mary und Anne Boleyn in Die Tudors (2007-2010). Aber eine ambitionierte Mutter, die ihren Sohn zum Lover des Königs macht, eher selten. Diese andere Perspektive, sowohl aus weiblicher als auch queerer Sicht bietet der fast komplett von Moore geschriebene sowie von Oliver Hermanus (Gewinner der Queer Palm in Cannes für Beauty [2011]), Alex Winckler (This Way Up) und Florian Cossen (Mitten in Deutschland: NSU, Deutschland 86) inszenierte Siebenteiler.
Was aktuelle Produktionen angeht war mein Serienjahr 2024 bisher eher mau und durch eine glückliche Fügung stieß ich zufällig auf Mary & George, wobei die amerikanische Oscar-Gewinnerin Julianne Moore (2015, als beste Hauptdarstellerin für ihre Performance als an Demenz erkrankte Professorin in Still Alice), zuletzt auch im auf wahren Begebenheiten basierenden „Beziehungsdrama“ May December zu sehen, sicherlich einer der Gründe fürs Einschalten gewesen sein dürfte. Aber ein oberflächliches Starvehikel darf man hier keinesfalls erwarten, sondern ein genussvolles und düsteres Ränkespiel über eine Epoche der englischen Geschichte, die bisher kaum Pate für fiktionale Formate stand.
Mit ihrer pointierten Handlung und den bissig-treffenden Dialogen wirkt die Miniserie wie eine Mischung aus zwei hocnklassigen Historiensatiren der letzten Jahre: Yorgos Lanthimos’ Spielfilm The Favourite (2018) und Tony McNamaras Serie The Great (2020-2023). Mit dem Unterschied, dass sich die Angelegenheit hier trotz einer Prise schwarzen Humors doch ziemlich ernst nimmt, was aber nicht zum Nachteil gereicht. Die zentralen Figuren sind historisch verbürgt, doch D.C. Moore (nicht verwandt oder verschwägert mit der Hauptdarstellerin) sowie seine Co-Autorinnen Stacey Gregg, Anchuli Felicia King und Laura Grace füllen die Leerstellen mit packenden Storylines, in deren Zentrum Mary, George und König James stehen. Die ersten Folgen wirkten aus meiner Sicht erzählerisch etwas zu gerafft, doch diese leichte Schwäche löst sich im späteren Verlauf ziemlich in Wohlgefallen auf.
Als Frau hat Mary Villiers im England des frühen 17. Jahrhunderts nichts zu melden. Doch um sich selbst und ihrer Familie zum Aufstieg zu verhelfen, schmiedet sie Pläne. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ihr anfangs noch schwermütiger, aber überaus ansehnlicher mittlerer Sohn George, der als Zweitgeborener eigentlich nichts besonderes vom Leben zu erwarten hatte. Weil sein Bruder John allerdings geistig schwach und zudem teilweise verhaltensauffällig ist, liegt der Druck auf George, zum Wohle der eigenen Sippe, etwas aus sich zu machen. Das heißt ihm konkreten Fall, Liebhaber und Günstling des Königs zu werden.
Es ist nicht nur spannend, dabei zuzusehen, wie Mama Villiers die Strippen zieht, um die Gunst des Monarchen zu gewinnen, und dabei teilweise über Leichen geht, sondern auch die sich allmählich verändernde Mutter-Sohn-Dynamik zu beobachten. Denn Georges Transformation vom schwermütigen Jüngling zum überaus einflussreichen Mann am königlichen Hof bedeutet auch, dass der Einfluss seiner Mutter auf ihn sukzessive schwindet. Als Pendant zur Beziehung von George und James fungiert jene von Mary und Sandie, auch als weibliche Komplizinnenschaft in einer strikt von Männern dominierten Welt.
Serienschöpfer/Autor D.C. Moore, Hauptregisseur Oliver Hermanus (der die ersten drei Episoden inszenierte) und ihr Team haben hier ein überaus hochkarätiges Ensemble versammelt. Julianne Moore glänzt als überaus ambitionierte und zunehmend skrupellose Mary Villiers mit ihrem reduzierten-wirkungsvollen Mienenspiel. In der Entwicklung vom lieblichen Jüngling zum egoistischen Herzog vermag der aktuell sehr gefragte britische Schauspieler Nicholas Galitzine (Bottoms, Royal Blue, Als du mich sahst) als George zu überzeugen. Den meist passiven, innerlich zerrissenen englischen König spielt Tony Curran (Beowulf & Grendel). Zur weiteren illustren Besetzung gehören auch Trine Dyrholm (Nico, 1988) als Königin Anne, Laurie Davidson (Will [Serie]) als Somerset, Mark O’Halloran (Halaleluja – Iren sind menschlich) als Sir Francis Bacon und Nicola Walker (Spooks: Im Visier des MI5) als Lady Hatton, Marys spitzzüngige Gegenspielerin.
Die Opulenz von The Favourite und The Great geht Mary & George vielleicht etwas ab, aber aufwändige Kulissen und schillernde Kostüme gibt es hier ebenfalls zu sehen. Allerdings präsentiert sich die Szenerie wenig glamourös. Die farbentsättigen Bilder und die mitunter spärliche Beleuchtung sorgen für eine dem Stoff überaus angemessene dunkle, albtraumhafte Atmosphäre. Passend dazu kombiniert der etwas schaurige Vorspann Fotos der Figuren mit finsteren Barockgemälden. Der düster-melancholische Score von Oliver Coates (Aftersun) setzt vor allem auf Streicher und tiefe Trommeln.
Mary & George ist seit dem 28. März 2024 Teil des Angebots von Sky und WOW.
Fazit: Albtraumhaftes, pointiert geschriebenes, stark inszeniertes Intrigenspiel am englischen Königshof mit hochkarätigem Ensemble, angeführt von Julianne Moore, Nicholas Galitzine und Tony Curran. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 18. August 2024. Bilder: Sky.
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