Die Produktionen von Studio Ghibli erfreuen sich international großer Beliebtheit. Als zweiter abendfüllender Film des Anime-Studios erschien 1988 Mein Nachbar Totoro, den ich kürzlich erstmals angesehen habe.
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Mein Nachbar Totoro (Tonari no Totoro)
Animationsfilm/Fantasy Japan 1988. FSK: ohne Altersbeschränkung. 86 Minuten.
Deutsche Sprecher*innen: Maresa Sedlmeir (Satsuki), Paulina Rümmelein (Mei), Philipp Brammer (Vater), Großmutter (Monika John), Moritz Günther (Kanta) u.a. Drehbuch und Regie: Hayao Miyazaki.
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Ein magischer Sommer
Gemeinsam mit ihrem Vater (deutsche Stimme: Philipp Brammer) ziehen die Mädchen Satuski (Maresa Seldmeir) und Mei (Paulina Rümmelein) 1958 von Tokio aufs Land, weil sich ihre Mutter zur Genesung in einem Krankenhaus in der Nähe befindet. Die zehn und vier Jahre alten Schwestern erkunden das alte Haus, in dem sie mit ihrem Vater einziehen, und finden Rußkobolde. Die nebenan wohnende, von allen nur liebevoll „Großmutter“ genannte alte Frau (Monika John) erklärt ihnen, dass diese kleinen Geister nichts Böses im Sinn haben und bald wieder verschwinden werden. Wenig später begegnet Mei beim Herumlaufen im nahegelegenen Wald, der mit einem großen Kampferkaum beginnt, dem Waldgeist Totoro, den sie schnell ins Herz schließt. Totoro ist jedoch verschwunden als das kleine Mädchen ihre Schwester und den Vater zur Stelle im Wald führt. Doch das der nur Brummlaute von sich gebende Waldgeist nicht der Phantasie Meis entspringt beweist sich als beide Mädchen ihm während eines starken Regenschauers begegnen und er in einen plötzlich auftauchenden Katzenbus steigt…
Nach dem Erfolg von Nausicaä aus dem Tal der Winde (1984) wurde das Anime-Studio Ghibli gegründet, mit den Regisseuren Hayao Miyazaki und Isao Takahata sowie dem Produzenten Toshio Suzuki als wichtigsten Akteuren. Als erste Produktion der neuen Trickfilmschmiede erschien 1986 Das Schloss im Himmel. Dessen Erfolg ermöglichte weitere Filme. 1988 erschienen gleich zwei: Die letzten Glühwürmchen von Takahata und der von Miyazaki inszenierte Mein Nachbar Totoro. Bis heute hat Studio Ghibli 25 abendfüllende Animationsfilme für die große Leinwand veröffentlicht. Meine Bildungslücken bei diesen sind allerdings noch sehr groß. Vor der kürzlichen Sichtung von Mein Nachbar Totoro hatte ich nämlich nur Die letzten Glühwürmchen und Das Schloss im Himmel (2004) gesehen.
Die hier erzählte Geschichte zeichnet etwas aus, was man gleichzeitig als dezenten Kritikpunkt und große Stärke sehen kann: es passiert eigentlich kaum etwas. Die beiden kindlichen Protagonistinnen erleben einen schönen Sommer auf dem Land, in dessen Verlauf sie auf magische Geschöpfe treffen. Es gibt keine besonders ausgefeilte Dramaturgie, keine konstruierten Konflikte, keinen Antagonisten und keine unnötigen Nebencharaktere. Dennoch wird es zu keiner Zeit langweilig. Hayao Miyazaki gelingt es hier, die kindliche Perspektive der Erzählung zu vermitteln. Der Umzug aufs Land wird für die beiden Mädchen zum Abenteuer. Durch Neugier und spielerischen Entdeckungsdrang finden sie das titelgebende magische Wesen und andere Naturgeister.
Vor allem wenn man bedenkt, dass Mein Nachbar Totoro bereits vor 36 Jahren veröffentlicht wirkt der Animationsstil ziemlich modern und zeitlos, was für die tolle Arbeit der Künstler*innen des Studio Ghibli spricht. Satsuki und Mei erinnern mich optisch an die Protagonistin der Anime-Serie Heidi (1974), basierend auf den Kinderbüchern der Schweizerin Johanna Spyri, welche während Mitte der 1980er zu meiner ersten Lieblingsserie avanciert. An dieser TV-Produktion waren Isao Takahata als einer der Regisseure und Hayao Miyzaki als Teil des Animationsteam beteiligt. Weil „Totoro“ damals als großes finanzielles Risiko angesehen wurde und man nicht absehen konnte, ob der Film ausreichend Zuschauer*innen anziehen könnte, wurde er im Kino als Teil eines Double-Features mit dem sehr ernsten und tragischen Die letzten Glühwürmchen gezeigt. In Deutschland wurde Mein Nachbar Totoro erstmals im Mai 2007 im Fernsehen bei Super RTL gezeigt, die erste deutschsprachige DVD-Veröffentlichung erfolgte im September 2007. Als Markenzeichen und Maskottchen ist der titelgebende Waldgeist bis heute untrennbar mit Studio Ghibli verbunden.
Mein Nachbar Totoro ist auf DVD und BluRay erhältlich sowie aktuell Teil des Angebots von Netflix.
Fazit: Ein wunderschöner, einfach erzählter Anime-Spielfilm über einen Sommer mit magischen Wesen. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 9. Juni 2024. Bilder: Universum Film/Leonine.
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