Please Baby Please

Nach zuletzt zwei eher enttäuschenden Kinobesuchen hatte ich beim Streaming etwas mehr Glück und erlebte bei Amanda Kramers Please Baby Please, mit Andrea Riseborough, Harry Melling und Karl Glusman in den Hauptrollen, einen gekonnt überzeichneten Trip in eine queere Version von West Side Story.



Please Baby Please
Drama/Musikfilm USA 2022. 96 Minuten.
Mit: Andrea Riseborough, Harry Melling, Karl Glusman, Ryan Simpkins, Cole Escola, Jaz Sinclair, Alisa Torres, Karim Saleh, Jake Choi, Yedoye Travis, Marquis Rodriguez, Demi Moore u.a. Drehbuch: Amanda Kramer und Noel David Taylor. Regie: Amanda Kramer.



Lower East Side Story

New York in den 1950ern. Suze (Andrea Riseborough) und ihr Ehemann Arthur (Harry Melling) werden Zeuge wie eine Gang junger Männer vor ihren Augen zwei Menschen überfällt und totschlägt. Noch kommt das Paar unbeschadet davon, doch Suze verrät den Tätern die Nummer ihres Apartments. Voller Angst und Aufregung können Suze und Arthur kaum schlafen. Doch die Begegnung mit der Gang hat weitere Spuren bei den beiden hinterlassen. Während Suze immer wieder merkwürdige Fantasien erlebt so entwickelt Arthur eine zunehmende Faszination für Gang-Mitglied Teddy (Karl Glusman). Als sich Arthur eines Abends fortschleicht und in einer Bar auf Teddy trifft, erklärt sich seine Ehefrau bereits, auf die Penthouse-Wohnung von Nachbarin Maureen (Demi Moore) aufzupassen.

Ohne Streaming wären die Chancen so manche kleine Filmperle hierzulande zu sehen sehr gering. Von daher bin ich überaus erfreut, dass der hochwertig kuratierte Arthouse-Streamingdienst MUBI Please Baby Please von Amanda Kramer ins Programm genommen hat. Denn was die aus Los Angeles stammende Filmemacherin mit ihrem dritten abendfüllenden Spielfilm geschaffen hat, lässt sich nicht so leicht beschreiben: ein kurioser Trip in eine überstilisierte 1950er Welt, in welcher althergebrachte Geschlechterrollen mit Queerness kollidieren.

Arthur und Suze

Die beiden Protagonisten Suze und Arthur sind von Grund auf schon kein 0815-Ehepaar der Fünfziger, sondern eher gebildet, mit Bohème-Tendenzen und Kontakten zur Beatnik-Szene. Arthur hinterfragt regelmäßig die Erwartungen der Gesellschaft an ihn als Mann. Den dominanten Part in der Ehe nimmt seine nicht selten etwas überdrehte Gattin ein. Die Begegnung mit der Gang, den „Young Gents“, bringt das Leben des Paares allerdings gehörig aus den Fugen. Arthur fühlt sich immer mehr zum „Gang-Hipster“ Teddy hingezogen und sucht dessen Nähe. Suze macht eine merkwürdige Entwicklung durch, die sich in absonderlichen Fantasien (mit Haushaltsgeräten und den bösen Jungs) sowie einer schleichenden Änderung ihres Kleidungsstils äußert.

Kramer inszeniert eine zwielichtige Parallelwelt als Gegenentwurf der der klassischen, „braven“ 1950er, in welcher die Grenzen von Heteronormativität und binärer Geschlechtsidentitäten aufgebrochen werden oder ohnehin fließend sind. Das theatralische Gehabe der Figuren, die intellektuellen Dialoge und die Kulissenhaftigkeit der Szenerien verleihen Please Baby Please das Feeling einer dynamischen Bühnenshow. Das Drehbuch von Kramer und ihrem Co-Autor Noel David Taylor liefern hier eine Popkultur-Pastiche der damaligen Zeit. Teddy trägt das gleiche Outfit wie der von Marlon Brando gespielte Titelheld in Der Wilde (The Wild One, 1953). Außerdem bilden das Musical West Side Story (von Leonard Bernstein, Stephen Sondheim und Arthur Laurents) respektive dessen Verfilmungen (1961 durch Robert Wise und Jerome Robbins; 2021 durch Steven Spielberg) sowie das Theaterstück Endstation Sehnsucht (A Streetcar Named Desire, 1947) von Tennessee Williams (1951 durch Elia Kazan, mit Marlon Brando in einer der Hauptrollen, fürs Kino adaptiert) wichtige Inspirationsquellen.

Ein klassisches Filmmusical, in welchem ein Großteil der Laufzeit gesungen wird, liegt hier nicht vor, aber der stimmungstreibende jazzige Score von Giulio Carmassi und Bryan Scary, eine Darbietung des Songs Since I Don’t Have You (1958) von The Skyliners und die meist tänzerischen Fantasie-Sequenzen haben einen entscheidenden Anteil an diesem stilvollen Filmerlebnis. Gleiches gilt auch für die Schauspielleistungen. Andrea Riseborough (Birdman, Nocturnal Animals, Mandy) kostet jede Sekunde ihrer Performance als überdrehte, eigenwillige Suze genüsslich aus. Harry Melling, in seiner Jugend bekannt als der gemeine Cousin des Titelhelden in den Harry Potter-Filmen, hat sich seitdem nicht nur optisch massiv verändert, sondern auch mit einer interessanten Rollenauswahl (u.a. The Old Guard, Das Damengambit) überzeugt. Hier glänzt er als sensibler Arthur, ein völliger Gegenpart zur Gattin, der sich mehr und mehr zu einem Mann hingezogen fühlt. Karl Glusman (Nocturnal Animals, Lux Æterna) gibt den super stylishen Teddy, ein tiefgründigerer Charakter als man auf den ersten Blick vermuten würde. Außerdem sehen wir unter anderem Ryan Simpkins (Fear Street) als Transmann Dickie und in einer kleinen, aber nicht unwichtigen Nebenrolle niemand Geringeren als Demi Moore (Ghost – Nachricht von Sam, Ein unmoralisches Angebot) als Nachbarin Maureen.  

Please Baby Please ist seit dem 31. März 2023 Teil des Angebots von MUBI, in der englischen Originalfassung mit zuschaltbaren deutschen und englischen Untertiteln.  

Fazit: Ästhetisch süffige, gekonnt überzeichnete, queere Mischung aus Großstadt-Drama und Musikfilm, mit einem von Andrea Riseborough und Harry Melling kongenial angeführten Ensemble. 8 von 10 Punkten.


Teddy verdreht Arthur den Kopf
Suze erlebt schräge Fantasien



Marius Joa, 30. Juni 2023. Bilder: Blue Finch Films/MUBI.


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