Nachdem sich der nicht sehr wohlhabende Student Oliver mit Felix, seinem Kommiltonen aus der Upper Class, angefreundet hat, nimmt ihn dieser im Sommer mit auf das titelgebende Familien-Anwesen, in Saltburn, dem zweiten Spielfilm von Emerald Fennell (Promising Young Women).
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Saltburn
Psychodrama UK, USA 2023. 131 Minuten. Starttermin: 22. Dezember 2023.
Mit: Barry Keoghan, Jacob Elordi, Rosamund Pike, Archie Madekwe, Alison Oliver, Richard E. Grant, Paul Rhys, Carey Mulligan, Ewan Mitchell u.v.a. Drehbuch und Regie: Emerald Fennell.
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Das süße Leben
Fleiß und Intelligenz haben Oliver Quick (Barry Keoghan) ein Stipendium an der Elite-Universität in Oxford eingebracht. Doch unter den überwiegend aus vermögenden Verhältnissen stammenden anderen Student*innen bleibt er ein Außenseiter. Bis er sich mit Felix Catton (Jacob Elordi) anfreundet, der aus einer Upperclass-Familie stammt. Felix lädt Oliver ein, den Sommer zusammen auf Saltburn, dem Anwesen der Cattons zu verbringen. Dort angekommen reagiert Oliver staunend auf das gigantische Domizil, in welchem neben Felix‘ Eltern Elspeth (Rosamund Pike) und Sir James (Richard E. Grant) auch dessen Schwester Venetia (Alison Oliver), der ebenfalls in Oxford studierende Cousin Farleigh (Archie Madekwe) und Elspeths gebeutelte Freundin Pamela (Carey Mulligan) wohnen. Oliver beginnt sich schnell an den luxuriösen Lebensstil der Cattons zu gewöhnen, stoßt mit seiner Anwesenheit aber immer wieder auf Argwohn bei manchen der Anwesenden…
Emerald Fennell (geboren 1985) startete nach/neben einer Karriere als Schauspielerin (etwa als Camilla Parker-Bowles in Staffel 3 und Staffel 4 von The Crown oder jüngst als Midge in Barbie) auch hinter der Kamera durch. Mit ihrem Debüt als Regisseurin, Promising Young Woman (2020), nahm Fennell sich des Themas #metoo an und schickte ihre Protagonistin auf einen Rachefeldzug gegen übergriffige Männer. Für das Skript erhielt die Britin 2021 den Oscar für das beste Original-Drehbuch. Außerdem fungierte Fennell als Showrunnerin bei der zweiten Staffel von Killing Eve. Mit Saltburn liefert die 38jährige ihren zweiten Film als Drehbuchautorin und Regisseurin ab.
Was Story und Figurenkonstellation angeht so erinnert die britisch-amerikanische Co-Produktion einerseits an Der talentierte Mr. Ripley (1955), den Roman von Patricia Highsmith, der von René Clément 1960 und Anthony Minghella 1999 als Spielfilm adaptiert wurde. Beim „Einschleichen“ einer Person aus einfachen Verhältnissen bei einer sehr reichen Familie denkt man natürlich unweigerlich an den mehrfachen Oscar-Gewinner Parasite (2019) von Bong Joon-ho aus Korea. Trotz ähnlicher Motivlage liefert Fennell hier aber keinen Abklatsch der genannten Werke ab.
Von essenzieller Wichtigkeit für den Film erweist sich Hauptdarsteller Barry Keoghan. Der irische Schauspieler (geboren 1992) hatte bereits in Yorgos Lanthimos‘ verstörendem The Killing of a Sacred Deer (2017) unter Beweis gestellt, dass er eine überaus finstere Figur spielen kann. Nach seiner Rolle als tragischer Dorftrottel in Martin McDonaghs gefeierter irischer Dramedy The Banshees of Inisherin stht Keoghan in Saltburn wieder ziemlich im Mittelpunkt und nutzt dies auf herausragende Art. In manchen Szenen kann man den Gemütszustand Olivers recht klar aus seinem Gesicht ablesen, in manchen erscheint Keoghans Ausdruck auf faszinierende Art rätselhaft. Auch meistert der 31jährige die schleichende Transformation vom sozial unbeholfenen Niemand zum verschlagen-lässigen Mitglied der High Society, deren Nuancen im späteren Verlauf noch weiter enthüllt werden.
Abgesehen vom düster-verstörenden Turn, den die Handlung in der zweiten Hälfte nimmt, und ein paar wirklich widerlichen Szenen, funktioniert Fennells zweite Regie-Arbeit auch lange als bissig-absurde Satire auf die nichtsnutzige britische Upper Class. Arbeiten muss niemand aus der Familie Catton. Stattdessen liegen alle ständig faul in der Sonne herum oder feiern ausschweifende Partys. Bisweilen fühlte sich die Szenerie ein wenig wie die britische Celebrity-Sitcom Absolutely Fabulous (1992-2012) an und dient auch als Gegenentwurf zur Historienserie The Crown, in welcher Etikette und Tradition der britischen Royals und Adeligen einen wichtigen Platz einnehmen.
Die Regisseurin versetzt die Handlung in das Jahr 2007 und verarbeitet dabei auch die eigene Studienzeit in Oxford. Ungewöhnlich und doch passend ist das hier verwendete 4:3-Bildformat, was man von alten Kinofilmen und Fernsehproduktionen kennt. Neben dem Eindruck, dass man als Zuschauer*in hier heimlich das Geschehen beobachtet so interpretiere ich diesen technischen Kniff als hervorgehobene Diskrepanz zwischen Normalsterblichen und Reichen.
Auch abseits der Performance von Barry Keoghan kann das Ensemble überzeugen. Rosamund Pike (James Bond: Stirb an einem anderen Tag, Stolz und Vorurteil [2005]) sorgt als überkandidelte Lady Elspeth für einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert. Jacob Elordi (Euphoria, Tiefe Wasser), aktuell auch als Elvis Presley in Sophia Coppolas Priscilla zu sehen, gibt den strahlenden Golden Boy Felix. Die irische Filmdebüttantin Alison Oliver spielt dessen labile Schwester Venetia. Einschüchternd und eiseskalt wirkt Paul Rhys (Chaplin, Napoleon [2023]) als Butler Duncan. Den eigentlich mittellosern und von den Cattons nur geduldeten Cousin Farleigh gibt Archie Madekwe (Midsommar [2019]). Carey Mulligan, die Hauptdarstellerin von Promising Young Woman, erhielt eine eher kleine Rolle als derangierte Pamela, die wunderbar in das Setting passt.
Saltburn ist seit dem 22. Dezember 2023 Teil des Angebots von Amazon Prime Video.
Fazit: Abgründiges, teils verstörendes und schwarzhumoriges Psychodrama mit einem erneut herausragenden Barry Keoghan. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 31. Dezember 2023. Bilder: Amazon Prime Video.
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