Scoop (2024)

Und nun zum letzten Review für 2024. Wegen seiner Verbindungen zum verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein gab der britische Prinz Andrew der BBC 2019 ein folgenschweres Interview, das im Mittelpunkt des prominent besetzten Netflix-Films Scoop von Philip Martin, mit Billie Piper, Keeley Hawes, Gillian Anderson und Rufus Sewell, steht.

Scoop – Ein royales Interview (Scoop)
Journalismus-Drama UK 2024. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 103 Minuten.
Mit: Billie Piper, Keeley Hawes, Gillian Anderson, Romola Garai, Rufus Sewell, Richard Goulding, Jordan Kouamé, Connor Swindells u.v.a. Nach Scoops: Behind the Scenes of the BBC’s Most Shocking Interviews von Samantha McAlister. Drehbuch: Peter Moffat und Geoff Bussetil. Regie: Philip Martin.



The Hour meets The Crown

2010 gelingt es dem britischen Fotografen Jae Donnelly (Connor Swindells) Fotos von dem gerade verurteilten Sexualstraftäter und Geschäftsmann Jeffrey Epstein (Colin Wells) und seinem langjährigen Freund, dem britischen Prinzen Andrew (Rufus Sewell) in New York zu machen. Neun Jahre späer gehen diese Bilder durch die britische Boulevard-Presse, was Andrews öffentlichem Ansehen erheblich schadet. Sam McAlister (Blillie Piper), Produzentin für das BBC-Nachrichtenmagazin Newsnight, wittert eine gute Story und nimmt Kontakt zu Prinz Andrews Privatsekretärin Amanda Thirske (Keeley Haews) auf. Nach einigen Verhandlungen zwischen Chefredakteurin Esme Wren (Romola Garai), Moderatorin Emily Matilis (Gillian Anderson) und Sam auf der einen sowie Andrew und Amanda auf der anderen Seite willigt der Prinz ein, ein exklusives Interview zu geben, um seine Sicht der Angelegenheit zu zeigen. Dieser TV-Auftritt bleibt jedoch nicht ohne Folgen für den zweiten Sohn der damaligen Königin Elisabeth II.

Der amerikanische Investmentbanker Jeffrey Epstein wurde mehrmals beschuldigt, minderjährige Mädchen sexuell missbraucht und zur Prostitution gezwungen zu haben. Teils wurde er auch verurteilt. Im Juli 2019 wurde Epstein erneut vom FBI festgenommen und sein Haus in Florida durchsucht. Am 10. August 2019 wurde er während der Untersuchungshaft erhängt in seiner Zelle aufgefunden, was Spekulationen dahingehend auslöste, dass es kein Suizid war, sondern Mord, um Aussagen vor Gericht zu verhindern. Epstein hatte mit der Hilfe seiner Freundin Ghislaine Maxwell über Jahrzehnte ein Netzwerk zur Rekrutierung und sexuellen Ausbeutung minderjähriger Mädchen geführt. Auch seine einflussreichen, prominenten Freunde wie Bill Clinton, Donald Trump, Woody Allen, Harvey Weinstein, Rupert Murdoch und Prinz Andrews, Herzog von York, sollen entweder von Epsteins Aktivitäten gewusst oder von diesen möglicherweise sogar profitiert haben. Prinz Andrews Interview mit BBC-Moderatorin Emily Maitlis im November 2019, in welchem er wenig Mitgefühl gegenüber den Opfern zeigte, sorgte langfristig dafür, dass der zweite Sohn von Elisabeth II. (1926-2022) und jüngere Bruder des heutigen englischen Königs Charles III. von seinen royalen Pflichten entbunden wurde.

Sam McAlister bringt die Sache ins Rollen

Vor genau einem Jahr, am 31. Dezember 2023, wurde mein Review zur finalen sechsten Staffel von The Crown veröffentlicht. Die hochkarätige Netflix-Serie von Peter Morgan behandelte in ihrer Gesamtheit das Leben von Königin Elisabeth II. ab 1947 und ihre Herrschaftsjahre bis 2005. Hätten Morgan und Co die Geschichte der britischen Royals weitererzählt so wäre in weiteren Seasons früher oder später auch die freundschaftliche Beziehung von Prinz Andrew zu Jeffrey Epstein und daraus resultierende Konsequenzen ein Thema gewesen. Stattdessen wurde auf Basis eines Sachbuchs der realen Samantha „Sam“ McAlister ein Film über das Interview gedreht, welcher sich ein paar dramaturgischen Freiheiten nimmt und die Ereignisse zeitlich etwas komprimiert. Regie führte Philip Martin, der zuvor nicht nur mehrere The Crown-Episoden, sondern auch Folgen von Heißer Verdacht, Agatha Christie’s Poirot und Kommissar Wallander (BBC-Adaption) inszeniert hatte.

Weil sich ein Großteil des Films mit den Vorbereitungen des Interviews beschäftigt und das Personal des BBC-Nachrichtenmagazins Newsnight im Mittelpunkt steht, kann man Scoop auch als späte „Fortsetzung“ zu Abi Morgans Drama-Serie The Hour (2011/2012), über die titelgebende Sendung der BBC Mitte der 1950er, sehen, zumal mit Romola Garai die Hauptdarstellerin von damals als Chefredakteurin Esme Wren hier auch eine der zentralen Rollen bekleidet. Auch wenn die gewohnt starke Gillian Anderson (Akte X, The Fall – Tod in Belfast) als Emily Matilis im Promomaterial im Mittelpunkt steht, so spielt Billie Piper (Doctor Who, Penny Dreadful) als Sam McAlister doch als Initiatorin der ganzen Story die Hauptrolle, auch weil die Handlung weitgehend aus ihrer Perspektive erzählt wird.

Einen hochspannenden Medienthriller darf man bei der Netflix-Produktion jetzt nicht erwarten. Denn die beiden Autoren Peter Moffat (Criminal Justice) und Geoff Busseti (Skins) gestalten die Angelegenheit recht ruhig und angenehm unreißerisch, obgleich man die ganze Sache hier und da vielleicht etwas pointierter hätte herausarbeiten können. Es sind nicht die großen Enthüllungen, welche das Gespräch mit Prinz Andrew ausmachen, sondern seine teils abenteuerlichen Außerungen. Die Performance von Rufus Sewell (Dark City, Tristan + Isolde [2006]) hätte es sicherlich verdient, dass seine Maske nicht so überzogen aussieht. Aus dem erschütternden Thema könnte man auch eine ganze Serie machen, wie bei dem auf einer Vorlage von Emily Maitlis beruhenden Dreiteiler A Very Royal Scandal, mit Ruth Wilson und Michael Sheen, der im Vereinigten Königreich ebenfalls dieses Jahr erschien.            

Scoop – Ein royales Interview ist seit dem 5. April 2024 Teil des Angebots von Netflix.

Fazit: Vereinzelt etwas unausgegorenes, aber angenehm unreißerisches Journalismus-Drama zwischen The Hour und The Crown. 7 von 10 Punkten.

Jae Donnelly fotografiert Andrew und Epstein
Newsnight-Chefredakteurin Esme Wren
Emily Matilis interviewt den Prinzen



Marius Joa, 31. Dezember 2024. Bilder: Netflix.


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