In einer düsteren Zukunft, in welcher die Ökosysteme kollabiert sind, versucht eine junge Forscherin eine Nahrungsquelle zu aktivieren, im litauisch-französisch-belgischen SF-Drama Vesper Chronicles von Kristina Buožytė und Bruno Samper.
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Vesper Chronicles (Vesper)
Science-Fiction-Drama Litauen, Frankreich, Belgien 2022. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 114 Minuten. Kinostart: 6. Oktober 2022.
Mit: Raffiella Chapman, Rosy McEwen, Eddie Marsan, Richard Brake u.a. Drehbuch: Kristina Buožytė, Brian Clark, Bruno Samper. Regie: Kristina Buožytė und Bruno Samper.
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Saat der Hoffnung
In ferner Zukunft. Um den Klimawandel aufzuhalten hat die Menschheit mit Biogenetik versucht, die Natur umzugestaltet. Mit verheerenden Folgen. Denn das Ökosystem ist kollabiert, die Pflanzenwelt heimtückisch und der Boden nicht mehr nutzbar. In abgeschottenen Gemeinden, „Zitadellen“ genannt, leben privilegierte Menschen. Alle anderen müssen hungern, denn das als Gegenleistung für Blutkonserven verkaufte Saatgut ist genetisch programmiert, nur für eine einzige Ernte zu sorgen. In dieser Welt lebt die dreizehnjährige Vesper (Raffiella Chapman) mit ihrem schwer kranken, ans Bett gefesselten Vater Darius (Richard Brake), der mit seiner Tochter über eine Drohne kommuniziert. Anführer einer nahe gelegenen Gemeinde ist Vespers gnadenloser Onkel Jonas (Eddie Marsan). Nachdem ein Flieger aus einer der Zitadellen abstürzt, findet Vesper eine verletzte Passagierin, die geheimnisvolle Carmellia (Rosy McEwen) und versteckt sie vor Jonas. Das Mädchen und die junge Frau freunden sich allmählich an. Vesper zeigt Carmellia ihre Forschungsarbeit, bei welcher sie versucht, Samen zu züchten, welche mehr als einmal Früchte tragen, um für ein Ende der Hungersnot zu sorgen.
Kino aus Litauen hat es bei der Dominanz von amerikanischen Produktionen und solchen aus anderen europäischen Ländern sicherlich schwer, seinen Weg in andere Länder zu finden. In der Vergangenheit wurden im südlichsten der drei baltischen Länder auch einige „westliche“ Produktionen gedreht, wie Hannibal Rising (2007) von Peter Webber, Defiance (2008) von Edward Zwick sowie das Low-Budget-Sequel Dungeons & Dragons: Die Macht der Elemente (2005) und die Historien-Miniserie Elizabeth I (2005). Die litauische Filmemacherin Kristina Buožytė (geboren 1982) und ihr französischer Kreativpartner Bruno Samper haben mit ihrer dritten gemeinsamen Arbeit Vesper Chronicles ein stimmungsvolles Scifi-Drama geschaffen.
Die eigene Hybris hat dazu geführt, dass sich die Menschheit fast selbst ausgerottet hat. Die Natur hat daraufhin gefährliche Abwehrrmechanisme in Form von aggresiven Pflanzen entwickelt. Während eine abgeschottete Gesellschaft ein sicheres Leben mit Wohlstand in den Zitadellen genießt kämpfen die anderen Menschen täglich ums Überleben. Als Gegenleistung für „jugs“, künstliche Wesen, die für die harte Arbeit gezüchtet wurden, und Saatgut, werden Blutkonserven an die Zitadellen verkauft. In dieser perspektivlosen, kalten Welt versucht die dreizehnjährige Titelheldin anhand ihres Talents für Biohacking einen Weg, zu finden das Saatgut dauerhaft nutzbar zu machen. Außerdem gibt es die sogenannten Pilger, welche aus unerfindlichen Gründen ihre Familien verlassen und fortan mt verhülltem Gesicht durch die Gegend ziehen, um allerlei Unrat zu sammeln. Auch Vespers Mutter hat sich dieser „Sekte“ angeschlossen.
Buožytė, Samper und ihr Co-Autor Brian Clark reduzieren Setting und Figuren auf das Wesentliche. Natürlich hätte ich wie viele andere Zuschauer*innen gerne mehr von den Zitadellen und ihren Bewohner*innen gesehen sowie mehr über die merkwürdigen Pilger*innen erfahren. Doch in Anbetracht des nicht gerade üppigen Budgets von sechs Millionen Euro war die reduzierte Inszenierung notwendig. Denn die Handlung spielt sich ausschließlich im Haus von Vesper und ihrem Vater sowie in der näheren Umgebung ab.
Obwohl die Locations in und um die litauische Hauptstadt Vilnius wegen starkem Schneefall erst sehr kurzfristig gefunden wurden überzeugt Vesper Chronicles mit seinen kargen, postapokalyptischen Landschaften. Diese wurden mit dezent eingesetzen CGI-Effekten um die sehr farbenfrohe, aber oft gefährliche mutierte Flora und die monolithischen Maschinen (siehe Poster) effektiv ergänzt. Überzeugen können auch die schauspielerischen Leistungen von Raffiella Chapman (Die Insel der besonderen Kinder) als Vesper, Rosy McEwen (Blue Jean) als Carmellia, Richard Brake (Mandy) als Vespers Vater Darius und Eddie Marsan (Sherlock Holmes [2009]) als Jonas. Dass eine europäische Endzeit-Produktion auch scheitern kann beweist die deutsche Netflix-Serie Tribes of Europa (2021). Vesper Chronicles, der im Oktober 2022 hierzulande sogar einen regulären Kinostart erlebte, beweist, dass diese Genre außerhalb von Nordamerika, wenn auch mit inhaltlichen Abstrichen, auch funktionieren kann.
Vesper Chronicles ist seit dem 26. Januar 2023 auf DVD und BluRay erhältlich sowie als kostenpflichtiger Stream bei diversen Anbietern verfügbar.
Fazit: Stimmungsvolles, stark gespieltes Endzeit-Drama. 7 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 16. November 2024. Bilder: Plaion Pictures.
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