Ein unzufriedener Zuschauer nimmt Schauspieler*innen und Publikum eines Theaters als Geiseln, in Yannick, dem 12. Spielfilm von Regisseur und Musiker Quentin Dupieux (Smoking Causes Coughing).
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Yannick
Dramedy Frankreich 2023. 67 Minuten. Start: 5. April 2024.
Mit: Raphaël Quenard, Pio Marmaï, Blanche Gardin, Sébastian Chassagne u.a. Drehbuch und Regie: Quentin Dupieux.
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Der Störenfried oder Kunst und Unterhaltung
In einem Pariser Theater. Paul (Pio Marmaï), Sophie (Blanche Gardin) und William (Sébastian Chassagne) spielen gerade das Stück Der Gehörnte vor einem halbleeren Saal, da werden sie von einem der Besucher*innen unterbrochen. Yannick (Raphaël Quenard), ein Parkplatz-Nachtwächter, beklagt sich darüber, dass ihn das Stück nicht unterhalten würde, was ja die Aufgabe von Kunst sei. Besonders ärgert ihn, dass er sich ja einen Tag frei nehmen musste und eine lange Anreise hinter sich hat. Paul gelingt es, Yannick des Saales zu verweisen. Doch beim Herausgehen bekommt der Störenfried mit, wie sich die Akteure über ihn lustig machen, bevor sie das Stück fortsetzen. Vincent betritt erneut den Saal, dieses Mal mit einem Revolver in der Hand, und nimmt sowohl Publikum als auch das Ensemble als Geiseln. Paul, Sophie und William zwingt er ein spontan von ihm selbst verfasstes Stück zu spielen, das er für unterhaltsam hält…
Ich möchte hier jetzt nicht herablassend klingen, aber wenn ich mir so ansehe, wie viele Zuschauer*innen vor allem bei Kinofilmen und Fernsehserien voller Begeisterung auf ein durchschnittliches oder vielleicht sogar eher mäßiges Werk reagieren und gleichzeitig einer weniger austauschbaren und wahrscheinlich kreativeren Produktion mit Ablehnung begegnen, weil sie sich davon „beleidigt“ und „überfordert“ fühlen, dass unter Umständen gängige Erzählmuster und Regeln durchbrochen werden, dann wundert es mich nicht, warum vor allem Mainstream-Kino in der Masse immer gleichförmiger wird. Natürlich möchte man von audiovisuellen Medien unterhalten werden, aber zumindest bei mir soll es dann doch etwas mehr sein als bloße Berieselung. Denn letztere Aufgabe könnte ja auch das Testbild oder das virtuelle Kaminfeuer bzw. Aquarium übernehmen. Mit der ablehnenden Haltung eines einfachen Menschen zur Kunst setzt sich Quentin Dupiuex mit seinem Film Yannick auseinander.
Der 50jährige Franzose hatte sich zuvor bereits als Mr. Oizo einen Namen als Elektronikmusiker gemacht. Sein Track Flat Beat avanciert vor 25 Jahren zum Hit, auch bekannt durch die Puppe Flat Eric im Musikvideo. Anfang der 2000er wandte sich Dupieux dem Kino als Medium zu, seitdem hat er über ein Dutzend Filme geschrieben und inszeniert, wobei er immer auch die Kamera-Arbeit und den Schnitt übernimmt, wie bei Rubber (2010) über einen mörderischen Autoreifen oder der entschleunigt-absurden Superhelden-Farce Smoking Causes Coughing (Originaltitel Fumer fait tousser), welche 2023 bei den Fantasy Filmfest Nights gezeigt wurde. Im Gegensatz zu Dupieux’ meist surrealen Situationen wirkt die Handlung bei Yannick sehr realitätsnah und bodenständig. Der titelgebende Mann unterbricht eine Theatervorstellung, weil er diese nicht unterhaltsam und schwach findet.
Doch bei einer vorübergehenden Störung bleibt es nicht. Yannick nimmt den ganzen Theatersaal als Geiseln, leiht sich den Laptop eines Zuschauers und beginnt sein eigenes Stück zu schreiben während die Anwesenden warten müssen. Schnell entpuppt sich der Protagonist als bildungs- und kulturferner sowie spießiger Typ, der die (leider gängige) Meinung vertritt, dass Kunst vor allem unterhalten müsse. Dabei sollen Filme, Serien, Bücher, Theater und andere Kunstformen ja auch die Rezipienten fordern und überraschen, deren Weltbild oder Denkweise ins Wanken bringen, ihren Horizont erweitern. Kunst und Kultur sind nämlich mehr als anspruchsloses Fastfood zur Befriedigung einfacher Bedürfnisse. Wobei das von den Schauspielerinnen-Trio im Film aufgeführte Stück, zumindest was man davon zu sehen bekommt, jetzt auch nicht wirklich besonders scheint.
Dupieux drehte seinen 12. Spielfilm heimlich an nur sechs Tagen in einem Pariser Theater in chronologischer Reihenfolge. Das reduzierte Setting (Theatersaal, Vorraum, Flur) wird effektiv genutzt. Auch wenn mir der eigenwillige Stil des Regisseurs bekannt war und Yannick durchaus seine Momente hat, so bin ich vom Endergebnis dann doch etwas enttäuscht. Es spricht für den Film, dass er nur eine gute Stunde dauert (generall macht Dupieux kürzere Werke), aber im Nachhinein betrachtet hätte man aus dem Thema und den möglichen Schlussfolgerungen (siehe den zweiten Absatz oben) mehr machen müssen, auch mit etwas längerer Laufzeit. Am möglichen Höhepunkt hört diese kleine Dramedy nämlich einfach auf. Sicherlich nicht das erste Mal, dass der Regisseur hier mit der Erwartungshaltung des Publikums ein wenig bricht, aber an dieser Stelle vielleicht nicht die beste Entscheidung.
Man kann den Protagonisten und seine Taten gerne als Übertragung uninformierter, negativer Kommentare in (a)sozialen Netzwerken auf eine konkrete Situation im echten Leben verstehen. Ein persönliches, offen geäußertes Dislike gegenüber der Theater-Produktion, welches schlussendlich etwas unausgegoren bleibt.
Yannick von Quentin Dupieux ist seit dem 5. April 2024 Teil des Angebots von MUBI.
Fazit: Trotz spannender Grundidee und Denkanstößen leider ein etwas unausgegorenes Werk. 6 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 22. Dezember 2024. Bilder: MUBI.
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