American Gods: Staffel 1

Der Brite Neil Gaiman zählt zu den kreativsten Geschichtenerzählern der Gegenwart. Sein 2001 veröffentlichter Roman American Gods wurde als Fernsehserie adaptiert. Ein Ex-Knacki gerät mitten hinein in den Krieg zwischen alten Mächten und neuen Göttern…

American Gods: Staffel 1 (American Gods: Season 1)
Fantasy/Mysteryserie USA 2017. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 8 Folgen. Gesamtlänge: ca. 455 Minuten. Erstausstrahlung: 1. Mai 2017.
Mit: Ricky Whittle, Ian McShane, Emily Browning, Pablo Schreiber, Bruce Langley, Yetide Badaki u.a. Nach dem Roman von Neil Gaiman. Adaption: Bryan Fuller und Michael Green.

 

The Old Gods And The New

Der frühere Fitnesstrainer Shadow Moon (Ricky Whittle) sitzt nach einem misslungenen Kasinoüberfall im Gefängnis. Wenige Tage vor seiner Entlassung erfährt Shadow, dass seine Frau Laura (Emily Browning) bei einem Autounfall ums Leben kam. Shadow kommt daher früher aus dem Gefängnis frei und macht sich auf den Weg nach Hause. Unterwegs trifft er den geheimnisvollen Trickbetrüger Mr. Wednesday (Ian McShane), der Shadow unbedingt als Assistent und Leibwächter engagierten möchte. Nach der Beerdigung Lauras willigt Shadow in den Deal ein. Wednesday nimmt seinen neuen Angestellten mit auf eine Reise durch die USA, wo merkwürdige Gestalten und finstere Mächte existieren…

 Wednesday und Shadow stoßen an

U.a. mit der Comicreihe Sandman, dem illustrierten Kinderbuch Coraline, dem Fantasymärchen Der Sternwanderer (die beiden letztgenannten erfolgreich verfilmt) sowie Drehbüchern zu den SF-Serien Babylon 5 und Doctor Who gehört Neil Gaiman (geboren 1960) zu den phantasievollsten (Genre-)Autoren der Gegenwart. 2001 veröffentlichte der Brite den Roman American Gods, in welchem ein Konflikt zwischen allerlei alten, von den Einwanderern nach Amerika gebrachten, Gottheiten und den „neuen Götzen“ wie Technologie, Medien und Globalisierung bevorsteht. Bryan Fuller, bekannt für seine Serien Dead Like Me, Pushing Daisies und Hannibal, sowie der aktuell sehr gefragte Drehbuchautor Michael Green (Logan, Alien: Covenant, Blade Runner 2049 sowie die Neuverfilmung von Mord im Orientexpress) adaptieren den Stoff fürs Fernsehen. In der achtteiligen ersten Staffel wird die mannigfaltige Welt aus Gaimans Roman dem Zuschauer langsam vorgestellt.

Auch ohne Kenntnis der Romanvorlage erscheint mir sowohl die formale als auch die inhaltliche Herangehensweise von Fuller und Green als die einzig richtige, um das komplexe Buch adäquat auf den Bildschirm zu übertragen. Denn neben der Hauptstory um Shadow Moon und Mr. Wednesday (dessen wahre Identität noch gelüftet wird) auf ihrer Reise quer durch die USA zur Rekrutierung alter Gottheiten im Kampf gegen die neuen Götter widmet man sich hier auch immer wieder ausgiebig dem Worldbuildung und erzählt in einer Art Anthologie von den unterschiedlichsten Einwanderern und den Mythen, welche diese mit auf den nordamerikanischen Kontinent brachten. Außerdem werden diverse alte Götter wie die äthiopische Liebesgöttin Bilquis, welche ihre Liebhaber auf eigenartige Weise verschlingt, oder der altägytische Totengott Anubis vorgestellt. Zwei der acht Folgen widmen sich komplett der Vorgeschichte je einer Hauptfigur.

Bei den hier präsentierten Gestalten fühlt man sich als buchunkundiger Zuschauer genau wie Protagonist Shadow Moon und kann daher dessen irritierte Reaktionen mehr als nachvollziehen. Nicht nur, dass man über weite Strecken aus den Aktionen von Mr. Wednesday nicht wirklich schlau wird, auch die übrigen Begegnungen tragen wenig zur Erhellung bei. Da wäre z.B. Mad Sweeney, ein irischer Trunkenbold und Herumtreiber, der ständig mit Münzen jongliert und sein Glück zu verlieren scheint. Oder der finstere Czernobog, der am liebsten (Rinder-)Schädel mit seinem blutenden Hammer zerschmettert. Für die metafiktionale und schauspielerischen Höhepunkte sorgt aber Gillian Anderson (Akte X) in der Rolle der Göttin Media, vor allem als sie in einer unnachahmlich-genialen Szene als Musiklegende David Bowie (bzw. wie er zur Zeit von Life On Mars aussah) erscheint. Die beiden anderen großen „neuen“ Gottheiten sind der Informatik-Hipster Technical Boy und Mr. World, die personifizierte Globalisierung.

American Gods funktioniert nicht nur als schräges Roadmovie, sondern auch als Diskussionbeitrag über aktuelle Themen wie das kulturelle Erbe der Vorfahren, der Einfluss von Immigration auf Vielfalt sowie Entwicklung einer nationalen Identität und der wahre „American Way Of Life“. Durch die Verquickung all jener Thematiken mit Religion und Mythologie lässt sich die Show (und folglich auch der Roman) als moderne Gesellschaftssatire verstehen.

Fuller und Green packen aber nicht nur viel Inhalt in die ersten acht Episoden, es gelingt ihnen auch meisterhaft diese ansprechend zu inszenieren. Das beginnt beim düster-stimmungsvollen Vorspann, getragen vom treibenden Score von Brian Reitzell, und zieht sich durch die unterschiedlichsten Szenerien, fast jede davon sinnlich-surreal und mit viel Liebe zum Detail eingefangen. Freilich geht man hier bisweilen auch freizügig und recht blutig zu Werke.

Der einzige wirklich gravierende Kritikpunkt, den sich Runde eins von American Gods gefallen lassen muss: die Staffel ist etwas zu kurz, fast als ob hier noch nicht der Hauptgang, sondern „nur“ eine üppige Vorspeise serviert würde. Am Ende hätte man sich ein oder zwei Episoden mehr zur weiteren Vertiefung gewünscht.

Die komplette erste Staffel von American Gods ist seit dem 19. Juni 2017 über Amazon Prime abrufbar. Am 27. Juli 2017 erscheinen die acht Episoden auf BluRay und DVD. Die zweite Staffel mit 10 Folgen folgt 2018.

Fazit: Auf Basis von Neil Gaimans Roman entfesseln die beiden Showrunner Bryan Fuller und Michael Green ein furioses, visuell berauschendes Inferno, irgendwo zwischen mythologischer Urban-Fantasy, Gesellschaftssatire und eigenwilligem Roadtrip. 9 von 10 Punkten.


Mad Sweeney
Technical Boy is not amused

Bilquis wird angebetet
Media als David Bowie

Marius Joa, 8. Juli 2017. Bilder: Amazon/Starz.

 


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