Mit reichlich Verspätung startete im März 2019 die zweite Staffel von American Gods, jener kuriosen Urban-Fantasy-Serie über göttliche Machenschaften im heutigen Amerika und wie ein paar Sterbliche in diese hineingezogen werden…
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American Gods: Staffel 2 (American Gods: Season 2)
Fantasyserie USA 2019. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 8 Folgen. Gesamtlänge: ca. 430 Minuten.
Mit: Ricky Whittle, Ian McShane, Emily Browning, Pablo Schreiber, Crispin Glover, Bruce Langley, Yetide Badaki, Orlando Jones, Mouisa Kraish, Omid Abtahi, Demore Barnes u.v.a. Nach dem Roman von Neil Gaiman.
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Road To Nowhere?
Zwar gelang es Mr. Wednesday alias Odin (Ian McShane) mit einer Demonstration seiner Macht im Haus von Ostara die neuen Götter in die Flucht zu schlagen, doch deren Anführer Mr. World (Crispin Glover) schmiedet sogleich neue Pläne. Im „House on the Rock“, einer Touristenattraktion in Wisconsin, versammelt Wednesday alte Götter und andere machtvolle Wesen, um sie für den Krieg zu gewinnen. Auch Wednesdays Bodyguard Shadow Moon (Ricky Whittle), der nun weiß für wen er da eigentlich die ganze Zeit arbeitet, sowie dessen untote Ehefrau Laura (Emily Browning), der Leprechaun Mad Sweeney (Pablo Schreiber), dessen Glücksmünze Laura am Leben hält, sowie die Götter Bilquis (Yetide Badaki), Mr. Nancy (Orlando Jones), Czernobog (Peter Stormare) und andere treffen dort ein. Unterdessen befindet sich der junge IT-Gott Technical Boy (Bruce Langley) auf der Suche nach der verschwundenen Media…
Die Götter der reibungslosen Produktion scheinen American Gods, der TV-Adaption des gleichnamigen Romans von Kultautor Neil Gaiman, wahrlich nicht wohlgesonnen. Weil die erste Staffel um 30 Millionen Dollar (!) teurer war als veranschlagt wurde die Episodenanzahl von zehn auf acht reduziert. Die Serienschöpfer bzw. Showrunner Bryan Fuller (Pushing Daisies, Star Trek: Discovery) und Michael Green (Blade Runner 2049) traten überraschend zurück, nachdem sie bereits über die Hälfte der Skripts für Season 2 vollendet hatten. Der neue Showrunner Jesse Alexander (Heroes, Lost) verwarf deren Drehbücher und begann von Neuem, unter Mitarbeit von Gaiman selbst, der allerdings durch die Arbeit als Showrunner von Good Omens, der Miniserien-Adaption des von Terry Pratchett (1948-2015) und ihm verfassten Romans, sehr eingespannt war. Um eine erneute Kostenexplosion zu vermeiden kürzte der Sender Starz die Episodenorder erneut auf acht. Im April 2018 begannen schließlich die Dreharbeiten. Probleme bei der Adaption und Unzufriedenheit mit den Skripts auch unter den Schauspielern führten schließlich zur Entlassung Alexanders. Dummerweise gab es zu diesem Zeitpunkt kein fertiges Drehbuch für das Staffelfinale und der Dreh musste folglich pausieren. Schließlich vollendeten Produzent/Regisseur Chris Byrne und Line Producer Lisa Kussner die zweite Season. Dem fertigen Endprodukt merkt man die massiven Probleme jetzt nicht unbedingt stark an doch die Qualität der ersten Staffel geht Runde zwei dann noch etwas ab.
Wirkte Staffel 1 wie ein üppig-süffiger Appetizer, der den Zuschauern den Mund wässrig machte mit der Vorahnung, was da noch alles passieren könnte, so muss man nach den Folgen 9 bis 16 feststellen, dass sich diese „Hinhaltetaktik“ keineswegs geändert hat. Im Gegenteil: American Gods scheint in seinem zweiten Jahr inhaltlich sogar noch mehr auf der Stelle zu treten. Um mal einen drastischen Vergleich zu wagen: die ganze Season wirkt ähnlich wie die erste Folge der finalen Staffel von Game of Thrones, in welcher viele Figuren zusammentreffen und es viele tiefgründige Dialogszenen gibt, nur eben auf acht Episoden gestreckt. Doch das sehr gemächliche Voranschreiten der Handlung darf nicht als Resultat der Unfähigkeit der Drehbuchautoren die Romanhandlung zu adaptieren fehlinterpretiert werden. Viel mehr fungiert die Langsamkeit als Stilmittel. Wir haben es hier schließlich mit Göttern zu tun, die seit Jahrtausenden unter uns Sterblichen weilen und Zeit ganz anders erleben. Zwar neigen sowohl die alten als auch die neuen Götter zu gelegentlichem Aktionismus aber vor allem Mr. Wednesday scheint in Seelenruhe dem sprichwörtlichen Gras (bzw. Baum) beim Wachsen zuzuschauen.
Hinsichtlich der Inszenierung wird hier der magische „Hyperrealismus“ beibehalten, wenngleich der Aha-Effekt im Vergleich zu den ersten Folgen sicherlich etwas nachgelassen hat. Schauspielerisch lassen sich die Akteure wahrlich nicht lumpen. Bruce Langley hat mich allerdings als Technical Boy irgendwann recht genervt. Das hemmungslose Chargieren des überaus gut aufgelegten Orlando Jones als afrikanischer Trickster-Gott Anansi/Mr. Nancy und die unheilvolle Präsenz des bedrohlich flüsternden Crispin Glover (Zurück in die Zukunft) als Mr. World wirken da schon souveräner. Pablo Schreiber darf als glückloser Mad Sweeney sogar noch mehr Gas geben. Neu im Cast: Sakina Jaffrey (House of Cards) als Mama-Ji und Kahyun Kim als neue Inkarnation der Göttin Media, eine fleischgewordene Videospiel-Figur. Der Verlust der „alten“ Media Gillian Anderson, welche die Serie nach dem Ausstieg Fullers ebenfalls verließ, kann nicht ganz kompensiert werden.
Zurück zur „Ziellosigkeit“ des Plots. Da ich die Buchvorlage nicht kenne, habe ich auch keine Ahnung wo die Reise hingehen wird. Aber was erwarten die Zuschauer eigentlich? Was soll ihrer Ansicht nach passieren? Eine große CGI-Schlacht der alten gegen die neuen Götter? Ein Lichtschwert-Duell zwischen Mr. Wednesday und Mr. World? Vielleicht gibt es auch gar keinen epischen Showdown. Wäre das etwas schlechtes? Ich denke nicht. Denn in seiner jetzigen Form besitzt die Serie durch die weitgehend gekonnte Vermischung des kuriosen Roadtrips ihrer Protagonisten mit (in Rückblenden und anthologieartigen Exkursen präsentierten) mythologischen, kulturgeschichtlichen Elementen und gesellschaftlichen Thematiken ein starkes Alleinstellungsmerkmal. Mal sehen, was die bereits in Auftrag gegebene dritte Staffel bringen wird.
Die komplette zweite Staffel von American Gods ist seit dem 29. April 2019 bei Amazon Prime abrufbar und erscheint am 11. Juli 2019 auf BluRay bzw. DVD.
Fazit: American Gods entpuppt sich auch in Staffel 2 als inszenatorisch hochklassige Wundertüte, deren Inhalt aber nicht jedem schmecken dürfte. 7 von 10 Punkten.
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Mr. Wednesday
Mr. Nancy in bester Stimmung
Bilquis erfindet sich neu
Die neue Inkarnation von Media
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