Mit der dritten Staffel findet die erste deutsche Netflix-Serie über die Bewohner einer Kleinstadt am Knotenpunkt einer weitreichenden Zeitreise-Verschwörung ihr kurioses Ende.
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Dark: Staffel 3
Mystery/Science-Fiction-Serie Deutschland 2020. 8 Folgen. Gesamtlänge: ca. 510 Minuten. Erstausstrahlung: 27. Juni 2020.
Mit: Louis Hofmann, Lisa Vicari, Julika Jenkins, Karoline Eichhorn, Andreas Pietschmann, Maja Schöne, Paul Lux, Dietrich Hollinderbäumer, Barbara Nüsse, Jakob Diehl, Nina Kronjäger, Carlotta von Falkenhayn u.v.a. Idee: Baran bo Odar und Jantje Friese. Regie: Baran bo Odar.
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Vom Ursprung des Knotens
Kurz nachdem sein älteres Ich Adam (Dietrich Hollinderbäumer) die junge Martha (Lisa Vicari) erschossen hat erscheint dem jungen Jonas (Louis Hofmann) plötzlich eine andere Martha (ebenfalls Lisa Vicari). Diese rettet Jonas mit der Hilfe einer anderen Zeitmaschine, welche die beiden in eine Parallelwelt befördert. Dort ist alles etwas anders als in Jonas Welt, vor allem aber wurde er dort nie geboren. Jonas trifft auf eine alte Frau namens Eva (Barbara Nüsse) die ihm von der untrennbaren Verbindung der beiden Welten erzählt. Währenddessen reisen ein Junge (Claude Heinrich), ein Erwachsener (Jakob Diehl) und ein alter Mann (Hans Diehl) durch die Zeiten…
Wie ich schon letztes Jahr in meiner Rezension zur zweiten Staffel mutmaßte, lässt sich erst mit der finalen Season 3 ein abschließendes Urteil über die Kleinstadt-Zeitreise-Serie Dark fällen. Damit sollte ich Recht behalten. Trotz bekannter Schwächen schaffen es die Serienschöpfer Jantje Friese (Chefautorin) und Barab bo Odar (Regie) ihre komplexes Raum-und-Zeit-Konstrukt zu einem stimmigen Ende zu bringen.
Im Finale von Runde zwei wurde auch noch das Faß namens Parallelwelten aufgemacht als Jonas plötzlich einer zweiten Martha begegnete. Die andere Welt funktioniert quasi als Spiegeluniversum, fast alles ist seitenverkehrt und manches Detail (z.B. das Handicap von Polizist Wöller) weicht etwas ab. Jonas existiert in dieser Welt gar nicht und “Spiegel-Martha” fungiert als sein zeitreisendes Gegenstück, was die Figur vom Love Interest des Protagonisten endgültig eigenständig und damit schließlich zum zweiten Hauptcharakter werden lässt. Schnell wird deutich, dass die beiden Parallelwelten und ihre Verbindungen den zentralen Kern der ganzen Zeitreise-Thematik bilden.
Man kommt als aufmerksamer Zuschauer nicht umhin zu bemerken, dass Friese und Odar ihre komplexe Geschichte von Anfang an bis ins Details durchgeplant haben (nicht nur anhand von mehr als einem Dutzend Zeitebenen, sondern auch hinsichtlich der beiden Paralleluniversen) und im Finale schließlich die Früchte ihrer akribischen Arbeit ernten. Das Resultat erweist sich als teilweise verwirrendes, aber im Endeffekt doch in sich völlig schlüssiges Gesamtpanorama voller zeitlicher Paradoxien. Nicht nur, dass eine Figur gleichzeitg ihre eigene Großmutter (also die Mutter ihrer eigenen Mutter) ist, weitere kuriose Kausalitäten dieses Kreislaufs werden in den letzten Episoden nach und nach enthüllt. Dabei treten zwar viele Figuren ziemlich in den Hintergrund, aber fast alle haben zumindest noch einen kleinen letzten Auftritt, quasi den Curtain Call.
Inszenatorisch bleibt Dark auf hohem Niveau, auch weil die Musik vom Australier Ben Frost weniger auf die teils überzogenen Streicher-Crescendi setzt. Erneut wird dank toller Locations die (teils postapokalyptisch-) trostlose Kleinstadt Winden zum Leben erweckt, wo es scheinbar (vor allem um 1888) fast nur regnet. Auch die unterschiedlichen Jahrzehnte werden gekonnt ins Szene gesetzt. Leider übernahm man aus dem Vorjahr auch die Unsitte, immer wieder Montageszenen einzustreuen. Das mag in wohldosierte Form ein probates Stilmittel sein, aber wirklich fast jede Folge nervt es irgendwann. Und auch die mit Abstand größte Schwäche kann Dark auf der Abschiedstournee nicht ablegen: die redundanten, albernen und peinlichen Dialoge, welche zu den unverkennbaren Markenzeichen der Serie gehören. Mit der von Barbara Nüsse (Großstadtrevier, Die Pfefferkörner) gespielten Eva gibt es eine neue Figur, die betulich-bedeutungsschwanger rumlabern darf, vom Ursprung des Knoten, der Apokalypse, der Verbindung beider Welten, Anfang, Ende, blablabla. Natürlich erweist es sich als richtig, elementare Details der Handlung durch Dialoge zu erläutern, doch irgendwie wirkte das Ganze auf mich zu “übererklärt”. Frei nach dem Motto: “Show, don’t tell” ist gut, aber show and tell and tell and tell…” ist noch besser. Ist es aber nicht.
Dennoch bleibt Dark nicht nur die erste deutsche Produktion des Streaminganbieters mit dem roten N, sondern auch eine starke Genre-Serie mit fast größtmöglicher internationaler Reichweite und sehr viel positivem Echo aus der ganzen Welt. Vermutlich die beste Science-Fiction-Saga aus deutschen Landen seit Raumpatrouille Orion (1966) oder Welt am Draht (1973) von Rainer Werner Fassbinder.
Die dritte und finale Staffel von Dark ist seit dem 27. Juni 2020 bei Netflix abrufbar.
Fazit; Staffel 3 bringt die Science-Fiction-Serie von Jantje Friese und Baran bo Odar als umfassendes Zeitreise-Paradoxon zu einem starken, schlüssigen und gleichzeitig verblüffendem Ende, trotz weiterhin schwacher, redundanter Dialoge. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 31. Juli 2020. Bilder: Netflix.
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