Nach etwa fünf Jahren Vorbereitung und Produktion ist mit Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht die neue Serie nach Tolkiens Romanepos mit den ersten beiden Folgen gestartet. Die Produktion von Amazon spielt allerdings lange vor der Handlung des Ring-Epos.
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Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht (The Lord of the Rings: The Rings of Power)
Fantasyserie USA 2022. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren.
Mit: Morfydd Clark, Lenny Henry, Sara Zwangobani, Dylan Smith, Markella Kavanagh, Megan Richards, Robert Aramayo, Benjamin Walker, Ismael Cruz Córdova, Nazanin Boniadi, Tyroe Muhafidin, Charles Edwards, Daniel Weyman, Owain Arthur, Charlie Vickers, Sophia Nomvete u.v.a. Nach J.R.R. Tolkien. Adaption: J.D. Payne und Patrick McKay.
Folge 1: Schatten der Vergangenheit (A Shadow of the Past). 65 Minuten. Drehbuch: J.D. Payne und Patrick McKay. Regie: J.A. Bayona.
Folge 2: Treibgut (Adrift). 67 Minuten. Drehbuch: Gennifer Hutchison. Regie: J.A. Bayona.
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Das Böse im Verborgenen
Mittelerde, im Zweiten Zeitalter. Lange Zeit nachdem es gelang den Dunklen Herrscher Morgoth im Krieg des Zorns endgültig zu besiegen scheint Frieden eingekehrt. Doch Elbenkriegerin Galadriel (Morfydd Clark) ist sich sicher, dass Morgoths oberster Diener Sauron noch immer heimlich sein Unwesen treibt. Mit einigen Soldaten sucht sie unermüdlich nach Spuren des Bösen im Norden Mittelerdes. Auf Befehl von Gil-galad (Benjamin Walker), dem Hohen König der Elben, soll Galadriel die Suche ruhen lassen. Auch ihr langjähriger Vertrauter Elrond (Robert Aramayo) rät ihr, ihr Leben als Kämpferin zu beenden und in Frieden zu leben. Elrond erhält von Gil-galad den Auftrag, dem gefeierten Schmied Celebrimbor (Charles Edwards) bei dessen neuer Unternehmung zu unterstützten. Dazu benötigen sie die Hilfe der Zwerge. Prinz Durin (Owain Arthur) vom Zwergenreich Khazad-dûm erweist sich allerdings als wenig gesprächsbereit.
Unterdessen bemerkt eine Gruppe von Harfüßen, einem im Verborgenen lebenden kleinen Volk, merkwürdige Vorkommnisse in der Natur. Ihr Anführer und Wegfinder Sadoc Burrows (Lenny Henry) weiß sich keinen Reim darauf zu machen. Das junge Harfuß-Mädchen Elanor “Nori” Brandyfoot (Markella Kavanagh), Tochter des Radmachers Largo Brandyfoot (Dylan Smith), und ihre beste Freundin Poppy Proudfellow (Megan Richards) finden einen geheimnisvollen Fremden (Daniel Weyman), der einem abgestürzten Kometen entsteigt. Obwohl ihnen der Kontakt zu anderen Völkern streng untersagt ist verstecken Nori und Poppy den Fremden vor den anderen Harfüßen.
In den Südlanden soll der Beobachtungsposten von Waldelb Arondir (Ismael Cruz Córdova) und seinen Mitstreitern aufgelöst werden. Jahrzehntelang überwachten die Elben jene Menschen, deren Vorfahren einst an der Seite Morgoths gekämpft hatten. Obwohl von den Menschen mit Misstrauen und Ablehnung behandelt hat Arondir mit der Zeit die menschliche Heilerin Bronwyn (Nazanin Boniadi) in sein Herz geschlossen. Bronwyns Sohn Theo (Tyroe Muhafidin) hat die Überreste einer merkwürdigen Waffe gefunden, die er vor seiner Mutter versteckt hält. Dunkle Vorgänge erregen schließlich die Aufmerksamkeit Arondirs…
Der britische Schriftsteller und Philologe John Ronald Reuel Tolkien (geboren am 3. Januar 1982, gestorben am 2. September 1973) gehört mit seinem Roman Der Herr der Ringe (Originaltitel: The Lord of the Rings; erschienen 1954/55) sowie weiteren verwandten Werken, die zum großen Teil erst nach dem Tod Tolkiens veröffentlicht wurden, zum Vater der modernen Fantasy-Literatur. Einem größeren Publikum wurde das in drei Teilen veröffentlichte Ring-Epos auch durch die dreiteilige Verfilmung des neuseeländischen Regisseurs Peter Jackson (2001-2003) bekannt. Für mich persönlich hat das Buch und die Filmtrilogie eine besondere Bedeutung, schließlich waren sie unmittelbar dafür verantwortlich, dass ich überhaupt mit dem Schreiben von Filmkritiken (damals noch auf einer Vorgängerseite von Vieraugen Kino) angefangen habe. Näheres dazu kann man HIER nachlesen.
Als im November 2017 erste Meldungen über eine geplante Serie zum Herr der Ringe von Amazon aufkamen überwog bei mir die Skepsis, wohl auch wegen der aus meiner Sicht durchwachsenen, unnötigen auf drei Teile ausgewalzten Kino-Adaption von Der Hobbit, einem vor HdR geschriebenen Buch Tolkiens, welches die unmittelbare Vorgeschichte erzählte. Meine Vorfreude wuchs etwas als sich herauskristallisierte, dass die neue Show nicht die HdR-Haupthandlung im Dritten Zeitalter nochmal nacherzählen sondern sich stattdessen dem Zweiten Zeitalter widmen würde. Die von J.D. Payne und Patrick McKay als Showrunner betreute Serie basiert auf den Anhängen zum Roman.
Amazon ließ sich allein die Rechte 250 Millionen Dollar kosten, gemeinsam mit dem Budget für voraussichtlich fünf Staffeln sollen die Kosten bei schätzungsweise einer Milliarde Dollar liegen. Nicht weniger als die teuerste TV-Serie aller Zeiten. Das literarische Ausgangsmaterial ist dieses Mal allerdings kein auf etwa 1.000 Seiten detailsreich ausformuliertes Epos, sondern etwa 70 Seiten ergänzendes Zusatzmaterial, das überwiegend aus kurzen Skizzierungen der Historie Mittelerdes und einer chronologischen Auflistung von Ereignissen besteht. Also viel Raum, um eigene Figuren und Handlungsstränge zu entwickeln. Unter großem Aufwand, der durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wurde, fanden von Februar 2020 bis August 2021 die Dreharbeiten zur achtteiligen ersten Staffel in Neuseeland statt, wo auch beide Mittelerde-Trilogien von Peter Jackson entstanden. Trotz mancher personeller Überschneidungen bei der Filmcrew soll Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht (so der Titel) eine eigenständige Adaption sein, losgelöst von den beiden Kinofilmreihen.
Ausgewiesene Tolkien-Kenner dürfte es möglicherweise etwas vor den Kopf stoßen wenn am Anfang der ersten Folge Schatten der Vergangenheit viele Jahrtausende der Geschichte Mittelerdes und der vorherigen Kontinente sowie deren Mythologie in nur wenigen Minuten abgehandelt wird. Die Erklärung: Amazon hat von Tolkiens Erben nur die Rechte am Herr der Ringe erworben, allerdings nicht die für Das Silmarillion (1977), jener posthum von J.R.R. Tolkiens Sohn Christopher Tolkien (1924-2020) herausgegebenen Sammlung von Erzählungen über die Erschaffung der Welt und die große Zeit der Elben. Generell erinnerte mich der Prolog sehr an das entsprechende Gegenstück in der Verfilmung von Der Herr der Ringe: Die Gefährten. Aus ästhetischer Sicht gibt es auch durchaus Ähnlichkeiten, was auch Sinn macht, aber bereits in den ersten zwei Episoden schafft es die neue Serie auf eigenen Füßen zu stehen. Ähnlich verhält es sich auch mit der Musik. Das Titelthema komponierte Howard Shore, der auch beide Mittelerde-Trilogien vertont hatte, den Score schuf Bear McCreary (Battlestar Galactica).
Ich persönlich finde es irgendwie etwas kurios und merkwürdig, das wir es hier “nur” mit einer Serie zu tun haben, denn die epischen Bilder verlangen eigentlich danach, Die Ringe der Macht auf einer großen Leinwand zu sehen. Dank des wohltemperierten Einsatzes von Computer-Animationen wirkt die Optik auch lange nicht so künstlich wie es beim Hobbit-Dreiteiler über weite Strecken der Fall war. Vielmehr setzte man verstärkt auf “echte” Kulissen und Make-Up-Effekte, was für einen plastischeren Look sorgt. Auf visueller Ebene wird der Unterschied zwischen den einzelnen Völkern gut herausgearbeitet, etwa wenn den leuchtenden Elbenreichen die eher schmucklose Welt der Menschen in den Südlanden gegenübergestellt wird.
Die Showrunner J.D. Payne und Patrick McKay nutzen im ersten Viertel der Premierenstaffel, gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Gennifer Hutchison, welche die zweite Folge schrieb, sowie dem spanischen Regisseur J.A. Bayona (Penny Dreadful, Sieben Minuten nach Mitternacht), der das Auftakt-Doppel inszenierte, die vielen Leerstellen in der mageren Vorlage gewinnbringend aus. Innerhalb der aus dem Roman und seinen Anhängen vorgegebenen Eckpunkte schaffen sie neue Charaktere und kombinieren diese mit bereits bekannten. Besonders gelungen finde ich die Darstellung der Harfüße, jener umherwandernden und sich von anderen Völkern versteckt haltenden Vorfahren der Hobbits. An manche Elemente, wie die kämpfende Galadriel (die man ja bisher nur als weise, mystische Lenkerin kannte), muss man sich vielleicht noch etwas gewöhnen. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass man sich völlig ohne Vorkenntnisse mit den ganzen Namen der Figuren bzw. Orte schwertut. Eine mehr als solide Basis für eine potenzialträchtige Serie wurde in den Auftakt-Folgen gelegt. Fast alles wirkt auf mich äußerst stimmig. Sehr gut haben mir auch die hochklassigen Dialoge gefallen, vor allem die unterschiedlichen Sprachstile der Völker in der englischen Originalfassung.
Die ersten beiden Folgen von Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht sind seit dem 2. September 2022 Teil des Angebots von Amazon Prime. Die weiteren sechs Episoden der ersten Staffel werden immer freitags veröffentlicht. Eine zweite Staffel soll ab Oktober 2022 im Vereinigten Königreich gedreht werden.
Fazit: Mit den ersten beiden Folgen gelingt Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht ein inszenatorisch und inhaltlicher hochwertiger Start, auch wenn Manches noch etwas gewöhnungsbedürftig erscheint. 8 von 10 Punkten.
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