Mit Deutschland 89 findet die in Deutschland 83 (2015) begonnene und in Deutschland 86 (2018) weitergeführte Geschichte von DDR-Spion Martin Rauch ihr planmäßiges Ende, kurz nach dem Mauerfall.
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Deutschland 89
Drama-Serie/Spionagethriller Deutschland 2020. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 8 Folgen. Gesamtlänge: ca. 400 Minuten.
Mit: Jonas Nay, Maria Schrader, Sylvester Groth, Svenja Jung, Corinna Harfouch, Lavinia Wilson, Fritzi Haberlandt, Niels Bormann, Uwe Preuss, Carina Wiese, Raul Casso, Alexander Beyer, Florence Kasumba u.v.a. Idee: Anna Winger und Jörg Winger. Regie: Randa Chahoud und Soleen Yusef.
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Schöne neue Welt
November 1989. Eigentlich hat Martin Rauch Martin Rauch (Jonas Nay) dem Dasein als Spion für den ostdeutschen Geheimdienst HVA entsagt und arbeitet als Verkäufer beim VEB Robotron. Weil seine Ex-Verlobte und Mutter des gemeinsamen Sohnes Max (Ari Kurecki) in Moskau weilt kümmert sich Martin aum die Erziehung des Jungen. Doch als er einen Kurierauftrag für die HVA übernimmt und einen heiklen Gesetzesentwurf zur Reisefreiheit der DDR-Bürger zustellt fällt kurz darauf die Mauer. In der Folge buhlen die Geheimdienste um den ostdeutschen Agenten, der eigentlich ein ruhiges Leben mit seinem Sohn führen möchte. Geschockt von der Öffnung der Grenzen versucht die HVA-Führung unter Markus Fuchs (Uwe Preuss) die Situation unter Kontrolle zu bringen. Walter Schweppenstette (Sylvester Groth), Martins Vater, wird getarnt als Anthropologie-Professor bei der Deutschen Bank in Frankfurt am Main eingeschleust, um eine Übernahme der Staatsbank in die richtigen Bahnen zu lenken. Als sich Martin schließlich von CIA bzw. BND in Person von Hector Valdez (Raul Casso) und seiner Ex-Geliebten Brigitte Winkelmann (Lavinia Wilson) engagieren lässt werden auch Max und dessen junge Lehrerin Nicole Zangen (Sevnja Jung) in die gefährliche Operation mit hineingezogen. Martins Tante, die überzeugte Kommunistin Lenora (Maria Schrader) versauert in einem westdeutschen Gefängnis, bekommt aber bald Besuch von einer alten Freundin…
Mit Deutschland 83 (2015) versuchte das amerikanisch-deutsche Autoren- und Produzenten-Paar Anna Winger und Jörg Winger eine eher anspruchsvolle, horizontal erzählte Serie über einen in Westdeutschland eingeschleusten Spion der DDR beim Privatsender RTL zu etablieren. Dies gelang trotz ordentlicher Quoten nicht. Das überaus positive Echo aus den USA, wo der Achtteiler bereits einige Monate zuvor Premiere gefeiert hatte, und die guten Abrufzahlen auf Amazon Prime führten allerdings zu einer Weiterführung der Spionage-Show in der Streamingabteilung des großen Konzerns. Als zweite Staffel startet Deutschland 86 (2018) mit nun zehn Episoden direkt dort. Seit Ende September liegt die dritte und letzte Season unter dem Titel Deutschland 89, welche unmittelbar nach dem Mauerfall im November 1989 die Geschichten von Protagonist Martin Rauch, seiner dysfunktionalen (Geheimdienst-)Familie und weiterer Figuren verfolgt. Jörg Winger übernahm dieses Mal die Rolle des Chefautoren von seiner Ehefrau Anna, weil diese mit ihrer Rolle als Drehbuchautorin und ausführende Produzentin bei der von Maria Schrader inszenierten Netflix-Miniserie Unorthodox (2020) noch beschäftigt war.
Eigentlich hatte ich vermutet, dass der letzte Teil der „Deutschland-Trilogie“ über fast die gesamte Laufzeit auf den Mauerfall hinarbeiten und mit diesem enden wird. Doch hier durchbricht die Staffel gleich meine Erwartungshaltung und lässt das für Deutschland geschichtsträchtige Ereignis gleich in der ersten Folge. In der Folge kämpfen die Charaktere um ihren Platz in dieser neuen Welt, deren weiterer Verlauf für sie noch völlig ungewiss erscheint, im positiven wie im negativen Sinne. Jeder sucht seinen Platz inberhalb der völlig veränderten Ordnung. Martin Rauch, zentraler Held der ganzen Serie, möchte einfach in Ruhe gelassen werden und außerdem nur eine brave bürgerliche Existenz als Familienvater mit seinem mittlerweile eingeschulten Sohn, fernab vom internationalen Geheimdienstmauscheleien, erleben. Und doch findet er sich erneut als Spielball dieser Kräfte wieder. Auch Martins Vater fremdelt etwas mit der neuen Aufgabe als Undercover-Mann im westdeutschen Bankgeschäft. Unterdessen versucht die 1986 in den Westen geflohene Ärztin Tina Fischer etwas über den Verbleib ihres Ehemannes herauszufinden, der nach dem Fluchtversuch im Gefängnis landete. Der immer etwas belächelte HVA-Technikexperte Fritz Hartmann will dagegen eine Karriere in der noch jungen IT-Branche starten. Tina und Fritz sind stellvertretend für die Bewältigung der Vergangenheit einerseits und den vermutlich etwas naiven Blick in eine möglicherweise rosige Zukunft auf der anderen Seite.
Auch wenn sich die politische Lage und damit die Situation der Figuren im Vergleich zu „86“ ziemlich geändert hat so wirken die Staffeln zwei und drei inszenatorisch fast wie aus einem Guss, wobei alle acht Folgen von den beiden Regisseurinnen Randa Chahoud (Ijon Tichy: Raumpilot, Bruder: Schwarze Macht) und Soleen Yusef (Meiberger – Im Kopf des Täters, Skylines) gestemmt wurden. Bis auf Ludwig Trepte als Alex Edel und Sonja Gerhardt als Annett Schneider (die nur kurz in Rückblenden zu sehen ist) kehren im Grunde fast alle Darsteller aus der vorherigen Season zurück, wenngleich manche der bisherigen Hauptrollen viel weniger im Mittelpunkt stehen als vorher und daher etwas „vernachlässigt“ werden. Neu dabei sind Svenja Jung (Traumfabrik, Electric Girl) als Lehrerin Nicole Zangen und Corinna Harfouch (u.a.Der Untergang, Bibi Blocksberg) als Beate, Walters nüchterne Alibi-Ehefrau.
Während Deutschland 86 mit zehn Episoden das erzählerische Potenzial voll ausschöpfen konnte, so muss man diesbezüglich bei „89“ bei zwei Folgen weniger Zeit Abstriche machen. Dennoch empfinde ich das Ende der Geschichte von Kolibri & Co als durchaus rund, wenngleich der ein oder andere Handlungsstrang etwas unterentwickelt und unvollständig bleibt. Vor allem wird hier die Wiedervereinigung Deutschlands eben nicht nur als einzige Freudenfeier dargestellt.
Deutschland 89 ist seit dem 25. September 2020 komplett bei Amazon abrufbar. Eine DVD-Auswertung steht aktuell noch aus.
Fazit: Gelungenes Finale einer spannenden und abwechslungsreichen deutschen Spionage-Saga, dem aber ein bis zwei Episoden mehr sicherlich nicht geschadet hätten. 8 von 10 Punkten.
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Walter und seine neue Ehefrau
Besuch aus dem Westen
HVA im Exil
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Marius Joa, 29. Dezember 2020. Bilder: Amazon/UFA Fiction.
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