Legion: Staffel 2

Auch die beste Serie des Vorjahres erhielt in 2018 eine zweite Staffel, in welcher Showrunner Noah Hawley den irren Psycho-Trip mit neuen, überraschenden Zutaten intensiviert.

Legion: Staffel 2
(Legion: Season 2)
Mystery/Science-Fiction/Psychothriller/Drama-Serie USA 2018. 11 Folgen. Gesamtlänge: ca. 530 Minuten.
Mit: Dan Stevens, Rachel Keller, Aubrey Plaza, Navid Negahban, Jemaine Clement, Bill Irwin, Jeremie Harris, Amber Midthunder, Hamish Linklater, Jean Smart, Katie Aselton u.a. Idee: Noah Hawley. Nach Comic-Charakteren von Chris Claremont und Bill Sienkiewicz.

 


Von Wahnsinn und Selbsttäuschung

Ein Jahr nachdem er von einer schwebenden Kugel entführt wurde, wird der überaus mächtige Mutant David Haller (Dan Stevens) in einem Nachtclub aufgefunden, ohne Erinnerung an die letzten zwölf Monate. Davids Freundin Sydney „Syd“ Barrett (Rachel Keller), Gedächtniskünstler Ptonomy Wallace (Jeremie Harris) und Dr. Melanie Bird (Jean Smart) sind unsicher, ob sich David wirklich nicht erinnert oder lügt. Die Summerland-Crew hat sich unterdessen mit der geheimen Regierungsorganisation namens Abteilung 3 zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen den bösen Amahl Farouk alias „Shadow King“ (Navid Negahban) zu kämpfen. Dieser hat sich des Körpers von Oliver Bird (Jemaine Clement), dem Ehemann Melanies, bemächtigt und befindet sich auf der Suche nach seiner physischen Hülle, die irgendwo begraben liegt. Im Gepäck führen die beiden auch den Geist der durchgeknallten Lenny (Aubrey Plaza). Um Farouk aufspüren zu können, begibt sich David in einen vom Wissenschaftler Dr. Carey Loudermilk (Bill Irwin) konstruierten Tank, der telepathische Fähigkeiten verstärken soll. Dadurch erlebt David eine überraschende Vision aus der Zukunft…

 David ist zurück

Aus meiner Sicht bildet Legion nicht nur fast ausnahmlos die beste Comic-Adaption aller Zeiten, sondern auch eine der besten Serien der letzten Jahre. Allein schon, dass Chefautor und Showrunner Noah Hawley (bekannt für die Serienversion des Coen-Films Fargo) seinen Protagonisten zum unzuverlässigen Erzähler und dessen eigene Wahrnehmung der Realität zum zentralen Ausgangspunkt der Inszenierung machte, sollte sich mehr als auszahlen. Umso bedauerlicher, dass Legion trotz positivem Kritikerecho in Sachen Preisen kaum beachtet wird (für Staffel 1 erhielt Dana Gonzalez eine kümmerliche Emmy-Nominierung für die beste Kamera, während Aubrey Plaza als „Best Villain“ bei den MTV Movie and TV Awards 2017 nominiert war). Ungeachtet dieser sträflichen Vernachlässigung gewinnen die elf Episoden der Staffel 2 dem kreativen Mindfuck-Szenario neue Facetten ab. Drehte man die Vorgängerseason noch im kanadischen Vancouver, so zog die Produktion auch aufgrund von Steuererleichterungen im zweiten Jahr nach Kalifornien weiter. Dieser Umzug wird auch zu einer inszenatorischen Neuorientierung der Show genutzt.

Wie ließen sich die Kapitel neun bis neunzehn am besten beschreiben als mit folgenden, zwangsläufig hinkenden Vergleichsversuchen: David Lynch (Twin Peaks) trifft auf Terry Gilliam und Tarsem Singh, dazu Elemente aus der Marvel’schen Comicwelt kurios gemixt mit Motiven aus Alice im Wunderland von Lewis Carroll, asiatischer Mythologie und der Theseussage sowie diversen Scifi-Versatzstücken. Als weitere Erzählebene zusätzlich zur Haupthandlung addiert Season 2 pädagogische Segmente, welche wissenschaftliche und philosophische Konzepte erklären. In der Originalversion werden diese von niemand Geringerem als Jon Hamm (Mad Men) gesprochen.

Was hier so alles passiert gereicht der Serie allein schon zu Ehre, aber vor allem das Wie macht sie zu einem solchen Erlebnis. Nicht nur, dass Admiral Fukyama, Chef von Abteilung 3, einen Korb auf dem Kopf trägt, er wird auch von schwarz gekleideten, weiblichen Robotern (Vermillions) mit Pagenschnitt und Schnurrbärten (!) unterstützt, die mit metallenen Stimmen als sein Sprachrohr dienen. Austin Powers wäre sicherlich mehr als irritiert! Dazu passt natürlich das durchgehend wabenförmige Hauptquartier der Geheimorganisation. Manche der Sets sind dermaßen verwirrend aufgebaut, dass man als Zuschauer im wörtlichen Sinne nicht weiß, wo oben und unten sein könnte. Die Suche nach Farouks Körper gestaltet sich als nicht nur als mentale Reise sondern auch als diffuse Wüstenexkursion. Ihre erste Konfrontation in „Kapitel 9“ tragen David und Farouk (sowie Lenny!) übrigens als hippen Dancebattle im oben erwähnten Club aus.

Obgleich meine Befürchtungen, dass mich Legion aufgrund des überaus genialen ersten Jahrs im zweiten enttäuschen könnte, gering waren, so schafft es die Produktion des Senders FX sich kontinuierlich weiter zu entwickeln, vor allem durch ihre völlige Unvorhersehbarkeit. Als „kleines“ Intermezzo erforscht „Kapitel 14“ die Möglichkeit von verschiedenen Paralleluniversen anhand daran, wie Davids Leben auf andere Art hätte verlaufen können. Das große Finale endet schließlich mit einem Schlag in die Magengrube, wie man ihn so gar nicht kommen sieht. Oder anders ausgedrückt: Hawley macht Tabula Rasa mit dem ganzen Szenario.

Legion wäre zweifelohne nichts so genial ohne seine starken Schauspieler. Dan Stevens spiegelt gekonnt die widersprüchlichsten Gemütszustandes seiner Figur wieder. Der Shadow King erhält mit dem iranisch-amerikanischen Darsteller Navid Negahban nun endlich ein Gesicht. Negahban verkörpert den mächtigen Finsterling als weltmännischen Dandy in schickem Smoking, der nicht nur Farsi und Englisch spricht, sondern auch Französisch und Deutsch beherrscht. Für die deutsche Synchronisation hätte man sich einen Sprecher mit echtem arabischen Akzent gewünscht. Der ebenfalls bestens gekleidete Jemaine Clement erhält als Oliver Bird mehr Screentime und weiß diese zu nutzen. Die ohnehin unfassbare Aubrey Plaza fügt der dämonischen „untoten“ Lenny neue Gesichter hinzu. Ihrem jenseits von Gut und Böse agierenden Charakter widerfährt eine unerwartete Entwicklung. Wie genial und mühelos Plaza diesen Part spielt, sieht man bereits im Teaser zu Staffel zwei. Was wird uns in der nächsten Staffel erwarten? Man hat nicht den blassesten Schimmer und das macht auch den Reiz dieser einmaligen Fernsehshow aus.

Die zweite Season von Legion ist derzeit leider nur über Amazon Instant Video erhältlich. Eine deutsche Veröffentlichung auf DVD und BluRay steht noch aus. Staffel 3 ist für 2019 vorgesehen und wird in Deutschland voraussichtlich wieder beim FOX Channel gesendet.

Fazit: Legion schickt auch in Staffel 2 seine Figuren und die Zuschauer auf einen irren Trip durch kuriose Welten, um allen Beteiligten am Ende den Boden unter den Füßen wegzuziehen. 9 von 10 Punkten.


Karusselfahren mit Lenny und Oliver

 

Admiral Fukyama und die Vermillions

 

Amahl Farouk, der Shadow King

 

Folge dem weißen Kaninchen?

 

Marius Joa, 31. Dezember 2018. Bilder: FX/Marvel.

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