Zwei Jahre nach dem Serien-Comeback von Sir Patrick Stewart als Jean-Luc Picard ist nun die zweite Staffel von Star Trek: Picard komplett veröffentlicht. Der legendäre Sternenflottenoffizier bekommt es darin mit einem alten, unliebsamen Bekannten zu tun.
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Star Trek: Picard – Staffel 2 (Star Trek: Picard – Season 3)
Science-Fiction-Serie USA 2022. 10 Folgen. Gesamtlänge: ca. 480 Minuten.
Mit: Patrick Stewart, Alison Pill, Jeri Ryan, Michelle Hurd, Orla Brady, Santiago Cabrera, Isa Briones, Brent Spiner, John de Lancie, Annie Wersching u.v.a. Nach Star Trek: The Next Generation von Gene Roddenberry. Idee: Akiva Goldsman, Michael Chabon, Kirsten Beyer, Alex Kurtzman.
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Der alte Man und die mäßigen Drehbücher
2401. Zwei Jahre nach den Geschehnissen auf Coppelius und der darauffolgenden Abschaffung des Verbots von synthetischen Lebensformen wird der mittlerweile mit seiner verwitweten romulanischen Hausangestellten Karis (Orla Brady) zusammenlebende und als Kanzler der Sternenflottenakademie fungierende Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) vom Sternenflottenkommando um Hilfe gebeten. Eine mysteriöse außerirdische Lebensform möchte ausdrücklich nur mit ihm sprechen. Auf der U.S.S. Stargazer, unter dem Kommando von Captain Cristóbal „Chris“ Rios (Santiago Cabrera) trifft Picard auch die Wissenschaftlerin Dr. Agnes Jurati (Alison Pill), die frühere Borg-Drohne Seven of Nine (Jeri Ryan) und seine ehemalige erste Offizierin Raffi Musiker (Michelle Hurd) wieder. Die Kontaktaufnahme eskaliert und Picard aktiviert die Selbstzerstörungssequenz des Raumschiffes. Nach der Explosion findet sich Picard plötzlich in seinem Haus wieder, doch in einem alternativen Jahr 2401 in welchem die Menschheit die anderen Völker des Weltraums brutal unterjocht, versklavt und massakriert hat. General Picard gilt in dieser Parallelwelt als größter Kriegsheld und soll auf einer Gala feierlich den letzten großen Feind symbolisch hinrichten: die Borg-Königin (Annie Wersching). Picard, Seven, Chris, Raffi und Agnes finden sich zusammen. Gemeinsam wollen sie ihre eigene Zeitlinie wiederherstellen. Dazu müssen sie in das Jahr 2024 zurückreisen und die düstere Zukunft verhindern. Hinter dem ganzen Zauber steckt niemand geringeres als der allmächtige Q (John de Lancie)…
Im Zuge der neuen Star Trek-Serien-Offensive, die 2017 mit Star Trek: Discovery ihren Anfang machte, erhielt der (meiner Ansicht nach) beste Captain der Sternenflotte mit Star Trek: Picard seine eigene Serie, die zwanzig Jahre nach Star Trek: Nemesis (2002), dem letzten Film mit der Next Generation-Crew spielt. Im Jahr 2399 befand sich der von Patrick Stewart (Der kleine Lord [1980], Dune [1984], X-Men-Filmreihe [2000-2017]) gespielte Ex-Captain im Alter von 94 Jahren in Rente und kümmerte sich überwiegend nur noch um das hauseigene Weingutes, seit unzähligen Generationen im Familienbesitz. Doch das Erbe seines langjährigen zweiten Offiziers, des Androiden Lieutenant Commander Data (Brent Spiner), der sich in Nemesis für seine Kollegen opferte, holte Picard aus dem Ruhestand zurück in die Weiten des Weltalls. Die Geschichte um heimlich hergestellte, nach einem dramatischen Zwischenfall verbotene synthetische Lebensformen (gespielt von Newcomerin Isa Briones) bot einige interessante Ansätze und war trotz der teils unzureichenden Ausarbeitung insgesamt durchaus gelungen. Durch die Corona-Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns verzögerte sich die Produktion der längst bestellten zweiten Staffel. Die Dreharbeiten begannen Mitte Februar 2021 unter strengen Schutzmaßnahmen und endeten Anfang September 2021. Direkt im Anschluss wurde die bereits angekündigte dritte und letzte Season bis März 2022 gedreht. Terry Matalas (Star Trek: Enterprise – Staffel 3, 12 Monkeys [Serie], MacGyver [Remake]) und Akiva Goldsman (Oscar-Gewinner 2002 für sein Drehbuch zu A Beautiful Mind) agierten als Showrunner.
Zu Beginn der Staffel hatte ich irgendwie noch die Hoffnung, dass Season 2 inhaltlich besser funktionieren würde als die erste. Bedauerlicherweise wurde dieses im Nachhinein betrachtet illusorisch wirkende Wunschdenken meinerseits relativ schnell zerstört. Denn über weite Strecken erweisen sich die Drehbücher in vielerlei Hinsicht als kaum durchdachte, halbgar ausgearbeitete und teils einfach unlogische Angelegenheit. Als ob für das Autorenteam fast nur Fanfiction-Schreiber verpflichtet worden wären, die keinerlei Erfahrung und Ausbildung hinsichtlich der Skriptentwicklung für eine Serie besitzen. Potenzialträchtige und teils auch gelungene Ansätze gibt es weiterhin aber was hier inhaltlich geboten wird ist weder eines Jean-Luc Picard noch der Marke Star Trek würdig.
Als Picard und seine neue Crew schließlich in einem alternativen, faschistoiden Universum landet musste ich schon gähnen. Schließlich wurde das absolut ähnliche Spiegeluniversum mittlerweile schon oft genug behandelt, wenngleich es das „Mirror Universe“ bei The Next Generation bisher nur in Comicform gibt. Diese Reise ins Jahr 2024 (also quasi in unsere heutige Gegenwart) bietet an sich Möglichkeiten, die aktuellen sozialen und politischen Probleme aufzugreifen, nur nutzt Season 2 diese nicht. Stattdessen wird eine „Baustelle“ nach der anderen aufgemacht und dann entweder nicht zu Ende gedacht oder einfach links liegen gelassen. Die Schreiberlinge jonglieren munter mit gut gemeinter, aber suboptilmaler Fanfiction und munterem Retconning (kurz für „retroactovie continuity“, zu deutsch „retroaktive Kontinuität“). Da wird dem nunmehr 96jährigen Protagonisten ein bisher völlig vergessenes (weil nicht existentes) Kindheitstrauma angedichtet. Immerhin werden die unzähligen Flashbacks recht organisch in die Handlung eingewoben. Mit der Handlung in 2024 verspürte ich teilweise sogar ein wenig Terminator-Vibes, die allerdings ebenfalls schnell wieder verpuffen. Im Staffelfinale wird dann eines der absolut zentralen Storyelemente innerhalb von kaum mehr als fünf Minuten abgehandelt und der „Twist“ entpuppt sich als hanebüchener Quatsch, der keinen Sinn mehr zu ergeben scheint.
Weniger dem Budgets als vielmehr den strikten Schutzvorkehrunge zur Vermeidung von Corona-Infektionen dürfte der Umstand geschuldet sein, dass es kaum Szenen mit mehr als fünf Personen gibt und großräumige Actionsequenzen sehr rar gesät sind. Ansonsten kann erweist sich die Staffel als produktionstechnisch mehr als solide. Ähnliches lässt sich auch über die Schauspieler sagen, wobei der nun 81jährige Patrick Stewart im Verlauf mehr Mühe zu haben scheint, seine Dialoge mit der gewohnten Präsenz rüberzubringen. Während sich Alison Pill als Agnes Jurati, die in Season 1 grob vernachlässigt wurde, bekommt aufgrund einiger völlig konstruierter, aber immerhin spannender Wendungen, die Möglichkeit sich mehr in den Vordergrund zu spielen. Die anderen Hauptdarsteller, wie Santiago Cabrera als Captain Rios Jeri Ryan als Seven of Nine (Hauptakteurin in den Staffeln vier bis sieben von Star Trek: Voyager) und Michelle Hurd als bisweilen etwas nervige Raffi Musiker siehen sich sehr oft zu Stichwortgebern degradiert. Auch der starken Orla Brady (in – Spoiler! – einer Doppelrolle) wünscht man besseres Ausgangsmaterial. Richtig schlecht hat es Brent Spiner erwischt, der als Soong-Vorfahre Adam zwischen unausgegorenem Doktor Frankenstein und zweitklassigem Klischee-Bösewicht pendelt. Das Wiedersehen mit Whoopi Goldberg als zeitlose Barkeeperin Guinan und John de Lancie als übermächtigem Q macht Freude, wenngleich man vor allem letzteren Part hinsichtlich der Motive hätte besser aufziehen können.
Nach den zehn Folgen bleibt für mich die Erkenntnisse, dass Star Trek: Picard nicht wirklich zum Kanon der von Gene Roddenberry vor gut 55 Jahren erfundenen utopischen Weltraumsaga gehört, sondern ähnlich wie auch Discovery in einem eigenen von Oberverwässerer Alex Kurtzman erschaffenen Fanfiction-Universum spielt, in welchem innere Logik, richtig ausgearbeitete Storylines und stimmige Charakterzeichnungen bestenfalls zufällig vorkommen. Die für 2023 geplante dritte Staffel von Picard wird gnädigerweise die letzte sein. Wie kürzlich ein Teaser enthüllte werden darin auch die weiteren TNG-Hauptdarsteller LeVar Burton als Geordi LaForge, Michael Dorn als Worf, Jonathan Frakes (hier Regisseur zweier Episoden) als William Riker, Gates McFadden als Beverly Crusher und Marina Sirtis als Deanna Troi zum Cast stoßen. Meine Prognose zur Handlung: Die in Würde gealterte, frühere Crew der U.S.S. Enterprise D bis E muss eine letzte Mission absolvieren. Denn die bisher völlig unbekannten Soong-Zwillingsschwestern Jutta und Kuhnigunde (gespielt von Brent Spiner!) wollen mit allen Mitteln ihre beiden Liebsten aus dem Reich der Toten zurückholen: den zu einer äußerst seltenen Rasse gehörenden, gestaltwandelnden Dackel namens Waldi Soong und die von einem exotischen Planeten stammende, fleischfressende Pflanze Kleopatra. Um dieses Ziel zu erreichen nehmen die Soong Twins auch in Kauf, dass das ganze Universum implodiert. Wieso freue mich jetzt mehr auf die neue Staffel von Lower Decks?
Die komplette zweite Staffel von Star Trek: Picard ist seit 6. Mai 2022 Teil des Angebots von Amazon Prime. Eine Veröffentlichung auf DVD und BluRay steht aktuell noch aus.
Fazit: Gute Ansätze und ein weitgehend solides Ensemble, welches vom immer noch agilen Patrick Stewart angeführt wird, können leider die halbgaren, an mäßige Fanfiction erinnernden Drehbücher mit wenig Sinn und Verstand nicht ausreichend kompensieren. Schade. 5 von 10 Punkten.
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Picard im Jahr 2024
Raffi und Seven
Dr. Jurati im Rampenlicht
Brent Spiner spielt mal wieder einen Soong
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Marius Joa, 8. Mai 2022. Bilder: CBS Studios/Amazon.
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