Seit 15. November erlebt die britisch-irische Krimiserie The Fall ihre deutsche TV-Premiere im ZDF. Die Polizei von Belfast sucht einen Frauenmörder und setzt dabei auf die Expertise einer Londoner Kollegin, gespielt von Gillian Anderson (Akte X).
—
The Fall – Tod in Belfast (The Fall)
Krimiserie UK/Irland 2013/14. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 6 x 90 Minuten (Staffel 1 und 2, ZDF-Fassung). TV-Erstausstrahlung: 15. November 2015.
Mit: Gillian Anderson, Jamie Dornan, Bronagh Waugh, John Lynch, Niamh McGrady, Aisling Franciosi, Emmet J. Scanlan, Archie Panjabi, Stuart Graham u.a. Idee & Drehbuch: Allan Cubitt. Regie: Jakob Verbruggen, Allan Cubitt.
—
…Fällt der Schatten
Eigentlich ist Paul Spector (Jamie Dornan) ein ganz netter Typ, sowohl liebender Ehemann und Vater zweier Kinder als auch ein einfühlsamer Trauer-Therapeut. Nachts engagiert er sich sogar noch für die Betreuung einer Selbstmordhotline. Das erzählt er zumindest seiner Ehefrau Sally Ann (Bronagh Waugh), wenn er spät Abends das Haus verlässt und erst in den frühen Morgenstunden zurückkehrt. Doch in Wirklichkeit verfolgt Paul nachts junge erfolgreiche Frauen, bricht erst in ihre Wohnungen ein, durchsucht deren Kleidung um sie dann umzubringen. Anschließend drapiert er deren Leichen in fast künstlerischer Weise und dokumentiert dies mit Fotos, befriedigt so seine niederen Instinkte.
Stella Gibson
Weil der „Ex-Schwiegervater“ des letzten Opfers niemand geringeres als der Vorsitzende des Polizeiausschusses, Morgan Monroe (Ian McElhinney), ist, zieht die Polizei von Belfast unter Jim Burns (John Lynch) die erfahrene Ermittlerin Stella Gibson (Gillian Anderson) von der Londoner Metropolitan Police für eine Neubewertung des Falles hinzu. Gibson schwört das Team darauf ein, jedem Hinweise nachzugehen und jedes Detail erneut nachzuprüfen. Dabei erkennt sie Parallelen zu einem früheren Mordfall und vermutet einen Serientäter hinter den beiden Morden, da die beiden Opfer sich ähnlich sahen und zudem beruflich erfolgreiche Frauen Anfang 30 waren. Als Paul in der Anwältin Sarah Kay (Laura Donnelly) sein nächstes Opfer findet, ist Stella von ihrer These endgültig überzeugt und übernimmt die Leitung der Ermittlungen…
Schon wieder eine Krimiserie über die Jagd nach einem Serienkiller? Klingt wie der x-te Neuaufguss aus den USA oder die derzeit besonders beliebte nordische Unart: sadistische Serienkiller-Stories aus Skandinavien. Doch es gibt auch noch TV-Krimis, die sich mit dieser Thematik fernab von Exploitation auseinandersetzen. The Fall – Tod in Belfast, eine Co-Produktion von BBC (Großbritannien) und RTÉ (Irland), überzeugt durch realistische Herangehensweise und eine ruhige, unaufgeregte Erzählweise.
The Fall stammt aus der Feder des britischen Fernsehautoren Alan Cubitt (Heißer Verdacht: Operation Nadine). Während bei Staffel eins Jakob Verbruggen, bekannt für die belgische Polizeiserie Code 37, Regie führte, übernahm Cubitt dies bei der zweiten Season selbst. Man erkennt als Zuschauer, dass für die Serie akribisch recherchiert wurde, vor allem was die einzelnen Arbeitsschritte der Ermittler von Polizei und Gerichtsmedizin angeht.Vom Auffinden der Leiche bis zur Untersuchung in der Pathologie wird jeder Handgriff, jedes noch so mickrige Detail minutiös dokumentiert. Auch die neue Chefermittlerin Stella Gibson trichtert ihren Beamten immer wieder ein, dass jeder noch so kleine Hinweis oder Gesichtspunkt äußerst wichtig sein kann. Bisweilen wirkt The Fall wie eine Fortführung der britischen Krimireihe Heißer Verdacht, die mit Helen Mirren in der Hauptrolle mit Unterbrechungen von 1991 bis 2006 lief. Moderne, realistische Polizeiarbeit mit einer starken Frau am Steuer.
Formal und inhaltlich zelebriert die Serie aber vor allem die Dualität ihrer beiden Hauptfiguren. Paul ist ein gebildeter, erfolgreicher Therapeut und ein äußerst liebevoller Familienvater. Doch hinter dieser Fassade lauert die Psyche eines mehrfachen Mörders, der seinen Opfern erst nachstellt und sie nach ritualisiertem Ablauf tötet und die Leichen herrichtet. Zeichnungen und Fotos der toten Frauen sowie Texte hält er in seinem „Journal“ fest. Stella hingegen ist eine sehr erfahrene und erfolgreiche Polizistin ohne familiäre Anbindung, die mit viel Akribie und vollem Einsatz in jedem Bereich ihren Job erledigt und oft völlig erschlagen in ihr Hotelbett fällt. Doch bisweilen geht sie kurze One-Night-Stands mit Kollegen ein. Wie virtuos die beiden „Doppelleben“ nebeneinander laufen, beweist die groteske Parallel-Montage von Stellas zwanglosem Sex mit einem jungen Polizisten sowie die Ermordung der Anwältin Sarah durch Paul. Im Haus der Familie Spector filmt die Kamera das Geschehen oft von oben, quasi vom dunklen Dachboden aus, wo der Serienkiller seine „Fetisch-Gegenstände“ versteckt hat.
Die Handlung und auch die Hauptcharaktere entwickeln sich insgesamt sehr langsam, doch spätestens in der zweiten Staffel wird deutlich, dass auch an der kühl-professionellen Stella die ganze Ermittlungsarbeit nicht spurlos vorübergeht. Man erfährt dann auch etwas über Pauls Vergangenheit, die etwas Licht ins Dunkel seiner perversen Neigungen zu werfen vermag. Gillian Anderson beweist in der Rolle der toughen Ermittlerin einmal mehr, dass sie sich seit ihrer ersten großen Rolle als Agent Scully in Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI (1993-2002) massiv weiterentwickelt hat und auch als Leading Lady im authentischen Krimifach mühelos bestehen kann. Jamie Dornan dürfte dem Publikum vor allem durch seine Titelrolle in der Twilight-Fanfiction-Verwurstung Fifty Shades Of Grey bekannt sein. Sein Paul Spector ist allerdings im Vergleich zu Christian Grey die wesentlich interessantere und abgründigere Figur, die mit minimalistisch-effektivem Spiel zum Leben erweckt wird.
Leider hat das ZDF die elf Episoden der ersten beiden Staffeln (10 x ca. 60 Minuten plus 1 x 90 Minuten) auf sechs 90minütige Teile zusammengekürzt. Dies führt dazu, dass vor allem in der zweiten Staffel die Handlung unvollständig wirkt. So manche wichtige Figur, wie Streifenpolizistin Dani Ferrington, rückt ohne besondere Vorkommnisse ins zweite Glied zurück. Der Mord an Polizist Olson und dessen Hintergründe spielen irgendwann gar keine Rolle mehr. Vielleicht erfährt der Zuschauer diesbezüglich in der für 2016 im UK angekündigten dritten Staffel mehr. Immerhin erscheint die ungekürzte erste Season mit fünf knapp einstündigen Episoden am 4. Dezember 2015 auf Blu-Ray und DVD. Ebenfalls in voller Länge (sechs Folgen) folgt am 8. Januar 2016 Staffel zwei.
Fazit: The Fall verzichtet darauf, die Thematik allzu reißerisch zu behandeln, überzeugt aber mit seiner düsteren Inszenierung, grotesken Montagen und der detailreichen Darstellung der mühevollen Ermittlungsarbeit, in deren Zentrum mit Stella Gibson eine vielschichtige, starke Frauenfigur steht. 8 von 10 Punkten.
–
Paul Spector ist ein fürsorglicher Familienvater…
…ermordet aber die Anwältin Sarah Kay.
Streifenpolizistin Dani Ferrington gehört zum Ermittlerteam…
–
Marius Joa, 2. Dezember 2015. Bilder: Studio Hamburg/ZDF.
Schreibe einen Kommentar